Zoo: Wendung im Iuventa-Prozess

Nr. 20 –

Wieso löst dieser Skandal eigentlich keine grössere Empörung aus? Bis zu fünfzehn Jahre Gefängnis drohen den Aktivist:innen der «Iuventa», weil sie Tausenden Flüchtenden in Seenot das Leben gerettet haben. Sie werden unter anderem der Beihilfe zu illegaler Einreise nach Artikel 12 des italienischen Immigrationsgesetzes beschuldigt.

Eingeschüchtert wirken sie aber nicht – im Gegenteil. Das Team geht jetzt in die Offensive. Am Samstag hat es zu einer digitalen Medienkonferenz geladen, um über eine neue Wendung im Prozess zu informieren, die weitreichende Folgen für die gesamte europäische Grenzpolitik haben könnte.

Am Vortag hätten sie eine Verfassungsbeschwerde eingereicht, erzählen die Angeklagten. Das oberste Gericht Italiens muss also prüfen, ob der besagte Artikel 12 überhaupt angewendet werden darf, wenn wie in diesem Fall keinerlei finanzielle Motive hinter der Fluchthilfe stecken. Offiziell wurde er nämlich beschlossen, um gegen Schlepper:innen vorzugehen. Grundlage dafür war das 2002 von der EU erlassene «Facilitators Package», das die Mitgliedstaaten dazu verpflichtete, die Beihilfe zur illegalen Einreise unter Strafe zu stellen.

Mehr als tausend Personen sind derzeit allein in Italien deswegen inhaftiert. Zum grössten Teil sind das weder Schmuggler noch Seenotretterinnen. Sondern Flüchtende selbst, die einander gegenseitig bei der Einreise unterstützt haben, etwa indem sie das Steuer eines Bootes übernommen haben.

Und deshalb hat die Verfassungsbeschwerde der «Iuventa» womöglich auch weit über diesen Fall hinaus Bedeutung. Auf dem Prüfstand des Verfassungsgerichts wird nämlich auch das «Facilitators Package» an sich stehen. Und damit die Kriminalisierung der Solidarität in ganz Europa. «Natürlich wollen wir der Crew helfen», sagt die «Iuventa»-Anwältin Francesca Cancellaro. «Aber darüber hinaus wollen wir auch allen anderen helfen, die mit diesem Straftatbestand angegriffen werden.»

Präziser beobachtet keiner: Der Wolf Lonely Lurker schleicht im «Zoo» auf woz.ch jeder Fährte nach.