Kutti MC und Göldin: Zwei Herren kurz vor dreissig

Nr. 40 –

Die beiden einheimischen Sprachperformer legen neue Alben vor, in denen sie sich genauso wenig um Genres wie um Konventionen kümmern. Und dann steht da noch einer aus Solothurn in den Startlöchern.


Kurz vor dem Ende des Jahrzehnts und gerade noch bevor sie dreissig Jahre alt werden, bringen Kutti MC und Göldin ihre neuen Alben in die übrig gebliebenen Plattenläden. Wo diese letzten MohikanerInnen die beiden Scheiben einordnen sollen, dürfte sie vor ein Rätsel stellen: Rap? Wohl kaum. Pop könnte für Kutti MC vielleicht knapp hinhauen, Göldin und Punk würden allenfalls noch ganz gut passen.

Dass sich die beiden sprachgewaltigen Herren wenig um Genres und Einordnungen kümmern, ist bekannt, und dennoch verleiht ihnen die Geschmackspolizei der Hip-Hop-Gemeinde immer noch das Attribut «schlechte Rapper» – als ob sie je danach gefragt hätten. Hier geht es nicht um fein ziselierte Reime mit flotten Sprüchen über Frauen mit grossen Brüsten und dicken Goldketten. Das Wort ist das Wort, und es kracht und schlägt so ein, wie es sein muss: direkt, markig, einfühlend.

Die beiden Brillen- und Hemdenträger veröffentlichen ihre Alben denn auch nicht bei den wichtigen Machern von Nation Music, dem Drehpunkt der konformen Hip-Hop-Welt der Deutschschweiz. Die Musik ist weniger das Gerüst als die Untermalung der Texte. Das kommt nicht von ungefähr: Kutti MC veröffentlichte unter seinem bürgerlichen Namen Jürg Halter beim Ammann-Verlag zwei gefeierte Gedichtbände, während Göldin den WOZ-LeserInnen als Daniel Ryser ziemlich bekannt sein dürfte. Auch wenn die beiden Endzwanziger so einiges verbindet, ist es doch erstaunlich, wie unterschiedlich sich der Übergang ins neue Jahrzehnt ankündigt: Weckt die wärmende Sonne bei Kutti MC endlich zuversichtliche Hormone, so pushen Blaulicht und Brandbeschleuniger Göldins Adrenalinwerte in neue Höhen.

Kutti MC

Wohin es Kutti MC treibt, hat die im Sommer vorab veröffentlichte Single «Sunne» mit dem entsprechenden Video schon angekündigt: Die himmeltraurige Stimmung des letzten Albums «Dark Angel» ist einer neuen, bescheiden aufkeimenden Zuversicht gewichen. Das Leben erdrückt nicht mehr nur, die Zeit der Anklage und der Persiflage hat ein Ende gefunden. Ist die Welt auch nicht alleine zu retten, schimmert zumindest die Möglichkeit durch, dass man sich aus dem Sumpf der eigenen Zwänge selbst befreien kann. Kutti MC scheint dafür bereit. Nur wenige Stücke wie das etwas altbackene «Wannabe-It-Girl-Boogie» lassen noch an den alten Kutti denken, der den Möchtegerns aus Rap und Kunst und den Ewiggestrigen eins auf die Löffel gibt.

Stand der Berner auf dem Cover seines letzten Albums «Dark Angel» vor einem schwarzen Hintergrund neben einem dreckig-weissen Pferd, so sitzt er 2009 auf einem Geländer vor einem nur leicht durchzogenen Himmel, sein Gesicht verdeckt eine Lichtreflexion. Programmatisch verkündet er: «I bi d Sunne, wo det obe am Himmu schteit, d Mitti, wo alles drum kreist, d Sunne, wo dir e Wäg zeigt, d Kraft, wo du i dir treisch.» Auf der Innenseite des Covers balanciert er einen gelben Ballon in der Horizontalen und bestimmt zumindest bildlich den Lauf der Sonne selber mit. Diese neue Leichtigkeit ist ihm selbst nicht ganz geheuer.

Zur musikalischen Umsetzung des neuen Lebensgefühls hat er die heimatlichen Gefilde verlassen: In Berlin fand er mit dem One Shot Orchestra einen Partner, der ihn kongenial bei der Umsetzung der Songideen des neuen Albums unterstützte. Die auf tanzbare Elektromusik spezialisierte Dreimannband fügt den Worten neue Ebenen hinzu, die sich bisweilen zu kilometertiefen Song-Ozeanen ausbreiten. Das vielleicht gelungenste Beispiel ist «Irgendwo», das den Wettbewerb für den besten Popsong der Schweiz 2009 – falls es ihn gäbe – mit einem riesigen Vorsprung für sich entschieden hat. Wabernd beginnt eine einzelne Gitarre und weist den Weg hin zu einem Refrain, der sich schliesslich als vielschichtiges Geflecht entlädt und Independent mit dem Soundtrack von Actionfilmen versöhnt. Und da geschieht das lange Erhoffte: Sophie Hunger gelingt, was ihr bisher bei ihren Gastauftritten verwehrt blieb. Ihre wunderbare Stimme fügt sich nicht nur in einen Song ein und überlagert ihn, sondern wird zum Multiplikator der Gefühle und der Gesamtstimmung.

Diese traumwandlerische Leichtigkeit im Umgang mit Arrangements hebt Kutti MCs «Sunne» von «Und jetzt ... was hät das mit mir z tue?» ab, das Big Zis im Januar unter ähnlichen Vorzeichen herausbrachte (siehe WOZ Nr. 6/09). Das an sich elegante Album, das die Zürcherin mit den beiden Brüder Marton di Katz und Valentino Tomasi konzipierte, wirkt rückblickend fast schon brav und konventionell. «Sunne» ist einfach vielschichtiger, berührender und zeigt vor allem, dass Pop-Pathos nicht plump sein muss. In einem Land, wo Roman Camenzind seit Jahren mit seinem Seichtpomp die Szene beherrscht, kann dieses – mit Hilfe aus Berlin – entstandene Album nicht stark genug gewichtet werden.

Göldin

Göldin beschäftigt sich weniger mit dem Innen als mit dem Aussen. Berlin ist weit weg, der Kampfplatz ist Steckborn oder Herisau, wo Bierflaschen zerschlagen und giftige Cocktails aus Koks, Benzin und Zigaretten angerührt werden. Wut ist das Elixier, der Feind wohnt um die Ecke oder kann mit der Schmalspurbahn von Gossau aus erreicht werden. Wenn es schneller gehen muss, holt Göldin die alte Rostlaube und die Pump-Gun aus der Garage. Die Sonne scheint auch auf seinem Album «CSI: Appenzell», nur scheint sie auf das grosse Nichts der Ostschweiz, wo Alkohol und Drogen in schlechter Qualität die Menschen am Leben erhalten.

Verbrüdert hat sich Göldin für seinen neuen Streich wieder mit Bit-Tuner, dem Grossmeister der abstrusen Beats, und neu auch mit Jari Antti, dem Gitarristen und Mastermind von Navel. Diese Partnerschaft basiert zunächst auf der Erweiterung des Klangspektrums durch den Beizug eines Gitarrenkönigs mit seinen fast unendlichen Effekten. Doch die Verbindung hat tiefere Wurzeln: Jari hat mit Navel gegen seine Heimat, das hinterwäldlerische Schwarzbubenland, aufbegehrt und die Rettung in der weiten Welt der Rockmusik gesucht. Göldin dagegen haut die Ostschweiz in Stücke.

Während die beiden Männer, die momentan auch auf Tour sind, ihre letzten Twenty-something-Wunden lecken, steht auch schon die nächste Garde von SprechsängerInnen am Start. Manillio, kaum erst dem Teenageralter entwachsen, wird von Solothurn aus ziemlich sicher und ziemlich rasch die Deutschschweiz erobern. Eine erstaunlich professionelle Produktion, kluge bis witzige Texte aus seiner Lebenswelt und eine ganze Menge Abgeklärtheit hallen den Jurasüdfuss entlang.

Göldin: «CSI: Appenzell». Quiet Records / Irascible.

Manillio: «Jede Tag Superstar». Nation Music.

Kutti MC: «Sunne». Two Gentleman / Irascible.