Theater: Im Untergrund des Krieges

Nr. 19 –

Foto des Theaterstücks «Antigone in Butscha»: 2 Personen in Winterkleidung stehen neben der Skulptur eines Rehs
«Antigone in Butscha» in: Zürich Schauspielhaus, Pfauen. Nächste Spieldaten: 12./15./17./21./23./26./31. Mai 2023. www.schauspielhaus.ch

Eine kinderlose Schweizer Ehe in der Krise trifft auf das Massaker an Zivilist:innen im Kyjiwer Vorort Butscha. Das ist die harte Gegenüberstellung, mit der «Antigone in Butscha» das Publikum herausfordert. Der ukrainische Regisseur Stas Zhyrkov fächert mit der Crew des Schauspielhauses Zürich die Wucht dieser Konfrontation auf, ohne den russischen Angriffskrieg plump gegen die im Vergleich trivial wirkenden Sorgen der Schweizer:innen auszuspielen.

Grenzgängerin zwischen beiden Welten ist die streitbare Ehefrau und Kriegsreporterin Antigone (Lena Schwarz). Wobei in dieser Stückfassung des ukrainischen Autors Pavlo Arie nur Trümmerteile von Sophokles’ «Antigone» übrig geblieben sind, Textbrocken und, als sehr lose Umschrift, auch der Kern der Tragödie: Antigone will ihren toten Bruder wenigstens symbolisch angemessen beerdigen. Dafür gibt es Antigone in gleich dreifacher Ausführung: als einfühlsame Kriegsreporterin, als traumatisierte Kriegswitwe, als karriere­­­­­gierige Kriegsfotografin.

Die ersten beiden finden in einem Keller von Butscha zueinander, gefilmt von einer Standkamera. Die Ukrainerin will nicht wahrhaben, dass ihr Mann erschossen draussen auf der Strasse liegt, die Kriegsreporterin fällt aus ihrer professionellen Rolle und versucht trotz Sprachbarriere, sie dazu zu bewegen, den Tod ihres Liebsten zu akzeptieren. Diese intimen Szenen zwischen Vitalina Bibliv und Lena Schwarz sind die stärksten des Abends. Karin Pfammatter gibt die Gegenfigur zur ethisch handelnden Antigone im Keller. Die Erfolgsstory ihrer Fotografie der gepflegten Hand einer Ermordeten von Butscha gerät zur etwas schrillen Karikatur eines zynischen Kriegsvoyeurismus – späte Schuldgefühle inklusive.

Und auch wenn man einer weiteren These des Abends – Butscha liegt auch in Zürich – nicht so pauschal zustimmen mag: Dass das Schauspielhaus Zürich mit dieser Inszenierung an die Geschichte des Hauses anknüpft und vor dem Krieg Geflohenen eine Exilbühne bietet, ist eine wichtige Entwicklung. Sie sollte fortgesetzt werden.