Linke Medien (4): Majestätsbeleidung in der Türkei

Nr. 19 –

Im Grunde genommen heisst die türkische Tageszeitung «Evrensel» (auf Deutsch: «Universal») nicht «Evrensel», sondern «Günlük Evrensel» (Tägliche Universal), erläutert Chefredaktor Fatih Polat. Etwa ein Jahr, nachdem «Evrensel» 1995 zum ersten Mal erschienen war, wurde das Blatt verboten. Da linke RedaktorInnen in der Türkei jedoch viel Erfahrung mit Zeitungsverboten haben, wussten sie, was in einem solchen Fall zu tun ist: Der alte Name bekommt einen Zusatz, und die Zeitung erscheint erneut. «Evrensel» hat nun schon den dritten Namenszusatz.

Nicht so einfach ist das bei den Geldstrafen. Kürzlich hat der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan die Zeitung wegen einer Karikatur verklagt und rund 9000 Franken Schadensersatz zugesprochen bekommen. Die mussten den «Evrensel»-Beschäftigten vom Lohn abgezogen werden. Dabei steht der nächste Prozess schon an, Erdogan klagt nun wegen der Berichterstattung über den ersten Prozess und will noch mehr Entschädigung.

Branchenüblichen Lohn kann man bei «Evrensel» nicht erwarten. Die sechzig meist jungen MitarbeiterInnen, die die Zeitung an sieben Tagen in der Woche publizieren, investieren ein gut Teil Idealismus in ihre Arbeit. So kann der Verkaufspreis für die Zeitung einigermassen niedrig gehalten werden, mit etwa dreissig Rappen kostet «Evrensel» ungefähr so viel wie die anderen türkischen Zeitungen. Der Verkauf erfolgt nur am Kiosk, Abonnements sind in der Türkei nicht üblich. Die Auflage schwankt stark und beträgt so zwischen 7000 und 10 000 Exemplaren.

Über Wasser hält sich «Evrensel» vor allem dank der Einbettung in die Arbeiterbewegung, als deren Teil sich die Redaktion begreift. Sie steht Emek Partisi - der Partei der Arbeit - nahe, ohne Parteiorgan zu sein. Damit verfügt die «Evrensel» über ein Netz von SympathisantInnen, die Feste zu ihrer Unterstützung auf die Beine stellen oder auf andere Weise Geld sammeln.

Herausgegeben wird die Zeitung von einer Firma, der ein Komitee der Belegschaft vorsteht. Gewinne? Über eine solche Frage kann Fatih Polat nur milde lächeln. Doch ist es beachtlich, was um «Günlük Evrensel» herum sonst noch so alles aufgebaut wurde. Da gibt es eine gesonderte Europaausgabe auf Türkisch und Deutsch, eine Kulturzeitschrift «Evrensel», eine Zeitschrift für kurdische Kultur, eine Zeitschrift für Theorie und eine vierteljährlich erscheinende wissenschaftliche Zeitschrift. Diese Vielfalt ist bei allem Idealismus nur dank der niedrigen Druckkosten in der Türkei zu schaffen.

Eine Stärke von «Evrensel» ist sicherlich ihr klares Profil. «Evrensel» folgt nicht einfach dem Trend, auch nicht jedem Trend der Linken. So stellt sich die Redaktion beispielsweise entschieden gegen die informelle Koalition der kemalistischen, an Mustafa Kemal «Atatürk» orientierten Linken mit der extremen Rechten. Diese Gruppen lehnen die Europäische Union (EU) ab, weil sie eine Schwächung der Türkei fürchten, und wünschen sich einen stärkeren Einfluss der Militärs und des Nationalen Sicherheitsrats, da nur diese eine Spaltung der Türkei verhindern könnten. In «Evrensel» finden sich zwar auch durchaus kritische Beiträge zur EU. Im Unterschied jedoch zu manchen Organisationen der türkischen Linken (und der nationalistischen Rechten) arbeitet die Redaktion auch mit kurdischen Gruppen zusammen. Ausserdem hält «Evrensel» nicht am Dogma eines türkischen Staates Nordzypern fest und setzt sich für eine Aussöhnung mit den ArmenierInnen ein.

Zum bürgerlichen Lager ist die Abgrenzung ebenfalls nicht besonders schwierig. Dafür sorgt schon die Nähe zur ArbeiterInnen- und Gewerkschaftsbewegung. Die Unterschiede zu den Mainstreammedien sind ohnehin augenfällig. Von etlichen unbedeutenden regionalen Blättern abgesehen gehören Zeitungen in der Türkei in der Regel einem Bankier, der auch noch einen privaten Fernsehkanal besitzt.

Dem Zeittrend entgegen steht auch die «Evrensel»-Kritik an allen Versuchen, die Politik als Spielart der Religion zu verkaufen. «Die USA haben uns erst den radikalen Islam gebracht», sagt Fatih Polat und verweist auf Afghanistan und die staatliche Unterstützung für türkische Islamisten, «und nun setzen sie auf einen gemässigten Islam à la Erdogan. Wir wollen aber beides nicht.»

Auch wenn die Staatsanwaltschaft immer wieder vor der Tür steht, so ist die Lage heute doch nicht zu vergleichen mit den Verhältnissen während des Krieges gegen die kurdische Bevölkerung: Damals wurden viele JournalistInnen, die der kurdischen Bewegung nahe standen, von den Sicherheitskräften getötet.

Dies ist der vierte Beitrag unserer Serie «Linke Medien in Europa». Bisher erschienen Texte über Bisher erschienen Texte zu Frankreich, Österreich und Dänemark.