«Milk» vs. «The Wrestler»: Zwei Männer, zwei Kämpfe

Nr. 10 –

Verdankt Sean Penn seinen Oscar Barack Obama? Gedanken über Männer- und Gesellschaftsbilder anhand zweier grundverschiedener Filme.


Nach der Überdosis Privatleben der neoliberalen Jahre ist das Bedürfnis nach Politik gross. Auch im Kino. «Milk» von Gus Van Sant (siehe WOZ Nr. 7/09) ist ein Film, der daran glaubt, dass Politik die Gesellschaft gestalten kann. Und dass Menschen, die sich zusammenschliessen, etwas verändern können. Van Sant zeigt sehr schön, wie der Kampf um Harvey Milks Stadtratssitz in San Francisco einem zerstreuten Haufen junger Schwuler eine Aufgabe und eine Heimat gibt. Milk bringt seine Anliegen in einer uramerikanischen Rhetorik vor, zitiert aus der Verfassung und prägt griffige Slogans wie «You gotta give ’em hope.» Da ist Barack Obamas «Yes we can» nicht weit. Und wie Obama hat Milk im Film etwas von einer Lichtgestalt, die für die gute Sache das Leben aufs Spiel setzt. «Milk» ist so sehr ein Film der Obama-Ära, dass sich die Frage aufdrängt: Hätte Sean Penn als Harvey Milk den Oscar als bester Hauptdarsteller auch gewonnen, wenn John McCain Präsident geworden wäre? Oder wer dann? Mickey Rourke als Randy in «The Wrestler»?

Der einsame Kämpfer

Das ist natürlich nur eine Stammtisch- beziehungsweise WOZ-Büro-Theorie. Doch tatsächlich könnten die Gesellschaftsbilder in den beiden Filmen kaum gegensätzlicher sein. Es gibt in «The Wrestler» kein politisches Feld, es gibt nur das Individuum, das sich isoliert durchs Leben kämpft. Zwar zeigt Regisseur Darren Aronofsky, wie arm und schäbig der angeschlagene Wrestler Randy lebt - die hell erleuchteten Supermärkte, in denen er seinen Lebensunterhalt verdient, sind eindrücklich in ihrer Hässlichkeit. Aber Sozialkritik ist das noch nicht. Der Film versucht zwar modern zu sein - Randys Tochter ist lesbisch, die Stripperin Cassidy eine alleinerziehende Mutter -, bleibt dabei aber an der Oberfläche. Und am Schluss des Films ist Cassidy doch ganz klassisch die Geliebte, die sich um den Mann sorgt, der in den Kampf zieht. «The Wrestler» basiert letztlich ganz auf dem alten, reaktionären Mythos des Mackers, der nicht anders kann; der scheitert, aber dennoch ein Held ist, weil er «sich selbst treu bleibt».

Wie zerstörerisch dieser Mythos ist, hat Ang Lee vor drei Jahren mit «Brokeback Mountain» gezeigt: Er erzählte die Geschichte eines Mannes, der einen Mann liebt und nicht anders kann, als diese Liebe zu unterdrücken, weil sie seiner Vorstellung von Männlichkeit nicht entspricht. Und der damit nicht nur sein Leben ruiniert, sondern auch das aller anderen um ihn herum. (Heath Ledger, der die Rolle grossartig verkörperte, bekam damals keinen Oscar - aber das war ja auch noch in der Bush-Ära.) Aronofsky hingegen lässt Randy am Ende doch noch triumphieren und bestätigt so den Mythos.

Unterdrückte Homoerotik à gogo

Wer sich vom Männerbild des Films angesprochen fühlt, mag «The Wrestler» berührend finden. Für andere ist er nur deprimierend - bis in die Details: Natürlich sucht der geschlagene Held nur bei Frauen Trost - vor seinen Wrestling-Kumpels, die ihn angeblich so sehr lieben (unterdrückte Homoerotik à gogo), kann er keine Schwäche zugeben. Und natürlich muss sich Cassidy, die sich gegen seine aggressive Annäherung im Stripclub gewehrt hat, am Ende doch noch dafür entschuldigen.

«Milk» berührend finden können hingegen nur ZuschauerInnen, die hinter den Anliegen stehen, die Milk vertrat, und die die eigene potenzielle Homophobie losgeworden sind. Interessant ist in diesem Zusammenhang die «Weltwoche»: Mickey Rourke auf dem Titelbild, innen noch dreimal Mickey Rourke; oben ohne, mit Hündchen, beim Boxen. Daneben einmal Sean Penn, betitelt als «der Mann für Schwulitäten, Madonna und Charles Bukowski». Schon in der Vorwoche hatte die «Weltwoche» Rourke gefeiert und über Penn gelästert - und dabei Rourke zitiert: «Ich hab ihm seine Darstellung nicht abgekauft.»

Damit steht Rourke ziemlich alleine. Sean Penn spielt eine Rolle. Wie er sich in einen Schwulen der siebziger Jahre hineinfühlen kann, der nach Jahrzehnten der Selbstverleugnung die Aufgabe fürs Leben findet, ist eine Leistung. Auch Rourke kann sich in den Wrestler Randy hineinfühlen. Doch so grossartig ist das nicht: Er spielt sich selbst.