Erwachet!: Neues aus Metropoliz

Nr. 22 –

Michelle Steinbeck über römisches Recht auf Stadt

In der Peripherie der italienischen Hauptstadt steht ein magischer Ort: eine ehemalige Salamifabrik. Von aussen wirkt sie wie eine Festung; die hohen, mit Malereien überzogenen Mauern werden nur von einem Wachturm überragt. Darauf zeigt ein rostiges Teleskop Richtung Mond. Der Turm hat eine Sonnenuhr ohne Zahlen; weisse Lettern bilden einen Schriftzug: «Revolution».

Metropoliz – gemischte Stadt, so nennen es seine Bewohner:innen. Jeden Samstag öffnen sie ihre Tore: Denn hinter den Mauern befindet sich nicht nur eine der grössten Besetzungen der Stadt, sondern auch eines ihrer drei zeitgenössischen Museen. Das MAAM, Museo del Altro e del Altrove – Museum des Anderen und des Anderweitigen, «das erste bewohnte Museum der Welt». 2013 gegründet, bietet es einer so simplen wie effektiven Idee Raum: Die wertvollen, da von namhaften Künstler:innen meist direkt auf die Wände angebrachten Werke sollten die 2009 besetzte Fabrik vor Räumungen schützen. Die Künstler:innen wurden zusätzlich eingeladen, mit den Bewohner:innen, vor allem Familien, gemeinsam Projekte zu verwirklichen. Dazu gehörte etwa der Bau einer Mondrakete; ein kollektiver Traum, der auf verschiedenen «murales» seine Spuren hinterlassen hat.

Vor ein paar Wochen wurden die Hunderten Bewohner:innen von Metropoliz in Panik versetzt. Die Räumung werde innert sechzig Tagen durchgeführt, hiess es Mitte April, nachdem die Stadt angekündigt hatte, der Eigentümerfirma keine weiteren Entschädigungen mehr zu zahlen. Darauf folgte eine Demonstration mit über 3000 Teilnehmer:innen ins Zentrum Roms, bis vors Kapitol. «Not for Sale», stand auf Transparenten und T-Shirts, «Die Stadt denen, die drin wohnen». Verschiedene Recht-auf-Stadt-Gruppen und Gewerkschaften forderten von der Gemeinderegierung einmal mehr sofortige Massnahmen gegen die Wohnungskrise und die vielen Zwangsräumungen in der Stadt.

Nun gibt Bürgermeister Roberto Gualtieri Entwarnung für Metropoliz: Zusammen mit Tobia Zevi, dem Stadtrat für Kulturerbe und Wohnungspolitik, präsentiert er den «Piano Casa», den «Plan für das Recht auf Wohnen 2023–2026». Dieser beinhaltet nicht nur den Kauf von 2000 Häusern für Sozialwohnungen, auch besetzte Gebäude und «centri sociali» wie Metropoliz und sein MAAM sollen gekauft und saniert werden.

Laut Stadtrat Zevi zeuge «der grösste öffentliche Plan seit Jahrzehnten von der Bereitschaft, die Wohnungsfrage in den Mittelpunkt zu stellen». Es ist höchste Zeit, wie jüngst erhobene Zahlen belegen: Demnach leben in Rom mindestens 150 000 Personen, die von Wohnungsnot betroffen sind. 40 000 stehen auf der Warteliste für eine Sozialwohnung, 17 000 leben in besetzten Häusern, 15 000 sind von einer Zwangsräumung bedroht. 45 000 benötigen Mietzuschüsse, 5000 leben in sogenannten Romalagern und 1500 in Wohnheimen. 10 000 sind obdachlos. Bürgermeister Gualtieri fügt an: «Eine würdevolle Unterkunft ist ein Recht, das allen garantiert werden muss.»

Was im ersten Moment für Erleichterung sorgt, wird die Bewohner:innen von Metropoliz wohl noch länger beschäftigen. Zum einen muss der Plan erst von der Stadtregierung angenommen werden. Zum anderen drängt sich die Frage auf, was aus der selbstverwalteten Gemeinschaft wird, wenn sie erst einmal der Verwaltung der Stadt untersteht.

Michelle Steinbeck ist Autorin. Seit ihrem ersten Besuch in Metropoliz verfolgt sie das Geschehen vor Ort aus der Ferne.