Wichtig zu wissen: Rüdiger

Nr. 10 –

Ruedi Widmer über einen Rücktritt und das süsse Gift von KI

Immer noch versuchen Kreise aus der Finanzwirtschaft, der Schweiz eine Neutralität anzudichten und diese mit pathetischem Ton als gefährdet zu beklagen. Dabei ist es andersherum. Achtzig Prozent von Putins Rohstoffhandel gehen durch die Schweiz, durch Zug und Genf. Um überhaupt Neutralität zu erreichen, müsste die Schweiz augenblicklich die Kriegsmaterialproduktion hochfahren und noch dieses Jahr für Milliarden Waffen an Kyjiw liefern. Die Schweizer Neutralität ist ein Gefühl, genau für den Typ «Trychler» konzipiert.

SVP-Nationalrat Köppel (Roger National III, hinter Federer und Schawinski, aber noch vor Staub, Berbig, Chappot, Humbert usf.) tritt kürzer und im Herbst nicht mehr an. Dabei war der Nationalrat sein erfolgreichstes Standbein. Er wurde zweimal vom Zürcher Wahlvolk glanzvoll mit Stimmenrekord gewählt, 2015 und 2019. Köppel will sich vorab weniger für die Schweiz als für die süd- und ostdeutsche Querdenker:innenszene einsetzen, wo das Portemonnaie leichter sitzt als bei den Zeitungsabonnenten und Zeitungsabonnerpeln seiner stagnierenden «Welkwoche» mit ihren gekürzten AHV-Renten.

Köppel liess sich auf Twitter mit gefühlt hochrotem Kopf über den «Tages-Anzeiger» aus («Schrott-Zeitung»), der schrieb, Köppel trete wegen «Belastung» zurück, was diesen fuchsteufelswild zu machen schien, denn er legte sich ganz schulhöflich mit einzelnen Follower:innen an («Was ist Ihr Leistungsausweis?», «Wie viele Follower haben Sie?», «Dummkopf») und verglich sich mit grossen Namen, als er sich gegen den Vorwurf wehrte, dauernd im Nationalrat bei wichtigen Abstimmungen gefehlt zu haben (wörtlich: «Hören Sie doch auf, mit diesem Schwachsinn. Blocher, Spuhler und Schneidet Ammann fehlten bei 50’Prozent, ich bei 20. Hirn einschalten.»). Ich las das und verliess verschämt die Twitter-Toilette wieder.

«Roger» ist ja eine anglo-französische Variante des deutschen «Rüdiger», was «Speerwerfer» bedeutet. Ich habe seit gut vier Jahren eine spezielle Beziehung zum Namen Rüdiger. Denn zu einem gewissen Zeitpunkt akzeptierte die Autokorrektur meines iPhones meinen Namen nicht mehr. Sie ersetzt ihn bis heute durch Rüdiger. Dabei nützen alle Versuche nichts, meinen Vornamen ins Wörterbuch aufzunehmen. Zuerst dachte ich, ich spinne, aber es fiel mir auf, dass ich auch zunehmend Mails und Nachrichten bekam, die mit «Lieber Rüdiger» beginnen. Künstliche Intelligenz verändere die Welt, liest man allerorten, und ja, es stimmt, ich werde mir eine Umbenennung überlegen müssen. 1:0 für die «Schrott-Informatik» von Apple.

Roger Köppel benutzt die Autokorrektur offensichtlich nicht, was ich ihm hoch anrechne. Man sollte nicht überall mitmachen und sein ganzes Wissen und Können auslagern. Wer nicht mehr selber schreibt, sondern nur noch «etwas in die Richtung tippt» und den Text von der Maschine fertigstellen lässt oder, wie ich, sich vom süssen Gift von KI-Zeichnungsprogrammen den Kopf verdrehen liess, der und die wird noch ein bisschen früher arbeitslos, als wir es ohnehin alle werden.

Die KI-Hohepriester werden zwar nicht müde zu betonen, es gebe anstatt der verschwindenden Berufe wahrscheinlich noch mehr neue; aber wir werden uns auf eine Freizeitgesellschaft umstellen müssen, verbunden mit einem Grundeinkommen. Ein Horror für viele, die sich vor allem über ihren Beruf definieren. Ein Horror für die Gewerkschaften. Ein Horror für unsere Autobahnen, die den ganzen Freizeitverkehr bewältigen müssen. Ein Horror für alle. Denn Freizeit ist nur wertvoll, wenn es auch Nichtfreizeit gibt. Jeder Mensch, der mal keine Arbeit hatte, weiss das.

Nur Jobs, bei denen schon von Natur aus keine Intelligenz verlangt wird, sind von KI nicht gefährdet. Als Applaudieraugust für Putin-Reden im Kreml etwa kann man als Altnationalrat noch lange arbeiten.

Ruedi Widmer ist Stimmungskanone in Winterthur und dem Waffenausfuhrverbot unterstellt.