Fluchthilfe: Das Signal von Trapani

Nr. 17 –

Kein Verbrechen, sondern ein Recht und eine Pflicht: Ein sizilianisches Gericht stellt das politisch motivierte Verfahren gegen die Seenothelfer:innen der «Iuventa» nach sieben Jahren ein.

das Schiff «Iuventa»
Tausende verdankten der «Iuventa» ihre Rettung, bevor sie zum Objekt einer Verleumdungskampagne wurde. Foto: René Traut, Imago

Als sie nach draussen treten, bricht unter den Unterstützer:innen lauter Jubel aus. Das Gericht der Stadt Trapani an der sizilianischen Westküste hat am Freitag sämtliche Anklagen gegen die Crew des Rettungsschiffs Iuventa sowie gegen weitere Seenotretter:innen fallen gelassen – und damit einer sieben Jahre dauernden strafrechtlichen Odyssee ein Ende gesetzt.

Den Beschuldigten war unter anderem die Zusammenarbeit mit libyschen Schlepperbanden vorgeworfen worden, ihnen drohten mehrere Jahrzehnte Haft. Die Anklage beruhte massgeblich auf den Aussagen dreier Mitarbeiter:innen einer privaten Sicherheitsfirma mit Verbindungen in identitäre Kreise. Als sie bei einer Anhörung im Februar plötzlich Gedächtnislücken aufwiesen, krachte das ganze Verfahren in sich zusammen. Die Staatsanwaltschaft – die zuvor die Verfolgung der Helfer:innen vehement betrieben hatte – erklärte die Belastungszeug:innen für «unglaubwürdig» und forderte, die im Hafen von Trapani vor sich hin rostende «Iuventa» freizugeben.

14 000 Menschen gerettet

Die Beschlagnahmung des Schiffes bildete 2017 den Auftakt zu einer eigentlichen Verleumdungskampagne gegen die zivile Seenotrettung. Die Sicherheitsangestellten hatten ihre angeblichen Beobachtungen an Lega-Politiker Matteo Salvini weitergeleitet, der sie für seine Zwecke instrumentalisierte. Zum Innenminister gewählt, liess Salvini später die italienischen Häfen für Rettungsschiffe von NGOs schliessen. «Iuventa»-Mitglied Sascha Girke wies nach dem Freispruch denn auch als Erstes auf die Folgen dieser Politik hin, die sich nicht wiedergutmachen lassen: «Als Ergebnis einer fehlerhaften, von politischen Motiven getriebenen Ermittlung sind Tausende Menschen im Mittelmeer gestorben oder zwangsweise ins kriegsgebeutelte Libyen zurückgeschickt worden.» Zuvor hatte die «Iuventa» rund 14 000 Menschen aus Seenot gerettet.

Anwalt Nicola Canestrini betonte an der Medienkonferenz in Trapani die Tragweite des Urteils: «Im Kern hält es fest, dass Seenotrettung kein Verbrechen ist, sondern eine Pflicht und ein Recht.» Allison West vom gemeinnützigen European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), das die Angeklagten unterstützte, ergänzte: «Die Entscheidung ist eine grosse Erleichterung für die ‹Iuventa›-Crew. Doch man darf nicht vergessen, dass diese Verfahren nur ein Beispiel für einen viel grösseren, beunruhigenden Trend in Europa zur Kriminalisierung von Menschen in Bewegung sind.»

Keine legalen Wege

Die Verfolgung trifft dabei längst nicht mehr nur NGOs – sondern vor allem die Flüchtenden selbst. Auf diese Entwicklung haben auch die Mitglieder der «Iuventa»-Crew im Prozess immer wieder hingewiesen. Während sie als deutsche Staatsbürger:innen die nötige anwaltschaftliche Vertretung und mediale Beachtung erhielten, um den Prozess über die langen Jahre durchzuhalten, sitzen Tausende Geflüchtete in europäischen Gefängnissen: Sie sollen bei einer illegalen Einreise geholfen haben – weil sie am Ende einer Überfahrt am Ruder eines Bootes sassen oder weil sie auf dem Landweg ein Auto steuerten. Die meisten von ihnen hatten gar keine andere Wahl, als die entsprechende Weisung der Schleuser zu befolgen, um selbst voranzukommen.

Eine Rechtspraxis, wie sie Menschenrechtsorganisationen zufolge immer häufiger ist. Verschärft wurden in den letzten Jahren aber auch die Gesetze: War für den Straftatbestand der Schlepperei früher noch eine Profitabsicht nachzuweisen, ist dies heute oft nicht mehr nötig.

Allein in Griechenland, so hielt eine Untersuchung der Initiative «Borderline Europe» 2023 fest, sind mehr als 2000 Personen wegen «Schmuggels» inhaftiert, die meisten davon Menschen, die selbst auf der Flucht sind. Sie bilden damit statistisch die zweitgrösste Gruppe nach Delikten. Im Schnitt dauerten die Gerichtsverfahren 37 Minuten und spotteten dabei jeder Rechtsstaatlichkeit, die Angeklagten hätten oft nur wenige Minuten Zeit, sich zu erklären. Mehr als die Hälfte der Verurteilten müssten eine Haftstrafe von fünfzehn Jahren bis lebenslänglich verbüssen.

Ein aktuelles Beispiel dafür ist der Fall des 59-jährigen krebskranken Familienvaters Homayoun Sabetara, der seinen Töchtern aus dem Iran nach Deutschland nachfolgen wollte. Auf legalem Weg hatte er keine Chance dazu. Unterwegs zwangen ihn Schlepper, einen Kleinbus mit anderen Geflüchteten vom türkischen Grenzfluss Evros ins griechische Landesinnere zu steuern. Nachdem ihn die Polizei aufgegriffen hatte, wurde Sabetara 2022 zu achtzehn Jahren Haft verurteilt. Am Dienstag fand in Thessaloniki die Berufungsverhandlung statt, auf Antrag der Staatsanwaltschaft wurde der Entscheid aber auf Ende September verschoben. Das Ansuchen, Sabetara bis dahin freizulassen, lehnte das Gericht ab.