Mäusefänger: Der Jäger im Untergrund

Nr. 34 –

Hans Flückiger ist ein gefragter Mann. Denn in der Schweiz herrscht zurzeit an vielen Orten eine wahre Nagerplage.

«Diese Arbeit will heute niemand mehr machen», sagt der siebzigjährige Hans Flückiger*. Er kniet sich auf seine Schaumgummimatte, steckt den Eisenstab in den Erdhügel, gräbt vornübergebeugt mit den Händen den lokalisierten Gang frei und legt, nachdem er die lose Erde entfernt hat, sorgfältig die Mausefalle hinein. Flückiger ist Mäusefänger - und damit ein gefragter Mann. Fast weiss er sich nicht mehr zu wehren, ob all der Telefonanrufe von mäusegeplagten Bauern und Gartenbesitzerinnen. Das Jagdgebiet von Flückiger, der schon seit zehn Jahren als Mauser unterwegs ist, erstreckt sich mittlerweile auf sieben Gemeinden.

Sicher wie ein Fuchs spürt er auf der gemähten Wiese die Mäusegänge auf und kniet sich immer wieder von neuem nieder. Wie auf einem Golfplatz leuchten die gelben Fähnchen, mit denen er die gestellten Fallen markiert. «Das Mausen ist für mich wie eine Therapie», sagt Flückiger, der mit sechzig Jahren einen Herzinfarkt hatte und seine Arbeit als Lagerchef frühzeitig aufgeben musste. Bei ihm müsse einfach immer etwas gehen, er könne nicht lange drinnen sitzen. Deshalb mache er auch gerne Radtouren, doch im Moment komme er vor lauter Mausen kaum mehr dazu. Ja, er vergesse manchmal sogar das Mittagessen - nicht gerade zur Freude seiner Frau.

Flückiger, der mit den herkömmlichen Ringlifallen arbeitet, fängt pro Tag rund fünfzig Mäuse - sein Rekord liegt bei 108 Tieren. Das sind pro Jagdsaison (März bis September) durchschnittlich 3500 Nager. Angesichts des grossen Vermehrungspotenzials der Mäuse gewinnt diese Zahl noch an Bedeutung. Denn: Ein Wühlmauspärchen kann von Frühling bis Herbst zu einer 500-köpfigen Mäuseschar anwachsen. Und die kleinen Nager sind gefrässig: Bei einer maximalen Mäusepopulation von tausend Tieren pro Hektar werden in einem Monat rund tausendfünfhundert Kilo Wurzeln verzehrt. Mit den dadurch verursachten Schäden wird Flückiger tagtäglich konfrontiert: verkümmerte Obst- und Gemüsegärten, kaputte Wiesen, verunreinigtes Futter. Schäden, die die Landwirte teuer zu stehen kommen (gemäss Berechnungen der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Agrarökologie und Landbau (FAL), beläuft sich der Schadenswert pro Maus auf durchschnittlich 3.50 Franken).

Der Jäger in Gummistiefeln und Arbeitskittel hält mit den Handschuhen einen gefangenen Nager in die Luft und betrachtet das kleine Pelztier mit den unschuldigen Äuglein. «Als Mäusefänger muss man schon ein bisschen brutal sein.» Es sei ihm auch schon mit dem Tierschutz gedroht worden, doch seine Fangmethode sei immer noch die natürlichste von allen, sagt Flückiger - und gestikuliert dabei mit der toten Maus in der Hand.

Auch Jean Malevez, Spezialist für ökologische Mäusebekämpfung, sieht im Mäusefang nur Vorteile. «Die hohe Kunst des Fallenstellens ist es, nur auf die Nager abzuzielen», so Malevez. Zudem handle jemand, der entscheiden müsse, ob er lieber den Salat im Garten oder die tote Maus in der Falle habe, wohl auch bewusster als jemand, der einfach Gift in den Mäusegang streue und nicht sehe, was er damit anrichte. Denn sowohl der Einsatz von Mäusegift als auch das Vergasen der Mäuse mit Kohlenmonoxid - das zurzeit im Bioanbau noch zugelassen ist, obwohl es nicht nur den Anwender selbst gefährdet, sondern auch in Boden und Grundwasser Schadstoffe hinterlassen kann - bergen nicht kontrollierbare Risiken: Das Gleichgewicht im Ökosystem wird gestört, und der Bestand der natürlichen Feinde wie Fuchs, Wiesel, Hermelin oder Greifvogel - die bei geeignetem Lebensraum eine Schlüsselrolle in der Regulierung der Mäusepopulation spielen - dezimiert. Kurzfristig ist man zwar mit solch radikalen Bekämpfungsmethoden die unerwünschten Nagetiere los, doch im Endeffekt wird damit nur das Gegenteil erreicht, nämlich noch mehr Mäuse.

Zudem liegt die Anwendung von verschiedenen in der Schweiz erhältlichen chemischen Mitteln im gesetzlichen Graubereich. Dies führt insbesondere bei den BäuerInnen zu Verunsicherung. «Bund und Behörden müssen insbesondere beim Einsatz von Rodentiziden Klarheit schaffen», sagt Malevez, der bisher mit diesem Anliegen auf taube Ohren gestossen ist. Rodentizide sind Kumarinderivate (z.B. Bromadiolone, Brodifacoum, Difethialone), die in der Nagetierbekämpfung als Giftköder eingesetzt werden, wobei das vergiftete Tier innerlich verblutet und erst nach mehreren Tagen vollkommen verendet ist. Gemäss verschiedenen Laborstudien ist zwar das Risiko einer Sekundärvergiftung durch Rodentizid-Giftköder für die natürlichen Feinde der Mäuse gering, doch die in der Natur gemachten Beobachtungen zeigen ein anderes Bild. So wurden in den Jahren 1981 und 1982 im Rahmen einer Grossoffensive im Kanton Neuenburg 150 Quadratkilometer Wiesland mit Mauspflügen behandelt, das heisst, es wurden künstliche Mäusegänge angelegt und darin sechzig Tonnen Bromadiolone-Rodentizide ausgebracht. Die Auswirkungen auf den Wildtierbestand waren verheerend: Nach Untersuchungen des Jagd- und Fischereidepartements des Kantons Neuenburg wurden durch den grossflächigen Gifteinsatz in diesem Gebiet die Rotmilan-, Habicht-, Mäusebussard- und Fuchspopulationen zum Teil vollständig zerstört.

Trotzdem sind Rodentizide bis heute im Verkauf - auch wenn mittlerweile bei Ratten gar der wissenschaftliche Nachweis ihrer Resistenz existiert. Martin Huber, Leiter der Sektion Pflanzenschutzmittel und Dünger des Bundesamtes für Landwirtschaft (BLW): «Bei der Zulassung der Rodentizide arbeiten wir in Abstimmung mit der EU.» Das weitere Vorgehen sei deshalb abhängig vom Reevaluationsverfahren, das zurzeit auf EU-Ebene laufe. «Sicher bald aus dem Handel gezogen werden in der EU jedoch Difethialone-Produkte», beteuert Huber, «in der Schweiz wird darüber in den nächsten Wochen entschieden.» Diese Produkte sind hierzulande seit rund zehn Jahren auf dem Markt und können fürs Gartenbeetli insbesondere bei Coop und Migros bezogen werden. Bei den Anwendungsauflagen ist lediglich zu lesen: Auf Vorsichtsmassnahmen zum Schutz vor Vergiftungen (Mensch, Haus- und Wildtiere) ist hinzuweisen.

Ernsthaft prüfen sollte der Bund auch das kürzlich auf den Markt gekommene Gerät aus Amerika mit dem verheissungsvollen Namen Rodenator, bei dem in den rund vierzig Meter langen Mäusegängen auf Knopfdruck ein explosives Propangas-Sauerstoff-Gemisch gezündet und alles, was darin kreucht und fleucht, in die Luft gesprengt wird. Bisher fehlen bezüglich dieses wohl nicht ganz tier- und artenschutzkonformen Mäusebekämpfungsmittels, das auf der amerikanischen Website wie ein Spielzeug angepriesen wird, jedenfalls jegliche offiziellen Empfehlungen.

«In der nachhaltigen Mäusebekämpfung ist man bis heute nirgends», so Malevez, der mit der Erfindung der Topcat-Mäusefalle (handlicher und effizienter als die herkömmlichen Ringlifallen) und der eine effiziente Mäusebekämpfung zudem ein Mäusemanagement nötig, das heisst ein konsequentes und koordiniertes Vorgehen. Denn: Ist eine Fläche leer gemaust, wird diese für die auswandernden Jungmäuse aus der Nachbarschaft attraktiv (Wühlmäuse betätigen sich nicht gerne als Tunnelarbeiter). Dabei sei es nicht nur wichtig, dafür zu sorgen, dass sich die natürlichen Feinde der Mäuse ansiedeln können, sondern auch dass wieder vermehrt gemaust werde. «Würden in den Gemeinden wie früher regelmässig Mäusefänger eingesetzt, so würde die Mäuseplage vermutlich keine solchen Ausmasse annehmen», Mäusefänger zu schaffen, haben zahlreiche Gemeinden die Mäuseschwanzgelder abgeschafft.

Hans Flückiger streicht sich mit dem Handrücken die Schweissperlen von der Stirn unter der weissen Schirmmütze und verstaut die gefangenen Mäuse in einem Plastiksack. Fein säuberlich notiert er darauf die Stückzahl. «Beim Wegmeister wird alles genau abgerechnet.» Je nach Gemeinde erhält Flückiger zwischen einem und zwei Franken fünfzig pro Mäuseschwanz. Doch das Abschneiden der Mäuseschwänze überlässt er seinen jeweiligen Auftraggebern. «Ich mag viel ertragen», sagt der erfahrene Mäusefänger, «aber das graust mir.» Und was machen die Bauern und Bäuerinnen mit den toten Mäusen? Die werden auf dem Feld den Füchsen zum Frass vorgeworfen. Flückiger lädt die vollen Säcke auf seinen Anhänger, steigt auf sein Töffli und fährt mit seiner Beute davon. Dass er diese nicht auf die Gemeinde bringt, die am meisten dafür bezahlt, ist Ehrensache.

* Name von der Redaktion geändert.