Film: Den Spiegel vorhalten

Nr. 10 –

«Ich bin optimistisch, dass das Problem des Rassismus in der Schweiz Schritt für Schritt abgebaut wird. Ein kleiner Schritt nach dem anderen.» Die Worte stammen von Carmel Fröhlicher, einer der Protagonistinnen, die im Dokumentarfilm «Je suis Noires» von ihrem Leben als Women of Color in der Schweiz erzählen: von den Beleidigungen auf offener Strasse, von fehlenden Vorbildern und der Beobachtung, dass Taschen auf einmal enger am Körper gehalten werden, sobald sie als Schwarze Frauen in den Bus steigen.

Die persönliche Umgebung, in der die Gespräche geführt werden, wird im Film mit Szenen auf der Strasse ergänzt. Etwa, wenn die Autorin und Koregisseurin Rachel M’Bon, die im Film auch selbst auftritt, an Plakaten mit weissen Frauen und weissen Schönheitsidealen vorbeigeht: Sie spiegelt sich in den verglasten Oberflächen, betrachtet sich von aussen, weil es auf solchen Bildern keinen Platz für sie zu geben scheint. Der Spiegel als Stilmittel taucht auch in den Gesprächen immer wieder auf. «Was siehst du?», fragt M’Bon die Protagonistinnen. Die Antworten fallen unterschiedlich aus: Schweigen, nachdenkliche Blicke oder auch die Erinnerung an den Wunsch, am nächsten Morgen weiss zu sein, um wie die anderen Kinder zu sein.

Der Film von Rachel M’Bon und Juliana Fanjul thematisiert den Umgang mit verschiedenen Formen von Rassismus und die längst nicht aufgearbeitete Kolonialgeschichte der Schweiz. Er stellt aber auch Fragen nach Integration: Warum soll es immer klar sein, wer sich wo und wie zu integrieren habe?

«Ein kleiner Schritt nach dem anderen»: Carmel Fröhlicher sagt das mit liebevoller Zuversicht – trotz Backlash und dem Eindruck, dass gerade in der Schweiz die antirassistische Debatte immer wieder von vorne erklärt werden muss. In ihrer Geduld und ihrer bewundernswerten Stärke erinnert sie dabei unweigerlich an die 1992 verstorbene US-amerikanische Aktivistin und Autorin Audre Lorde: «For the master’s tools will never dismantle the master’s house» – das Haus des Herrschers lässt sich nicht mit den Werkzeugen des Herrschers zerlegen.

Filmstill aus dem Film «Je suis Noires»: Eine Frau schaut in den Spiegel

«Je suis Noires». Regie: Rachel M’Bon und Juliana Fanjul. Schweiz 2022. Jetzt im Kino.