Konrad Hummler: Der Bankieranarchist

Nr. 27 –

Noch eben sprach man von ihm als graue Eminenz. Nun wird der Privatbankier Konrad Hummler vom Establishment verstossen. Warum?

Auf Fotos sieht er tief konservativ aus wie ein Beamter Anfang des letzten Jahrhunderts: ein kleiner Schnurrbart, hohe Stirnglatze, imaginäre Ärmelschoner. Im klimatisierten Sitzungszimmer, in Hemd und Krawatte, wirkt er wesentlich handfester: trocken und warm wie ein starker Händedruck, mit imaginären Hosenträgern.

Sein Beruf ist - als Privatbankier -, Vertrauen zu erwecken. Und trotzdem wäre das Charakteristischste an ihm nicht der konservative, väterliche, solide Habitus, sondern ein Wetterleuchten des Imaginären, das ihn begleitet wie ein Irrlicht das Schiff: Der eigene, schöpferische Funke ist der Fluch, mit dem Gott seine besten Köpfe schlägt. Er zwingt sie, die Welt neu zu erfinden.

Dabei ist allein die Liste seiner Tätigkeiten so schweizerisch solid wie ein mit Goldbarren gefüllter Mahagonischreib- tisch im Tresorraum einer Tripple-A-Grossbank: Dr. Konrad Hummler, 52, ist geschäftsführender Teilhaber der ältesten Bank der Schweiz, Oberst im Generalstab, Vater von vier Töchtern, Verwaltungsrat der NZZ, Musikmäzen, Mitbesitzer eines stockkonservativen Medienimperiums vom «Trumpf Buur» bis zu den «Schweizerischen Monatsheften», Mitglied der FDP, vernetzt mit Finanzfiguren von Thomas Matter bei Swissfirst bis Tito Tettamanti von Jean Frey (wo man munkelt, er sei über seinen langjährigen Angestellten, FDP-Nationalrat und PR-Fachmann Peter Weigelt, auch Mitbesitzer), Herausgeber eines von 15000 Leuten abonnierten Anlagekommentars, Sohn eines freisinnigen Nationalrats und St.Galler Stadtammanns. Herz, was willst du mehr, ausser ein Staub- und später ein Grabtuch?

Dr. Hummler: «Ich bin mitnichten Establishment. Obwohl ich viele Leute kenne, die es sind. Wenn Sie mehr wissen wollen, dann lesen Sie Fernando Pessoas Essay vom Bankieranarchisten. Das ist der Bankier, wie ich es sehe: Er ist allein, also der wahre Anarchist. Er hat Abstand zu allen, auch zu den Kunden. Er ist nicht Teil des Ganzen. Ich habe in den Banken einen Haufen Kollegen: Fast alle von ihnen sind geldgeil. Solche Leute können nicht beraten, weil sie persönliche Interessen haben. Ich hingegen bin nicht Teil des Ganzen.»

Glasperlen

Tatsächlich ist bei Konrad Hummler fast nichts im Geringsten so solid und selbstverständlich, wie es aussieht: Die Bank Wegelin, die er führt, und bei der er mit seinem Privatvermögen haftet, ist zwar die älteste der Schweiz, aber sie steht mit St.Gallen abseits in der Provinz. Und sie ist erst gewachsen, als Hummler sie übernahm - von 25 auf 230 MitarbeiterInnen. Und dies erreichte Hummler eben gerade nicht mit den Methoden seines verehrten Mentors, des vorsichtigen UBS-Präsidenten Robert Holzach, sondern mit frisch angestellten Doktoranden aus der HSG, die das Neueste auf dem Markt importierten: strukturierte Produkte, also Derivate - etwas vom komplexesten und heissesten, was sich im Börsenboom verkaufen liess. Hummler, obwohl er wie ein Ölbild eines Bankers wirkt, ist ein Start-up-Unternehmer, der seinen Laden mit cleveren Jungs hochzog, die später Teilhaber wurden.

Und er ist in einem risikoreichen Geschäftszweig tätig: Der Verkaufsschlager der Bank sind noch immer strukturierte Produkte - und ein selbst entwickeltes Computersystem, das angeblich alle Risiken anzeigt (was schon von ein paar Leuten versucht wurde, die heute als Pleitiers berühmt sind). Und die Grösse der Bank Wegelin ist gefährlich: Mittlere Privatbanken gelten als hoch gefährdet - wegen der schärferen Grenzkontrollen von Steuerhinterziehungsgeldern in Deutschland, der Tendenz, dass Reiche ihre Vermögen selbst verwalten, und der Informatik- und Bürokratiekosten.

Hummlers konservatives Medienimperium von der antikommunistischen Propagandaschleuder «Trumpf Buur» über den Hofer-Club (Spezialität: Aufdeckung linker Journalistenverschwörungen) bis zu den «Schweizer Monatsheften» (Spezialität: konservative Besinnungsaufsätze) ist weniger eine Machtkonzentration als eine Misserfolgsgeschichte.

WOZ: Warum haben Sie die journalistischen Wrackteile des Kalten Krieges aufgekauft?

Hummler: Es war eine Übung, von der ich mir wesentlich mehr erhofft hatte. Ich dachte, ich kaufte ein Netzwerk mit praktischem politischem Nutzen: im Minimum referendums-, maximal initiativfähig. Nach der EWR-Abstimmung war das alles kaputt. Wir waren aus Überzeugung pro EWR gewesen - und mindestens achtzig Prozent unserer Adressaten waren dagegen.

Ihre Frau fragte Sie einmal, ob Ihr publizistisches Projekt nicht ein sinnloses Glasperlenspiel sei.

Unbenommen, ich verlange viel von meiner Frau. Aber ich glaube nicht, dass sie Recht hatte. Es hat nicht geklappt, ja. Aber ich musste es probieren.

Und warum konzipieren Sie die «Monatshefte» als Aufsatzmagazin und recherchieren nicht?

Ja. Das ist leider viel zu wenig journalistisch. Das Manko ist finanziell und personell bedingt. Der Chefredaktor Robert Näf ist ein Überzeugungstäter: mehr Ideologe als Journalist. Also erscheinen eben Grundsatzartikel.

Gegen die EU, für den EWR - an dieser Position scheiterte 1992 nicht nur Hummlers Propagandamaschine, sondern auch seine Partei, der Freisinn. Es wird eines der letzten Male gewesen sein, dass Hummler, der «eine Hassliebe» zur FDP pflegt, wirklich mit ihr einig war. Neuerdings wird die Skepsis öffentlich erwidert: Mehrere FDP-Kader bezeichneten Hummler als «Aussenseiter» in der Partei. Und ihr Organ, die NZZ, veröffentlichte gegen den Mann, der kurz zuvor noch als graue Eminenz des Verwaltungsrats gegolten hatte, einen in seiner Schärfe fast einzigartigen Satz. Nachdem die NZZ zuvor aus dem Leitbild der Bank Wegelin («ehrlich, kompetent») zitiert hatte, schrieb sie: «Gegenüber seinen politischen ‹Kunden› fühlt sich der Privatbankier Hummler mit seinem Komitee offenbar nicht zur gleichen Sorgfalt verpflichtet.»

Fast gleichzeitig trat Konrad Hummler diesen Frühling auch aus Protest «gegen mangelnde Debattenkultur» aus dem prestigeträchtigen Amt als Bankrat der Nationalbank aus. Das zurückgebliebene Gremium bezeichnet Hummlers Begründung als «nicht richtig».

Grenzen

Die erstaunliche Verstossung des Privatbankiers Hummler hatte einen Grund: Er war der einzige prominente Wirtschaftskopf, der öffentlich gegen Schengen auftrat. Man warf sowohl seinen Argumenten, etwa das Bankgeheimnis sei gefährdet, als auch den von ihm finanzierten Plakaten, «EU-Kommissare freuen sich, über die Schweiz zu entscheiden», einen sehr freien Umgang mit Fakten vor.

«Nun», sagt Hummler zur WOZ, «natürlich hat es persönliche Angriffe gegeben. Sowohl auf den Inhalt als auch auf die Form der Plakate. Beide haben geknallt. Reden sollen knallen, Plakate auch. Aber das Ganze zeigt nur, wie wahnsinnig humorlos die Elite ist. Als Liberaler war ich eben dagegen, dass Grundrechte von Brüssel ausgehebelt werden.»

Es war nicht der erste Querschuss von Dr. Hummler. In seinen Interviews zum zentralen Minenfeld seines Metiers - dem Bankgeheimnis - vertrat er fast immer eine abweichende Meinung zur Branche. «Natürlich», gab Hummler kaltblütig zu, sei «ein grosser Teil der 3500 Milliarden Franken in der Schweiz verwalteten Vermögen Steuerfluchtgeld: Alles andere zu behaupten, wäre absurd.» Das sei durchaus legitim - sowohl im Fall europäischer Steuerflucht des Mittelstandes wie auch in Sachen korrupt regierter Entwicklungsländer: «Ich bleibe bei dem Satz: Jeder Stutz, den man als Entwicklungshilfeprojekt nicht gibt, ist ein Segen für die Menschheit.»

Damit argumentiert Hummler weit streitfreudiger als seine diskreten Kollegen. Und brach auch noch originell den Konsens in Sachen Zinsbesteuerungsabkommen mit der EU: Dieses sei «zu gut» verhandelt worden, sagte er, jeder wisse, wie man es umgehen könne: Man müsse also der EU pro Jahr drei bis vier Milliarden Franken freiwillig überlassen. Denn sonst stünde diese ziemlich bald wieder da - und dannzumal entschlossen, das Bankgeheimnis ernsthaft auszuhebeln.

Ebenso unerfreut waren seine liberalen Mitstreiter, als er nicht nur Sonntagsliberalismus, sondern Parallelimporte, Freihandelsabkommen sowie den Fall aller Kartelle forderte: also genau die Massnahmen, die im Parteibuch, aber nicht auf der Parteiagenda stehen.

«Sehen Sie», sagte Hummler dazu, «die Schweizer Elite ist zwiebelförmig, instinktiv pro Status quo, für die eigene Macht, in unendlich komplexen Netzwerken organisiert. Indirekt herrscht eine Subventionswirtschaft, in der Konzerne, Banken, Vereine, Gewerbe profitieren … ich frage mich nur, wer ist der Nettozahler bei diesem Umzug? Ich fürchte: der Mittelstand und die Start-up-Unternehmer. Das ist Glanz und Elend der Konkordanzdemokratie. Nie wird jemand ernsthaft infrage gestellt.»

Und Blocher?

Ich habe mich gegen Blocher im Bundesrat ausgesprochen. Seine Wahl hat nur die Konkordanz endgültig zementiert.

Melancholie

In der Tat hat Konrad Hummler sein Spiel (Gott sei Dank) und grosse Teile seines Einflusses verloren: den liberalen zu liberal, den konservativen zu begeistert für starke Brüche, den Bankiers zu laut: Er vertritt eine Position, die nur auf dem philosophischen Reissbrett, aber nicht in der Politik vorkommt. Eigentlich sei er «einer, der der FDP vom Karren gefallen ist», sagte er selbst. «Man nennt mich oft rechtsbürgerlich, aber ich kann die Rechtsbürgerlichen nicht ausstehen. Sie sind mir viel zu strukturkonservativ.» Und nun folgt ein klassisch konservatives Argument: «Was mir bei uns am meisten auf die Nerven geht, ist das Mediokritätsproblem. Lauter Mittelmässigkeit - langweilig und blöde!»

Und an was glauben Sie genau, Herr Hummler? Er denkt nach. «Ich bin enorm unsicher», sagt er dann, «und über mich am unsichersten. Ich weiss in wesentlichen Fragen nicht, was ich denken soll. Selbst in der zentralsten Frage schwanke ich zwischen Existenzialismus und einem religiös fundierten Bild. Ich muss immer aufpassen, nicht zynisch zu werden, nicht alles relativ zu sehen. Meine Verunsicherung gebietet mir grosse Skepsis gegenüber Leuten, die sicher sind. Da reagiere ich aggressiv, nein, allergisch und denke: Ihr seid im Grund genommen nicht ehrlich! Wenn man euch sichere Leute blutt auszieht, dann seid ihr grässlich. Grässlich!»

Was von Dr. Hummler bleibt - ist der beste liberal-konservative Schreiber des Landes. Seine Anlagebriefe zum Thema Börse sind hervorragend geschrieben. Oft voller Melancholie (Erfolg ist Zufall, bestenfalls eine flüchtige Gnade), voller toller Titel (etwa: «Die Pest und ihre Ursachen»), voller Meditationen etwa zum Thema Angst und Furcht, der Erinnerung an die Zwischenkriegszeit oder an Judenverfolgungen während der mittelalterlichen Pest, voller cleverer Beschreibungen von Panik bei Boom und Baisse. Er hat die melancholische Schreibweise eines Menschen, der auf grosse Zeiten zurück- und vorblickt. Dr. Hummler wäre auf Anhieb der beste NZZ-Schreiber, konservativ, klar, aktuell, mit Pointen.

Nicht umsonst schätzt er neben seiner Bank sein Musikmäzenatentum als einziges erfolgreiches Projekt ein. Wenn er davon redet, wie man Bach-Konzerte aufgeführt hat oder eine grauenhafte! grauenhafte! Schostakowitsch-Stalin-Sinfonie mit einem 300-köpfigen Kinderchor auf die St.Galler Bühne geschmuggelt habe und wie grauenhaft-grossartig! sie gewesen sei, redet ein glücklicher Banker von zwölf Jahren mit imaginären kurzen Hosen.

Zerrissenheit, Gefühl und die rigide ultraliberale Ideologie, an die sich ein leidenschaftlicher Zweifler klammert, haben eine grosse politische Karriere ruiniert. Der anarchistische Bankier gehört in die Welt der Kunst.