Strassenbanden: Wen die eiserne Faust trifft

Nr. 29 –

Die Maras gelten in Zentralamerika als Staatsfeind Nummer eins. Ihre Bekämpfung dient einem neuen gesellschaftlichen Autoritarismus.

«Wir sind schon in den Wohnquartieren. Wir haben Polizei und Armee in die östlichen Quartiere von San Salvador entsandt.» Mit diesen Worten erläuterte der salvadorianische Staatspräsident Tony Saca Ende November 2005 den Einsatz von Armeepatrouillen und Militärpanzern gegen die Strassenbanden, die so genannten Maras. Laut Angaben von Verteidigungsminister Otto Romero sind schon 1700 Militärs in den Anti-Mara-Kampagnen aktiv. Eine gleiche Militarisierung erleben Honduras und Guatemala. Schon Anfang Februar 2005 beschlossen die Präsidenten von Guatemala, El Salvador, Honduras und Nicaragua die Schaffung einer regionalen Militäreingreiftruppe unter der Führung der USA gegen «Banden und Terrorismus».

Gangs und Strassenbanden haben in Mittelamerika laut führenden SicherheitsexpertInnen die Guerilla als Staatsfeind Nummer eins abgelöst. 2003 führte der damalige Präsident von El Salvador, Francisco Flores, die Politik der «mano dura», der eisernen Faust, ein. Vorbild dazu war Honduras. Die drakonischen Strafverschärfungen (wie dreissig Jahre Gefängnis für anhand von Tätowierungen «nachgewiesene» Mara-Mitgliedschaft, selbst für Zwölfjährige) wurden seither wegen des Protests verfassungstreuer RichterInnen, der Kinderschutzkommission der Uno und von Amnesty International modifiziert. Allerdings hat sich an der Ausrichtung nichts geändert.

Ausgeschaffte aus Los Angeles

Die Mara-Gangs sind in Zentralamerika seit den achtziger Jahren als Selbstorganisation armer männlicher Jugendlicher entstanden. In den neunziger Jahren ist eine Radikalisierung ihres Gewaltverhaltens festzustellen. Grund dafür dürfte in der weiteren gesellschaftlichen Verelendung liegen, aber auch im Einfluss von Gangmitgliedern aus den USA. Dort steht der traditionellen Latinogang Mara 18 (benannt nach der 18. Strasse im Stadtteil Rampart von Los Angeles) in tödlicher Konkurrenz die Mara 13 (oder Mara Salvatrucha) gegenüber. Nach den antirassistischen Revolten in Los Angeles 1992 begannen die US-Behörden Gangmitglieder, die aus Zentralamerika stammen, in ihre «Herkunftsländer» zu deportieren. Viele kannten ihre neue Heimat nur vom Hörensagen. Dort angekommen, integrierten sie sich in die lokalen Cliquen an der Strassenecke. In der Folge entwickelten sich erst in El Salvador, danach in Honduras und Guatemala, später anscheinend auch in Mexiko die Maras 18 und 13. Je nach Quelle haben sie heute zwischen einigen zehn- und zweihunderttausend Mitglieder. Sie sind im Crackdeal auf der Strasse präsent, erheben von Buskooperativen Wegzoll für die Fahrt in Armutsquartiere und legen manchmal Raubopfer wegen eines zu wenig unterwürfigen Blicks um. Die Initiationsriten für die wachsende Zahl weiblicher Mitglieder beinhaltet oft eine Gruppenvergewaltigung. Gangstrukturen übernehmen zudem Aufgaben beim Drogenschmuggel und in den Schleppnetzen der Migration. Das erlaubt, die Maras der transnationalen «organisierten Kriminalität» zuzurechnen. So erfolgt der Militäraufmarsch an der Südgrenze Mexikos gegen «illegale» MigrantInnen unter Verweis auf die Maras, genauso wie auch US-Präsident George Bush die Militarisierung der Grenze zu Mexiko so mitbegründet.

Der Begriff Maras bezeichnet äusserst komplexe, unterschiedliche Realitäten. Die gängige Übersimplifizierung dient einer repressiven Hetze. So ordnen die Behörden in El Salvador praktisch jeden Mord den Maras zu. Seit Beginn des «Kriegs gegen die Maras» ist hier die tägliche Mordrate von 6 bis 7 auf 10 bis 11 emporgeschnellt, wobei etwa die Ombudsstelle für Menschenrechte, wie ihre Pendants in Guatemala und Honduras, viele dieser Morde als Ergebnis sozialer «Säuberungsaktionen» durch parastaatliche Kommandos brandmarkt. Das hindert die Behörden nicht daran, die explodierende Mordrate als Argument für weitere Militäreinsätze und für Gesetzesverschärfungen zu verwenden.

Diese Politik der lokalen Regierungen führt die Zeitschrift «Foreign Affairs» vom Mai 2005 auf entsprechende Vorgaben Washingtons zurück. So hat die US-Bundespolizei FBI ihr National Gang Intelligence Center mittlerweile um eine Filiale in San Salvador erweitert, die den polizeilichen Zugriff auf die Maras sowie auf Strukturen der «illegalen» Immigration in Zentralamerika in Zusammenarbeit mit der neuen internationalen US-Polizeischule ILEA, ebenfalls in San Salvador, leiten soll.

Gruss aus dem Irak

In der Pentagon-Studie «Strassenbanden: Der neue Aufstand in den Städten» vom März 2005 schreibt Max Warmaning: «Aufständische und Gangs sind an einem hochkomplexen politischen Problem beteiligt: dem politischen Krieg». Der Autor arbeitet für das Südkommando der US-Streitkräfte (Southcom). In seinen jährlichen Auftritten vor dem US-Kongress pflegt dessen Kommandant die Maras als eine der wichtigen militärischen Sicherheitsherausforderungen des Kontinentes zu bezeichnen. Er knüpft dabei an das Theorem der «gescheiterten Staaten und Zonen» an, wo die «internationale Gemeinschaft» die staatliche Autorität wieder herstellen müsse. Die Maras bewirkten «rechtsfreie» städtische Zonen und beherrschten dank ihrer Integration in die «organisierte Kriminalität» entsprechende ländliche Zonen wie die Atlantikküste von Honduras und Nicaragua immer mehr. Southcom-Chef Bantz Craddock Ende Mai 2005: «Wir wissen, dass die Zonen ohne Gesetz und ohne Regierung Gebiete sind, welche terroristische Elemente anziehen.»

Die Parallele, etwa zum Irak, ist augenfällig. So schreibt der «Boston Globe» am 24. März 2005 zur zitierten Southcom-Studie: «Nach zwei Jahren anhaltender Gewalt kommt eine Studie des Army War College zum Schluss, dass amerikanische Truppen im Irak nicht eine zusammengewürfelte Armee bekämpfen, sondern einen Feind, der mehr hoch entwickelten, gewalttätigen Strassenbanden wie den mächtigen zentralamerikanischen Gangs gleicht.» Dementsprechend haben gemäss der «New York Times» Kommandanten der US-Marines, denen Problemzonen wie etwa Falludscha im Irak zugeteilt sind, Los Angeles besucht, um von der Gangbekämpfung der Polizei zu lernen.

Im Zusammenhang mit den Strassengangs von politischem Krieg zu sprechen, bekommt in El Salvador, wo eine starke linke Opposition existiert, noch eine andere Dimension. Denn die gelegentlichen polizeilich-militärischen Besetzungen von Armutsquartieren, mit Panzern, flächendeckenden Hausdurchsuchungen und Fichierung aller «Verdächtigen» spielen sich auch in Zonen mit starker Präsenz der ehemaligen Guerillapartei FMLN ab, in Quartieren, deren BewohnerInnen zunehmend zur direkten Aktion übergehen, um sich das Recht etwa auf Anschluss an die Wasserversorgung zu erkämpfen. Letztlich werden in Ländern wie El Salvador die Gangs aber auch als Vorwand benutzt, um die Quartiere von Mittel- und Oberschicht im Stil von Gated Communities polizeilich und stadtplanerisch abzuschirmen, während andererseits die tägliche Brutalität in den Quartieren der Unterklassen zur Normalität wird. ◊