Palästinenserinnen in Israel: «In Israel kann man mit Hidschab nicht frei leben»

Nr. 19 –

Das Jüdische Museum Hohenems zeigt Porträts von vier jungen Palästinenserinnen in Tel Aviv. Die Ausstellung erzählt von komplexen Identitäten und Misstrauen, aber auch von einer hoffnungsvollen Annäherung.

Aya, Saja, Samar und Majdoleen im Univiertel Tel Avivs
Aya, Saja, Samar und Majdoleen: Präsenz markieren im Univiertel Tel Avivs. Fotos: Iris Hassid

Am Anfang war der Koffer. Oder genauer: die jungen Frauen, die mit Koffern durch das Universitätsviertel von Tel Aviv zogen – und damit Iris Hassid auf sich aufmerksam machten. «Der Koffer», sagt die Fotografin, «ist ein zentrales Symbol in der jüdischen Geschichte.» Bloss waren die jungen Frauen in ihrer Nachbarschaft nicht jüdisch, sondern palästinensische Israelis, Studentinnen aus dem arabisch geprägten Norden des Landes.

Vier von ihnen hat Hassid kennengelernt und von 2014 bis 2020 mit der Kamera begleitet. Sie stehen mit ihren Koffern auf Parkplatz, Trottoir und Zebrastreifen und blicken ernst. Es sind die ersten, grossformatigen Bilder der Ausstellung «A Place of Our Own» im Jüdischen Museum im österreichischen Hohenems. Die Koffer verweisen darauf, dass dieser «eigene Ort» – anders als für Jüdinnen und Juden seit 1948 – eine Utopie ist.

Palästinensertuch und Rumflasche

Auch wenn palästinensische Israelis dieselben Rechte besitzen wie jüdische – im Alltag schwappt ihnen ein ängstlich-aggressives Misstrauen entgegen, das oft in Diskriminierung mündet. «Als wäre ich eine potenzielle Terroristin», sagt Majdoleen Khatib, die zusammen mit Hassid und Samar Qupty für die Eröffnung der Ausstellung nach Hohenems gekommen ist.

Samar (die Frauen werden im fotografischen Langzeitprojekt nur mit Vornamen genannt) war die Erste, mit der Hassid 2014 Kontakt suchte. Sie habe dem Interesse der Fotografin anfangs sehr misstraut, sagt die Filmschauspielerin und angehende Regisseurin. «Ich bin kein exotisches Objekt. Israelis verhalten sich mir gegenüber oft sehr paternalistisch, es geht ihnen bloss darum, sich selber besser zu fühlen. Das ist eine falsche Normalisierung, von der ich nicht Teil sein will.»

Es fällt auch auf den Bildern in der Ausstellung auf, wie stark und selbstbewusst die vier jungen Frauen auftreten. Meist schauen sie direkt, ja herausfordernd in die Kamera, dann wieder verweigern sie demonstrativ den Blickkontakt. An der Oberfläche spiegeln die Fotografien den Alltag von Studentinnen, wie er uns vertraut scheint: Teenies, die aus Plastikbehältern essen, das Smartphone immer zur Hand, mal kleiden sie sich in zerrissenen Jeans und T-Shirt, mal posieren sie im knappen Dress. Sie rauchen am Küchentisch und trinken Alkohol, auch mit Hidschab, wie Aya, die Gender Studies und Sozialarbeit studiert. Auf den zweiten Blick also wird es komplizierter. Was von der Kamera gerahmt wird, sprengt die Stereotype, und sei es nur die Nachbarschaft von Palästinensertuch und leerer Rumflasche.

Aya steht mit ihrem Koffer auf einem Parkplatz
Aya und ihr Koffer: Pendeln zwischen Tel Aviv und Kafr Qara.

Die Bilder sind keine Schnappschüsse, ganz im Gegenteil: «Wir haben die Inszenierung zusammen diskutiert», sagt Hassid, «und ich habe die Frauen so porträtiert, wie sie sich dargestellt sehen wollten.» Die Zitate, die sich auf Tafeln zu den Fotos gruppieren, in Hebräisch, Arabisch, Deutsch und Englisch, korrespondieren nur lose damit und stammen aus dem regen Austausch zwischen der Fotografin und den Porträtierten, der im Verlauf der sechs Jahre entstanden ist. Auf einer der Tafeln fordert Samar von der Fotografin «ein starkes feministisches Projekt», das mit den falschen Erzählungen über arabische Frauen bricht, die man in Israel seit der Schule aufgetischt bekommt.

Und so nahmen die jungen Frauen, die in den Koffern am Wochenende ihre schmutzige Wäsche nach Hause rollten, irgendwann auch die Fotografin mit. Heim nach Nazareth und in ihre Dörfer, bis hinein in die Stuben ihrer Familien. Da sitzt Samar, frisch geduscht und im Bademantel aufs Sofa gekuschelt, ins Gespräch mit ihrer Mutter vertieft. Oder im Kreis ihrer Cousinen um die Grossmutter versammelt, mal ornamental drapiert in die Kamera lächelnd, dann wieder sieht man die jungen Frauen mit der Oma Karten spielen und in den Laptop starren, gleichzeitig und am selben Tisch. «Das Haus meiner Oma ist das Fundament der ganzen Familie», heisst es dazu auf der Tafel.

Verlorene Identität

Wie vertraut und intim das Verhältnis zwischen der Fotografin und den vier Frauen geworden ist, zeigt sich auch darin, dass Hassid über das Projektende hinaus mit ihnen in Kontakt geblieben ist und drei von ihnen – die vierte lebt seit längerem in Jordanien – für die Ausstellung in Kurzfilmen erneut porträtiert hat. Sogar an Majdoleens Hochzeit war sie mit ihrer Kamera mittendrin in den Umarmungen und Tränen der Frauen. Die Feier war auch ein Abschied: Die junge Architektin lebt mittlerweile in Mailand, weil sie sich in Israel nicht länger sicher fühlte. Erst in Italien, so beschreibt sie es in Hohenems, sei ihr bewusst geworden, wie ihr in Israel eine gespaltene Identität aufgezwungen worden sei.

Hidschabs in Ayas Kleiderschrank
Ayas Kleiderschrank: Ein Hidschab für jede Gelegenheit.

«Es ist so komplex, eine palästinensisch-israelische Frau zu sein», sagt auch Aya im Film. Sie arbeitet heute als Jugendbewährungshelferin in Ostjerusalem und hat ihr Kopftuch abgelegt: «In Israel kann man mit Hidschab nicht frei leben.» Jetzt trauert sie um den verlorenen Teil ihrer Identität wie um ein verstorbenes Familienmitglied.

Aya ist es auch, die daran erinnert, dass die Knesset 2018 ein Gesetz verabschiedet hat, das Arabisch als zweite Amtssprache Israels abschaffte. Mit der geplanten Justizreform würde diese Knesset gegenüber dem Obersten Gericht praktisch uneingeschränkte Macht erhalten. Dagegen gehen im Land seit Wochen Hunderttausende auf die Strasse. Nur protestieren, daran erinnert die Ausstellung ganz zum Schluss, jüdische und palästinensische Israelis kaum je gemeinsam.

Der Anfang jeder Lösung

Als Jüdisches Museum sei es unmöglich geworden, Israel nicht zu thematisieren, greift Direktor Hanno Loewy auf, was bereits die Kuratorin vom Jüdischen Museum in Amsterdam betonte, wo «A Place of Our Own» erstmals gezeigt wurde. Wer der Perspektive von Minderheiten verpflichtet sei – und das beinhalte, so betont Loewy, nicht nur die jüdische in der Welt, sondern auch die muslimische vor Ort –, dürfe zur Situation palästinensischer Frauen in einem Israel, das zunehmend Züge einer «ethnic supremacy» zeige, nicht schweigen.

«A Place of Our Own» macht deutlich, wie traumatisch es ist, nicht nur politisch, sondern auch menschlich unsichtbar gemacht zu werden – und wie viel Zeit es braucht, um das gegenseitige Misstrauen zu überwinden bis zum Punkt, wo Samar zu Iris Hassid sagt: «Es ist interessant, wie du uns siehst und wir dich sehen. Das ist der Anfang einer jeden Lösung – die andere Seite zu sehen.» Heute, Jahre später, sagt sie über die Fotografin: «Iris gehört jetzt zur Familie. Wir streiten wie Mutter und Tochter.»

Iris Hassid: «A Place of Our Own. Vier junge Palästinenserinnen in Tel Aviv.» Die Ausstellung im Jüdischen Museum Hohenems (Österreich) läuft bis zum 10. März 2024.