Schweizer Rassismus: «Jeder Stein sollte umgedreht werden»
Der Historiker Jonathan Pärli ordnet die neonazistische Mordserie von Ende der achtziger Jahre politisch ein. Und fordert eine umfassende Aufarbeitung.
WOZ: Jonathan Pärli, bei einem Brandanschlag in Chur verloren 1989 vier tamilische Asylsuchende das Leben, darunter zwei Buben. Daran erinnert eine aktuelle Recherche im Tamedia-«Magazin». Sie haben als Historiker die Geschichte der Asylbewegung neu aufgearbeitet. In welche Phase der Schweizer Asylpolitik fallen diese Morde?
Jonathan Pärli: In eine Zeit, als die sogenannt neuen Flüchtlinge aus dem Globalen Süden nicht mehr ein ganz so neues Phänomen waren. Seit Anfang der achtziger Jahre haben zunehmend Menschen aus Sri Lanka, aus der Türkei oder dem damaligen Zaire in der Schweiz Schutz gesucht. Zuvor war die Asylpolitik in erster Linie eine Sache von offiziellen Aufnahmeaktionen gewesen wie nach dem Ungarnaufstand 1956. Politisch sehen wir Ende der achtziger Jahre einen Kipppunkt: In den Jahren zuvor war es der Asylbewegung gelungen, mit Kirchenasyl und anderen Protesten der Rechten die Wortführerschaft in der Asylfrage strittig zu machen. Nun aber begann die Bewegung zu kriseln, die radikale Rechte wurde wieder tonangebend: Der aufstrebende SVP-Politiker Christoph Blocher sprach im März 1989 wegen neuerdings jährlich etwa 20 000 Asylgesuchen von «unhaltbaren Zuständen» und forderte Notrecht. Hungerstreikende Asylsuchende sollten «zur Rechenschaft» gezogen werden. Das war der Hintergrund der «rassistischen Terrorserie», von der die Asylbewegung sprach.