Ein Traum der Welt: Ein trübes Spiel

Nr. 12 –

Annette Hug sitzt in imperialen Kulissen

Auch ein verregneter Sonntag bietet gute Momente. Man ist nicht dazu verdammt, im Stadion für eine Bratwurst anzustehen. Das Restaurant Shilla öffnet früh genug, um vor dem Match Familien und Einzelfans zu wärmen. Innerlich und äusserlich. Hier gibts neben koreanischem Tischgrill auch Kimchi-Jjigae, einen scharfen Suppeneintopf. Das ideale Gericht, um sich für den scharfen Wind zu wappnen, der im Letzigrund über die Ränge zieht.

Wir sind jetzt nicht mehr chinesisch. Jenny Wang hat die Grasshoppers an den Los Angeles FC verkauft. Auch die neuen Besitzer wollen Spieler verschieben, aber damit ein besseres Geschäft machen als Jenny Wang und ihr Gatte Guo Guangchang. Der steht dem Firmenkonglomerat Fosun vor, einem der grössten Chinas. Wobei er jetzt Schwierigkeiten hat, wie fast alle chinesischen Firmen. Laut «South China Morning Post» soll sein Vermögen letztes Jahr von 8,1 Milliarden auf 4 Milliarden US-Dollar gesunken sein. «Offloading» sei angesagt. Einen grossen Stahlbetrieb hat er abgestossen, weil er sich auf Biotechnologie, Pharma und Tourismus konzentrieren will. «Fosun – für ein glückliches Leben», heisst das Firmenmotto. Dazu kann GC nichts mehr beitragen. Fast fünfzig Millionen Franken soll der Klub innert dreieinhalb Jahren verbraten haben.

«Zieh dich warm an», heisst es vor dem Restaurant Shilla. Gleich ist Anpfiff. Überraschend zahlreich kommen Fans aus den Trams und Bussen, viele sind aus St. Gallen angereist.

Gefroren habe ich auch in der ehemaligen Hauptstadt des echten Reichs Silla, das in Korea «Schilla» ausgesprochen wird. Gyeongju heisst die Stadt heute. Sie ist von Grabhügeln umgeben. Wie haushohe, umgedrehte Trinkschalen sehen sie aus. Grasbewachsen. Aus einem dieser Hügel wuchsen im November 2019 Bäume heraus. Sie wirkten wie Hirschgeweih. In den Hügeln begrub vor 2000 Jahren die Königsfamilie mit ihren Toten auch deren Bedienstete. Bis buddhistische Priester den Ritus verfeinerten: Die Diener:innen wurden nicht mehr umgebracht, den toten Herrscher:innen wurden nur noch dienende Püppchen beigegeben.

Weil in den 1970er Jahren der Diktator Park Chung-hee das antike Silla für seine Propaganda entdeckte, liess er die Grabhügel neu herrichten. Das war in dem Film noch deutlich zu erkennen, den ich mir in einem Betonpavillon ansah. Man wähnte sich in einem Ben-Hur-Film. Goldene Helme und Schwerter blitzten, nichts als Schlachten und Paraden.

Die Kleinstadt Gyeongju war aber ziemlich heruntergekommen. In der trüben Markthalle blieben die Verkäufer:innen unter sich. Der Glanz der Antike färbte nicht ab, so wenig wie im Oval des Letzigrunds. Da laufen die Spieler ein wie Gladiatoren, ihre Namen muss ich mir auf dem Handy vor die Nase halten. Wir sind ein Zwischenlager in einem Spielerverkaufsnetz, das jetzt stärker mit München und Kalifornien, nicht mehr mit Portugal und Wolverhampton verbunden ist. Die Spieler bleiben nur kurz. Die Elf auf dem Platz hat noch nicht zusammengefunden. Die Grasshoppers spielen zwar nicht schlecht, sie entwickeln Druck nach vorn, aber dann kommen die Pässe nicht an, oder sie sind zu scharf, zu ungenau, man kann sie nicht annehmen. Herumtorkeln im Sechzehner.

Man fiebert trotzdem mit und friert nicht mehr. Es reicht für ein Unentschieden.

Annette Hug ist Autorin in Zürich und mag an den Heimspielen der Grasshoppers eine bestimmte Melancholie, die sich gegen jeden Versuch behauptet, den Klub als glamourös darzustellen.