«Anora»: Atemlos, schwindelfrei, grosses Kino für uns zwei

Nr. 44 –

Sean Baker lässt in seinen Filmen die Affekte explodieren. Für sein Märchen «Anora» hat der US-Regisseur in Cannes die Goldene Palme gewonnen.

Filmstill aus «Anora»
Fast wie bei «Pretty Woman»: Noch läuft für Sexarbeiterin Ani und Oligarchensohn Vanya im Spielfilm «Anora» von Sean Baker alles prächtig. Still: Universal Pictures

Wenn man mit Mitte zwanzig als Stripperin in einem gar nicht so schäbigen New Yorker Club namens «Headquarters» arbeitet, dabei nicht allzu schlecht verdient und auch gute und solidarische Beziehungen zu den anderen Sexarbeiterinnen pflegt, sich halt aber immer noch den ganzen Tag halb nackt auf dem Schoss von Männern räkeln muss; wenn man gleichzeitig immer noch an Märchen glaubt, etwa an jenes aus «Pretty Woman» vom Freier mit dem Herzen aus Gold oder an den amerikanischen Traum, und dann ein sympathischer Oligarchensohn auftaucht, sexuell vielleicht ein bisschen naiv, aber durchaus lernwillig, der einen gut dafür bezahlt, während einer Woche «seine Freundin» zu sein; wenn dieser junge Russe über scheinbar unbeschränkten Zugriff auf das Bankkonto seines Vaters verfügt, der eine ausladende Villa mit Dienerschaft und Privatjet besitzt, und man jetzt spontan zu einem exzessiv hedonistischen Wochenende nach Las Vegas fliegt; wenn der absurd privilegierte und daher ziemlich realitätsfremde Sohn dort nach besonders gutem Sex impulsiv, aber durchaus aufrichtig fragt, ob man seine Frau werden möchte und man dann bei der Trauung in der «Wedding Chapel» gefragt wird, ob man diesen wirklich zum Mann nehmen möchte, bis der Tod einen scheide – was soll man dann schon antworten?

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