«Der zerrissene Osten»

Graffiti an der Wand eines Sportplatzes in Leipzig-Connewitz mit der Aufschrift «Antifa Area»

Enttäuschte Hoffnungen, rechtsextreme Umtriebe, mutige Zivilgesellschaft

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Liebe Leserin, lieber Leser

Wir freuen uns über das rege Interesse an unserer WOZ-Leser:innenreise nach Ostdeutschland. Leider ist sie schon ausgebucht. Gerne nehmen wir Sie aber auf die Warteliste und benachrichtigen Sie, falls kurzfristig jemand abspringen sollte. Schreiben Sie uns dafür Ihren Namen, Ihre Adresse, Ihre Telefonnummer und E-Mail-Adresse an unterwegs@woz.ch.

Herzliche Grüsse

Ihr WOZunterwegs-Team

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Es gibt Momente in der Geschichte, in denen sich alles ändert, in denen plötzlich wahr wird, wovon viele träumten – und die doch allzu schnell vorbei sind, so schnell, dass es oft Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauert, bis man begreift, was tatsächlich geschehen war. Einen solchen Moment erlebte die ostdeutsche Bevölkerung im Herbst 1989. Und erst allmählich – das zeigte die WOZ-Reise nach Ostdeutschland im vergangenen Sommer – wird vielen Protagonist:innen des damaligen Umbruchs bewusst, was sich verändert hat. Und was nicht.

Die Hoffnung war gross gewesen, als sich im September und Oktober 1989 Zehntausende in Leipzig zu Montagsdemos versammelten und Anfang November Hunderttausende in Ostberlin zusammenströmten und eine Reform des «realsozialistischen» SED-Regimes verlangten. Sie forderten nicht den Anschluss an die BRD und schon gar nicht eine bedingungslose Wiedervereinigung Deutschlands. Sie wollten etwas ganz anderes: eine bessere DDR, einen demokratischen Sozialismus, ein humanes Wirtschaftssystem, das «Alternativen zur westlichen Konsumgesellschaft» entwickelt, für «deren Wohlstand die übrige Welt bezahlen muss» (wie es im Gründungsaufruf der Bürger:innenbewegung «Demokratie jetzt» hiess).

Doch ihre Hoffnung war vergebens. Statt einer menschlichen Gesellschaft kamen Währungsunion und Wiedervereinigung, kamen «Besserwessis» und die Treuhand, die binnen kurzem 9000 volkseigene Betriebe mit insgesamt 4,1 Millionen Arbeitsplätzen privatisierte und liquidierte. Was folgte, war eine Ernüchterung, die den Osten Deutschlands noch heute prägt: Millionen verloren ihre Jobs; soziale Errungenschaften wurden abgebaut; die Ossis empfanden sich bald als Bürger:innen zweiter Klasse, die noch immer länger arbeiten müssen als die Lohnabhängigen im Westen und weniger verdienen.

Wie war das damals Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre? Was brachte Hunderttausende dazu, gegen ein Regime zu rebellieren, das Jahrzehnte zuvor, in der Nachkriegszeit, ein besseres Deutschland hatte schaffen wollen? Welche Fehler wurden da gemacht? Wie sah der Antifaschismus aus, den die DDR-Führung zwar propagierte, aber offenbar nur vor sich hertrug?

Heute ist der Osten Deutschlands zerrissener denn je. Dazu trug erheblich die Rechtsentwicklung eines Teils der im Osten verbliebenen Bevölkerung bei. Die Morde des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), die rassistischen Pegida-Aufmärsche, die Hetzjagden auf Ausländer:innen, die Umtriebe rechtsextremer Gruppen, die Wahlerfolge der faschistoiden AfD – all das machte Schlagzeilen. Woher kommen diese Tendenzen, die längst auch Staatsorgane (wie den Verfassungsschutz oder die Polizei) erfasst haben?

Weit weniger häufig ist von Gegenbewegungen zu hören und zu lesen. Dass es eine linke Subkultur gibt, taucht nur dann in den Medien auf, wenn die sächsische Polizei ein Quartier wie Leipzig-Connewitz aufmischt. Dass rechte Aufmärsche nicht unwidersprochen bleiben, dass es zu jeder Nazikundgebung eine Gegendemo gibt, dass sich auch in Ostdeutschland viele Antifaschist:innen in oft mühsamer Basisarbeit engagieren und Zivilcourage zeigen – das bleibt oft unerzählt.

Wie gehen jene mit den derzeitigen Verhältnissen um, die vor dreissig Jahren für einen demokratischen Sozialismus kämpften? Welche weitreichenden Änderungen planten linke Reformer:innen wie die letzte DDR-Wirtschaftsministerin Christa Luft? Was hatten zivilgesellschaftliche Gruppen wie das Junge Forum im Sinn? Wo gibt es Widerstand gegen Neonazis (auch im sportlichen Bereich)? Wie erklären sich junge Aktivist:innen die bedrohlichen rechtsnationalistischen Entwicklungen? Und warum schämten sich lange Zeit gestandene Linke für etwas, das sie nicht verhindern konnten?

Wir treffen in Leipzig und Ostberlin Zeitzeug:innen der 1989er Bewegung, der nicht genug Zeit blieb, um das umzusetzen, was sie vorhatten. Wir hören von  Historiker:innen, was gut war an der DDR – und was nicht. Wir besuchen alte Industriebetriebe, sprechen mit Aktivist:innen der neuen Bewegung «Aufbruch Ost», thematisieren die Lage der Migrant:innen, lernen von den Erfahrungen des Sportvereins Roter Stern Leipzig, debattieren mit einer linken sächsischen Landtagsabgeordneten, spazieren durch ehemalige und aktuelle Brennpunkte der politischen und sozialen Auseinandersetzungen und lernen im Gespräch mit Journalisten und Kulturschaffenden, warum so viel Zeit vergehen musste, bis sich wieder Oststimmen zu Wort meldeten. Kurzum: Wir erleben ein Ostdeutschland, wie es nur wenige kennen. Reisen Sie mit!

Pit Wuhrer

Reisedaten

1. bis 8. Juli 2023

Programm

Das detaillierte Reiseprogramm als PDF-Datei zum Download

Unterkunft / Preise /  Leistungen

Preise pro Person (inklusive Frühstück)

Leipzig: Hotel Alt-Connewitz (www.alt-connewitz.de)
Berlin: Hotel 26 (www.hotel26-berlin.de)

Doppelzimmer: Fr. 2200.–
Einzelzimmer: Fr. 2400.–

Nur Programm: Fr. 1800.–

Die Hinreise nach Leipzig und die Rückreise von Berlin müssen individuell organisiert werden und sind nicht im Preis inbegriffen. Aufgrund der vielen Sparpreise, die angeboten werden, haben wir uns für diesen Schritt entschieden.

Die angegebenen Preise sind Richtpreise, die sich je nach Wechselkurs und Anzahl Teilnehmer:innen noch leicht ändern können. Individuelle Wünsche wie zum Beispiel Aufenthaltsverlängerungen können Sie bei der Anmeldung im Bemerkungsfeld angeben. Wir versuchen, diese zu organisieren, können aber keine Garantie dafür abgeben. Wir informieren Sie jeweils so bald wie möglich. Die Zugreise von Leipzig nach Berlin sowie drei gemeinsame Mahlzeiten sind im Reisepreis inbegriffen. Auf dem Programm finden Sie die entsprechenden Hinweise.

Die Reise wird fotografisch dokumentiert. Ausserdem nehmen wir – wenn möglich – die Referate und Gespräche auf. Die Bilder und Tonaufnahmen werden allen Mitreisenden später zur Verfügung gestellt.

Bei Fragen zu dieser Reise wenden Sie sich per E-Mail an unterwegs@woz.ch oder rufen Sie uns an: +41 44 448 14 83. Wir freuen uns, wenn Sie mit uns reisen.

Literatur

Eine ausführliche Literaturliste als PDF-Datei zum Download

AGBs für die Reisen

Allgemeine Geschäftsbedingungen für die «WOZunterwegs»-Reisen als PDF-Datei zum Download

Polizeiaufmarsch bei der Leipziger Großdemo im Oktober 1989
Polizeiaufmarsch bei der Leipziger Großdemo im Oktober 1989. Foto: Pit Wuhrer
Logo des antifaschistischen Sportverein Roter Stern Leipzig an einer Wand
Mehr als nur Fußball: der antifaschistische Sportverein Roter Stern Leipzig. Foto: Pit Wuhrer
Hauswände des selbstverwalteten Jugend-Kulturzentrum in Leipzig-Connewitz mit Graffiti
Alte Bauten, neue Gemeinschaftszentren (hier: Conne Island). Foto: Pit Wuhrer
die ehemalige DDR-Wirtschaftsministerin Christa Luft
Politikerin mit Visionen: Wir treffen u.a. die letzte DDR-Wirtschaftsministerin Christa Luft. Foto: Pit Wuhrer