Grundrechte: Gegen Hooligans, auch in der Politik

Nr. 15 –

Das Hooligangesetz schafft elementare Grundrechte ab und kriminalisiert ganze Fankurven. Die Basler Muttenzerkurve meldet: «Wir lancieren das Referendum!»

«Ist es nicht gut, dass wir ein Gesetz bekommen, das uns vor Hooligans schützt?», fragt ein Bekannter.

Eine gute Frage. Die entscheidende vielleicht. Wer will nicht vor Hooligans geschützt werden? Deswegen hat Christoph Blocher dem Gesetz diesen Namen gegeben. Um mit einem solchen Papier, das elementare Grundrechte ausser Kraft setzt, durch die Räte zu kommen, braucht es starke Worte. «Hooligan» ist ein solches Wort.

Doch das so genannte Hooligangesetz sieht polizeiliche Zwangsmassnahmen für Menschen vor, die nichts verbrochen haben. Es verletzt elementare Grundrechte, zum Beispiel das Recht auf Überwachungsfreiheit oder das Recht, dass nur mit Zwangsmassnahmen belegt wird, wer auch etwas verbrochen hat. Wer gegen Gesetze verstösst, wird bestraft. Wer nicht gegen Gesetze verstösst, wird nicht bestraft. Das ist ein einfacher, aber essenzieller Grundsatz des Rechtsstaates.

Verfassungswidrig

Das Parlament erhofft sich durch das Hooligangesetz mehr Effizienz in der Hooliganismusbekämpfung. Blocher erwischte die Räte nackt: Die Zeit ist knapp! Die Europameisterschaft kommt! Die Hooligans stehen bereits an der Landesgrenze! Deswegen bleibe keine Zeit für Details. Ein solches Detail wäre gewesen: Das Hooligangesetz ist verfassungswidrig. Das weiss auch der Justizminister: «Wenn wir die Euro nicht hätten, dann - ich gebe es zu - hätte ich gesagt: Wir machen es etwas anders, wir legen nämlich die Verfassungsmässigkeit eindeutig fest! Sie ist heute nicht gegeben, sie ist nicht eindeutig gegeben.» Für das Magazin «Facts» ist klar, dass nun die «harten Jungs» härter angefasst werden. Dass durch das Gesetz bereits Zwölfjährige von Zwangsmassnahmen betroffen sein können, wurde in den Räten mit Schulterzucken zur Kenntnis genommen.

Grundrechte ade: Das Hooligangesetz hebelt die Unschuldsvermutung aus. Wer im Verdacht steht, ein Hooligan oder ein aggressiver Fan zu sein, wird mit Sanktionen belegt. Die Sanktionen sind: Aufnahme in die Hooligandatenbank. Es folgen Rayonverbote, Ausreisesperren, Meldeauflagen (tägliches oder stündliches Melden beim nächsten Polizeiposten), präventiver Polizeigewahrsam bis zu 24 Stunden. Schon Fünfzehnjährige können in Haft genommen werden. Die Zwangsmassnahmen richten sich nicht ausschliesslich gegen verurteilte StraftäterInnen. «Die Zwangsmassnahmen gegen möglicherweise Unschuldige waren ein Grund, warum die SP das Hooligangesetz einstimmig ablehnte», sagt SP-Generalsekretär Thomas Christen. Und weiter: «Es ist ein berechtigtes Anliegen, gegen Hooliganismus vorzugehen. Doch dieses Gesetz ist der falsche Weg.»

Private als Richter

Wer fällt die Urteile? Ein Gericht? Nein. Die Mühlen der Justiz mahlen Christoph Blocher zu langsam. Es muss ruck, zuck gehen, auch wenn dabei die Rechte der Betroffenen auf der Strecke bleiben. «Der Nachweis für Sanktionen erfolgt in der Praxis durch Aussagen der Polizeibeamten, der Fanbeauftragten der Sportvereine oder des Sicherheitspersonals der Stadien sowie durch Film- und Fotoaufnahmen.» Die Exekutive wird zur Judikative. Securitas-Leute werden zu vom Staat legitimierten Richtern. Beschwerden haben keine aufschiebende Wirkung. Der von Polizei oder Securitas beschuldigte Fan gilt als schuldig, bis er seine Unschuld bewiesen hat. Das ist ein Schuss ins Herz der Grundrechte: Wo die Unschuldsvermutung abgeschafft wird, stehen ganze Fankurven unter Generalverdacht. Wo die Willkür gesetzlich verankert ist, ist Willkür programmiert. Es wird ein Verdachtsklima geschaffen mit Halbschuldigen, Fastschuldigen, Wahrscheinlichschuldigen, Eventuellschuldigen. Es ist unklar, wer alles in der im Hooligangesetz vorgesehenen ominösen Hooligandatenbank landen wird. Das Ziel sind offenbar jugendliche Fans, die einmal zu weit gehen - oder auch nicht. Wie wird sich das auf PolizistInnen und Mitarbeitende privater Sicherheitsdienste auswirken, wenn sie plötzlich eine solche Macht haben?

Natürlich wird dieser Abbau von Grundrechten gewisse Hooligans davon abhalten, an der Euro 2008 Krawall zu machen. Mit Repression kriegt man alles hin. Doch zu welchem Preis? Das Gesetz ist auch eine Bankrotterklärung. Maximal 1000 Personen gehören laut Polizei in der Schweiz zu den «erlebnis- und gewaltorientierten Fans». Davon gelten 200 als Hooligans. Die meisten von ihnen sind der Polizei bekannt. Die Fanbeauftragten kennen die meisten beim Vornamen. Reichen 200 Hooligans, um die Grundrechte aller BürgerInnen einzuschränken?

Gesetz ist nicht befristet

Lange hiess es, das Hooligangesetz sei zeitlich befristet. Dies hatte die GegnerInnen aus den bürgerlichen Lagern milde gestimmt, auch wenn Thomas Pfisterer (FDP) im Ständerat gefragt hatte: «Ist eine befristete Verfassungsverletzung nicht auch eine Verfassungsverletzung?» Von wegen befristet! Christoph Blocher hat die Katze in der Diskussion im Ständerat kurz vor der Abstimmung aus dem Sack gelassen: «Es war nie - nie! - unsere Absicht, die Sache nach 2008 auslaufen zu lassen, sondern es ist die Absicht, bis dann die ganz klare Regelung zu machen, so, dass es dann eben eindeutig ist und keine Zweifel mehr bestehen.» Keine Zweifel: Die Demokratischen JuristInnen Schweiz sind überzeugt, dass das Gesetz bald von Sportveranstaltungen auf andere Bereiche, zum Beispiel Demonstrationen, ausgeweitet wird.

Das Ja zum Hooligangesetz ist der Sieg eines politischen Extremisten. Dass sich die Liberalen nicht wehren, ist erstaunlich. Und die SVP? Noch im Herbst hatte sich die Zürcher Kantonalpartei gegen den von der FDP geplanten Wegweisungsartikel massiv gewehrt, genau mit den Worten, die Übervater Blocher jetzt nicht hören will: Das Freiheitsrecht des Einzelnen sei auch ein Abwehrrecht gegenüber dem Staat. Die CVP hofft einfach, wie es Nationalrätin Viola Amherd sagte, «dass die Euro eine Chance ist, unser Land von seiner besten Seite zu zeigen: als guter Organisator, als gut organisiertes und friedliches Land mit einer weltoffenen Bevölkerung». Einer Demokratie entsprechende Grundrechte könnten den Frieden offenbar gefährden. SP und Grüne waren einstimmig gegen das Gesetz. Das Referendum ergriffen sie jedoch nicht. Beide begründen es mit einem «vollen Jahr» - einem mit Initiativen und dem Doppelreferendum gegen Asyl- und Ausländergesetz gefüllten Kalender. «Politik ist immer auch eine Frage der Prioritätensetzung», sagt SP-Generalsekretär Christen.

«Referendum kommt»

In der Eishockey- und Fussballfanszene gab es bisher nur wenige Bemühungen, das Referendum zu ergreifen. Kurz vor Redaktionsschluss kam jedoch ein Anruf aus Basel. Eine Gruppe aus dem Dachverband der Muttenzerkurve des FC Basel, der grössten Fankurve der Schweiz, will das Referendum gegen das Hooligangesetz ergreifen. In diesen Tagen soll das Komitee gegründet werden. «Der Name des Gesetzes ist perfid und täuschend», sagt Stefan Kohler vom Dachverband. «Mit dem Gesetz kann zwar etwas gegen Hooligans getan werden, doch die Willkür kann alle Fans treffen. Wir werden alle kriminalisiert. Das Gesetz geht viel zu weit.» Man sei sich bewusst, dass die Zeit knapp sei. Die Referendumsfrist läuft bereits. Bis am 13. Juli müssen 50 000 Unterschriften gesammelt und von den Gemeinden beglaubigt sein. Lokalpatriotische Rivalitäten sollen deshalb beim Referendum auch keine Rolle spielen. «Wir stehen in Kontakt mit anderen Fangruppen. Wir würden in dieser Sache selbstverständlich auch mit der Südkurve des FC Zürich zusammenarbeiten.» Kohler ist optimistisch, dass bei einem schweizweiten Zusammenschluss von Eishockey- und Fussballfans das Referendum zu schaffen sei. Die Muttenzerkurve kann auf politische Unterstützung hoffen: Obwohl sie selbst das Referendum nicht ergriffen haben, wären vor allem die Grünen, aber auch die SP bereit, das Referendum zu unterstützen. Dies sagten die jeweiligen Generalsekretäre Hubert Zurkinden und Thomas Christen gegenüber der WOZ. Wie eine solche Unterstützung aussehen würde, erklärt Catherine Weber von den Demokratischen JuristInnen: «Die Bögen kämen in den Mitgliederversand der Parteien, es gäbe Aufrufe, Unterschriften zu sammeln, und womöglich auch finanzielle Unterstützung.» Es bleibe wenig Zeit, doch es sei zu schaffen, sagt Weber und bietet der Muttenzerkurve in Sachen Know-how ebenfalls Unterstützung an.

Kommt das Referendum nicht zustande, soll das Gesetz per sofort eingeführt werden. Vielleicht wird dann der Bekannte in ein paar Jahren eine andere Frage stellen: «Wer schützt uns vor denen, die uns vor den Hooligans schützen sollen?»