Sachbuch: Die antideutsche Welle

Nr. 19 –

Buchcover von «Wir sind die Türken von morgen. Neue Welle, neues Deutschland»
Ulrich Gutmair: «Wir sind die Türken von morgen. Neue Welle, neues Deutschland». Tropen Verlag. Berlin 2023. 304 Seiten. 35 Franken.

Im Radio laufen die Hits der achtziger Jahre bis heute. Wer in seiner beginnenden Pubertät von Nena und Peter Schilling hormonell begleitet wurde, versteht die ewige Attraktivität dieser deutschen Popsongs bestenfalls biografisch. Einleuchtender wird das bei Musik, die trotz verwirrender Signale bis ins Vorabendprogramm vorstiess. Kleenex aus Zürich, die da schon Liliput hiessen, und das Duo DAF (Deutsch Amerikanische Freundschaft) aus Düsseldorf traten beide etwa in der Sendung «Karussell» im Schweizer Fernsehen auf. So hörte man um halb sieben noch vor dem Znacht Liedzeilen wie «Tanz den Mussolini» von DAF, die im deutschen Popkanon mittlerweile als so einflussreich gelten wie Kraftwerk. Oder auch Kritik am genderkonservativen Spiesser von Liliput: «Oh sie sind so hübsch / Oh sie sind so nett / Rosarot das mögen sie / Hellblau das tragen sie.»

Der Berliner Journalist Ulrich Gutmair hat nun in seinem Popsachbuch «Wir sind die Türken von morgen. Neue Welle, neues Deutschland» eine eigene Erklärung gesucht für den Einschlag dieser Bands, wobei er den Mainstream allerdings ausspart. Über weite Strecken entwickelt Gutmair die vielversprechende Idee, dass die Neue Deutsche Welle gerade nicht so deutsch war, wie es in ihrem Namen steht. So tauchen wiederholt Biografien auf wie die von Gabi Delgado-López, dem Sänger von DAF, dessen Familie aus Spanien nach Deutschland kam. Gutmair holt weit aus, um die Geschichte der Arbeitsmigration in den Popkontext zu stellen; auf der Suche nach widerständigen Jugendkulturen blendet er bis in die Weimarer Republik zurück.

Die ganze Ästhetik der Deutschen Welle lässt sich mit den Einwanderungsgeschichten aber nicht erklären, und so ersetzt Gutmair das Migrationsmerkmal mal mit Geschlechterdifferenz, mal mit sexuellen Vorlieben oder auch nur mit der Haltung, keinen Bock auf den Nachkriegsbiedermeier gehabt zu haben. Was so bleibt, ist ein Buch über deutschen Postpunk, New Wave und die nun etwas weniger deutsche Welle, die Gutmair dezidiert als deutschsprachig versteht und vereinzelt auch Österreich und die Schweiz mit einbezieht.