Kost und Logis: Puppen mit Hörgeräten

Nr. 12 –

Ruth Wysseier mag inklusive Angebote

Kürzlich las ich ein Porträt der guatemaltekischen Modedesignerin und Unternehmerin Isabella Springmühl Tejada. Sie arbeitet mit bunten Mayastoffen und traditionellen Stickereien, und das sehr erfolgreich. Mit neunzehn Jahren konnte sie ihre Kollektion an der Londoner Fashion Week vorstellen; auf Instagram hat sie 34 000 Follower:innen. Trotz ihres Talents wurde sie an der Modeschule erst mal abgelehnt, weil sie das Downsyndrom hat. Springmühl Tejada ist eine von 34 Menschen, die im Buch «Gib alles, nur nicht auf!» (Gabriel-Verlag, 2021) vorgestellt werden, zusammen mit Berühmtheiten wie Frida Kahlo, Ray Charles, Helen Keller oder Stephen Hawking.

Vorbilder sind wichtig, Repräsentation ist wichtig. Nach den Sternen greifen zu wollen, ist hierzulande ja nicht gerade eine verbreitete Eigenart. Doch nur schon die legitime Forderung, dass alle die gleichen Chancen und das Recht auf gesellschaftliche Teilhabe, Bildung und Selbstbestimmung haben sollen, wird oft bedauernd zurückgewiesen, weil dafür das Geld nicht da sei.

Wofür Geld da ist und wofür nicht, ist eine Frage der Prioritäten, dieser Meinung war ja jetzt zur allgemeinen Überraschung auch die Stimmbevölkerung bezüglich der 13. AHV-Rente. Ich hoffe sehr, dass dies eine nachhaltige Einsicht war. Vor einem Jahr wurde die Inklusionsinitiative für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen lanciert. Sie verlangt eigentlich nicht viel, nur dass alle tun und lassen können, was für Menschen ohne Behinderung im Alltag als selbstverständlich gilt. Zum Beispiel selber bestimmen, wo und mit wem man wohnt. In mehreren Kantonen gibt es jetzt dafür Assistenzbeiträge. Das Recht auf Wohnen in den eigenen vier Wänden betrifft auch die ältere Bevölkerung. Die Stadt Bern etwa führt diesen Sommer Betreuungsgutsprachen für Mahlzeitendienste oder Haushaltshilfen ein, damit Senior:innen in bescheidenen Verhältnissen länger daheim wohnen können.

Die Umsetzung der Inklusionsinitiative wird etwas kosten, klar. Aber wenn alle, die von Diskriminierung betroffen sind und denen aus Kostengründen das Recht auf Selbstbestimmung abgesprochen wird, Ja stimmen werden, dann hat sie gute Erfolgschancen.

Das Buch «Gib alles, nur nicht auf!» fand ich im Shop Ahoi in St. Gallen, für den ich hier schamlos Werbung machen will. Der Kinderladen mit Bistro ist ein Begegnungsort und eine Fundgrube für Secondhandkleider, Spielsachen und Bücher. Besonders gefällt mir, dass Inklusion und Diversität auf allen Ebenen betrachtet werden: Alter, ethnische oder soziale Herkunft, Geschlechtsidentität, körperliche und geistige Fähigkeiten und einiges mehr. Es gibt Puppen mit Hörgeräten, Braillebilder, eine Sammlung von Kinderliedern in einfacher Sprache. Kinder, die nicht der Norm entsprechen, finden sich hier repräsentiert und ermutigt. Ein geniales Konzept, ein klug zusammengestelltes Sortiment, das eine Reise nach St. Gallen allemal wert ist.

Ruth Wysseier ist Winzerin am Bielersee. «All inclusive» findet sie nur in Ferienhotels doof. www.inklusions-initiative.ch