Teilzeitarbeit: Die Marktwirtschaft ist kein Wunschkonzert

Nr. 19 –

Rechte Kreise klagen seit Monaten mit verwirrenden Zahlen, dass wir zu wenig arbeiteten. Dabei ist das Gegenteil der Fall.

Das Gejammer über Teilzeitarbeit? Es ist ein PR-Stunt des Arbeitgeberverbands, rechter Ökonomen wie Christoph Schaltegger («Arbeitsethos erodiert») und der NZZ («Dolce-Vita-Gesellschaft»), dem schlicht die Grundlage fehlt. Die Zahlen würden zeigen, dass immer mehr Leute Teilzeit arbeiteten, was zu einem Arbeitskräftemangel führe, behaupten sie. Es stimmt, dass immer mehr Leute Teilzeit arbeiten, was aber daher kommt, dass sich Männer und Frauen die Erwerbsarbeit besser aufteilen. Ergo gibt es mehr Teilzeitstellen.

Schaut man sich aber das durchschnittliche Pensum der gesamten erwerbsfähigen Bevölkerung an, so ist es sogar leicht gestiegen: in den letzten zehn Jahren laut Bund von 71 auf 71,9 Prozent.

Und trotzdem soll es noch mehr sein? Das kann nur verlangen, wer trotz jahrelanger feministischer Kritik noch immer nicht verstehen will, dass es auch Arbeit ist, einen Haushalt zu schmeissen oder Kinder grosszuziehen – wenn auch gratis geleistete. Wer verrichtet diese Arbeit, wenn beide Elternteile noch mehr als 72 Prozent arbeiten? Klar, es gibt zum Beispiel Kitas. Jedes doppelverdienende Paar mit Kindern weiss jedoch, zu welchem Marathon das Leben ausufern kann. Zig Studien belegen, dass Stress und Erschöpfung aufgrund der Arbeitsbelastung drastisch zunehmen.

Feminismus bedeutet, dass sich Paare die Lohn-, Haus- und Erziehungsarbeit gerecht aufteilen. Die Forderung des Arbeitgeberverbands jedoch, dass Frauen mehr arbeiten sollen, ohne dass die Männer reduzieren, ist als Feminismus getarnte Arbeitgeberideologie.

Keynes’ Empfehlung

Dabei könnten wir es uns leisten, weniger zu arbeiten: Dank technischen Fortschritts hat sich die Arbeitsproduktivität in der Schweiz laut OECD seit 1970 etwa verdoppelt. Konkret: Zum Erreichen des heutigen Bruttoinlandprodukts (BIP) braucht es noch halb so viele Arbeitsstunden wie vor fünfzig Jahren. Der britische Ökonom John Maynard Keynes glaubte bereits 1930, dass die Menschen dies später nutzen würden, um ihre Arbeit radikal zu reduzieren: Die übernächste Generation, schrieb er in «Die wirtschaftlichen Möglichkeiten unserer Enkel», werde überlegen müssen, was sie mit «ihrer Freizeit» und ihrer «Freiheit von drückenden wirtschaftlichen Sorgen» anfangen soll. Er ahnte nicht, dass sie auf noch mehr Wachstum setzen würde.

Klar, es gibt Leute, die zu wenig verdienen, um ihr Pensum zu reduzieren. Einige werden zudem einwenden, dass irgendjemand die Altersvorsorge finanzieren muss. In der reichen Schweiz ist das jedoch vor allem eine Frage der Verteilung: Würde man alle Kapital- und Arbeitseinkommen unter allen Erwachsenen gleichmässig aufteilen, erhielte jede:r monatlich 8500 Franken.

Aber was ist mit dem Arbeitskräftemangel, über den der Arbeitgeberverband klagt? Ist weniger arbeiten nicht doch unrealistisch? Mitnichten. Eine zentrale Ursache des «Mangels» liegt beim Wirtschaftsmodell, das der Verband selber propagiert: Die Schweiz hat vor allem mit rekordtiefen Steuern so viel Kapital angelockt wie kaum ein anderes Land. Die Summe aller Direktinvestitionen aus dem Ausland ist seit 1990 laut Uno von 35 auf 1370 Milliarden US-Dollar explodiert – das entspricht 171 Prozent des Schweizer BIP. Zum Vergleich: In Deutschland sind es 27 Prozent.

Die ausländisch kontrollierten Firmen in der Schweiz beschäftigen fast eine halbe Million Arbeitskräfte. Die Firmen kaufen wiederum bei anderen Firmen ein, die ebenfalls Leute einstellen – die wiederum etwa in Restaurants essen. Der Arbeitskräftemangel ist auch das Ergebnis eines Zwergstaats, der im globalen Kapitalismus zuvorderst mitspielen will. Das klappt nur, weil die Schweiz ausländische Arbeitskräfte holt.

Mangel für wen?

Es stellt sich die Frage, ob man überhaupt von «Mangel» reden kann. Es fehlen Arbeitskräfte, die essenzielle Güter für unser Leben bereitstellen: Spitalpersonal, das sich um unsere Gesundheit sorgt; Lehrer:innen, die die nächste Generation ausbilden. Dass wir diese Grundversorgung wollen, haben wir demokratisch entschieden. Aber kann es einen Mangel an Ingenieuren, Finanzspezialistinnen, Piloten geben?

Es ist jedenfalls ein eigenartiges Bild, gerade für einen Verband, der sonst gerne von Angebot und Nachfrage spricht. Firmen können auch bei Krediten oder der Energiezufuhr nicht wünschen, wie viel sie davon zu welchem Preis wollen. Die Marktwirtschaft ist kein Wunschkonzert. Wer mehr Leute will, muss mehr zahlen, bessere Bedingungen bieten oder Arbeitslose ausbilden. Der angebliche Mangel bedeutet für die Arbeitgeberseite vor allem einen Machtverlust, ihre PR-Offensive ist der Versuch, sie zurückzuerlangen.

Dabei wäre es dringlich, dass die Menschen durch weniger Arbeit dem Wachstum Grenzen setzte: Wächst das weltweite BIP im bisherigen Tempo weiter, würde es bis Ende des Jahrhunderts von heute knapp 100 auf 3000 Billionen US-Dollar klettern. Wie soll das gehen, ohne weiter die Welt auszuplündern, die Biodiversität zu zerstören und uns alle in eine Klimakatastrophe zu führen?

Stattdessen sollte man dafür sorgen, dass es vor allem genug Arbeitskräfte für essenzielle Dinge wie Bildung oder Gesundheit gibt. Dafür braucht es aber kein Arbeitgebergejammer, sondern bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne.