Von oben herab: Gleiswechsel

Nr. 23 –

Stefan Gärtners neuste Schweizreise

Also die Geschichte beginnt damit, dass ich ins Archiv gehe und schaue, ob ich diesen klassisch popliterarischen Einstieg in der WOZ schon verwendet habe; habe ich (am 7. Januar 2021), und also beginnt die Geschichte nicht damit, dass sie damit beginnt, dass ich in die Schweiz fahre, um in Winterthur Töss beim Geburtstagsfest von Ruedi Widmer (60) zugegen zu sein.

Ich habe mich im lokalen «Hotel Töss» eingebucht, und als ich aus dem Bus steige, ist erst mal kein Hotel Töss da, obwohl ein Richtungsschild für den Autoverkehr ausdrücklich auf ein «Hotel Zentrum Töss» hinweist. Ich folge, obwohl zu Fuss, dem Schild, das Hotel bleibt verschwunden, ich kehre um und wage mich in den Unterleib des brutalistisch hinbetonierten «Zentrums Töss». Ich finde eine halb verglaste Stahltür und darauf die Bitte, man möge, wolle man ins Hotel, links klingeln. Links waren mal zwei Schalter, einer ist anscheinend aus der Wand gefallen, ich betätige den anderen.

Nichts passiert. Ich bin vier Minuten vor der avisierten Ankunft da und denke, vielleicht ist bloss jemand eine rauchen. Ich warte vier Minuten, klingle wieder, nichts. Ich öffne die Buchungs-App und rufe im Hotel Töss an, niemand hebt ab. (Es hebt eigentlich nie jemand ab, wenn ich mich in einer Notlage telefonisch an Hotelrezeptionen wende; vgl. WOZ vom 15. September 2022). Der Dönermann vom Imbiss nebenan rettet mich und zeigt auf eine Treppe, da müsse ich hoch. Oben ist ein Parkdeck (das erklärt das Strassenschild) mit einer weiteren Tür («Hotel Töss»), auch diese Tür ist zu, die dritte schliesslich öffnet sich.

Das Hotel Töss ist eins, das schon bessere Zeiten gesehen hat. An der Rezeption frisst das Kartenlesegerät meine Quittung, und ich muss, weil Gerüche die Erinnerung ja stets am heftigsten stimulieren, an die alte «Seinfeld»-Folge mit dem Körpermief im Auto denken. Im Zimmer funktioniert die Klospülung nur eingeschränkt, und als ich endlich auf Ruedis Fest eintreffe, ist der Grill zwar längst abgebaut, aber ich kann, nachdem ich vor Erschöpfung und Verwirrtheit Bundes- und Nationalrat verwechselt habe, am WOZ-Tisch mit dem launigen Hinweis aufs Führerwort punkten, wonach die Schweiz eine «Nation der Hoteliers»­ ist.

Es wird dann aber noch sehr nett, und als ich, glücklich ins Hotel Töss zurückgekehrt, den Fernseher anstelle, kommt sofort ARD. Sagen wir so: Dies ist ein Hotel, in dem, was ja nun wirklich ein Vorteil ist, Blocher nicht absteigen würde, schon weil das Frühstück von einer freundlichen Ausländerin (Konstanz) serviert wird. Ausser meinem ist nur noch ein weiterer Tisch besetzt. Ich überlege, wie viele Gäste des Hotels Töss wohl noch durch Töss irren, auf der verzweifelten Suche nach der Pforte ins Glück («Hotel Töss»), und wenn man aber erst mal weiss, wie man reinkommt, ist es eigentlich ganz okay.

Am nächsten Morgen hat der IC nach Olten, wo ich umsteigen muss, fantastische drei Minuten Verspätung, von zwei Zugrestaurants ist eins nicht in Betrieb, und in Olten fährt der Anschluss-ICE nicht von Gleis 7, sondern Gleis 4. «Gleiswechsel» ist in deutschen Bahnhöfen ja ein Horrorwort, denn der wird gern fünf Minuten vor Abfahrt verkündet, und dann muss man äusserst schnell von Gleis 2 nach Gleis 18. In Olten dagegen braucht man sich nur umzudrehen und zehn Schritte auf das nächste Perron zu gehen, und auch wenn die Misshelligkeiten im Bahnwunderland Schweiz bloss sehr läppische sind, sorgt sich der nationalmythologisch interessierte Besucher natürlich, wenn er nach dem kuriosen Hotel Töss auf einen verspäteten SBB-Zug mit geschlossenem Bordbistro wartet.

Im Zug dann eine Nachricht von Ruedi, der sich für das weltweit womöglich einzige Spandau-Ballet-Zmorgebrett bedankt: «Ich hoffe, du konntest gut schlafen im Hotel Töss, vielleicht wird ja wieder eine Kolumne draus.»

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.

Sein Buch «Terrorsprache» ist im WOZ-Shop erhältlich unter www.woz.ch/shop.