Ronald M. Schernikau: Zwischen Schlager und Kommunismus

Nr. 49 –

Der Sammelband «Königin im Dreck» würdigt den kurz nach der Wende verstorbenen deutschen Schriftsteller, der sich mit vielen angelegt hat. Denn er liess Widersprüche stehen – auch in seinen Texten.


«Der letzte Kommunist» nannte Matthias Frings seine im letzten Jahr erschienene Biografie über den 1991 mit 31 Jahren an den Folgen seiner Aidserkrankung gestorbenen Ronald M. Schernikau. Während Hunderte über Ungarn in den Westen flohen, hatte es Schernikau 1989 aus dem Westen in die DDR gezogen, seiner Meinung nach «das schönste Land der Welt». Im März 1990, als die Mauer bereits gefallen war, beendete Schernikau eine Rede auf dem Kongress der SchriftstellerInnen der DDR mit zwei verbitterten Sätzen: «Am 9. November 1989 hat in Deutschland die Konterrevolution gesiegt. Ich glaube nicht, dass man ohne diese Erkenntnis in der Zukunft wird Bücher schreiben können.»

Doch, man konnte. Und hatte darüber den Schriftsteller Schernikau völlig vergessen, dessen bizarrer Biografie heute mehr Beachtung geschenkt wird als seinem Werk. In die Jubelgesänge zu zwanzig Jahre Mauerfall jedenfalls wollen die Bücher des bekennenden Kommunisten so gar nicht passen. Umso verdienstvoller, dass der Berliner Verbrecher-Verlag mit «Königin im Dreck» nun seine wichtigsten journalistischen Arbeiten in einem Sammelband veröffentlicht hat.

Ja zu Romy Schneider, ja zur DRR

Schernikau war gerade einmal zwanzig, als 1980 sein Debüt «Kleinstadtnovelle» erschien, eines der feinsinnigsten deutschsprachigen Bücher über ein schwules Coming-out in der Provinz. Homosexualität, Klassenkampf, Schlager und Pop bestimmten fortan sein Werk. Schernikau war sich der Widersprüche bewusst, die entstehen, wenn man sich einerseits zu kapitalistischen Ikonen wie Romy Schneider und Andy Warhol, andererseits aber zur DDR als Staat bekennt. Ob Heiner Müller oder Marilyn Monroe besser gewesen sei, fragt er zu Beginn des Aufsatzes «Die Wahrheit ist westlich» und macht sich am Ende des Textes in der für ihn typischen Kleinschreibung über die eigene Fragestellung lustig: «in bildbänden über ihr leben hat monroe müller überholt, in magisterarbeiten schon jetzt müller monroe, obwohl er fünf jahre jünger ist.» Wäre dies ein Schulaufsatz, hätte Schernikau wahrscheinlich nicht mal eine Drei bekommen. Doch auf dieses gerade mal Ungenügend zielen seine manchmal respektlosen, immer hochkomischen Rezensionen ab – sie sind ein Affront gegen die Mentalität von DeutschlehrerInnen und gegen die argumentative, sozialdemokratische Debattenkultur der achtziger Jahre.

Oft nimmt sich Schernikau der schülerhaften Unbeholfenheit des Nacherzählens und Aneinanderreihens von Lexikonwissen an und bringt Sachverhalte mittels Naivität präziser auf den Punkt als so manches Hochschulseminar. Ihm gelingt beispielsweise, Leben und Werk von Gertrude Stein in einem einzigen Satz so zu verdichten, dass darin sogar der Duktus von Steins Sprache selbst mitschwingt: «Gertrude Stein lebte von 1874 bis 1946, sie war eine Amerikanerin und sehr dick und ziemlich vermögend, sie lebte in Paris und mit Alice B. Toklas zusammen, sie liess sich mit dreiundfünfzig Jahren die Haare kurz schneiden und sie übte den Beruf des Genies aus.» Auf diese vermeintliche Respektlosigkeit folgt eine schwärmerische Rezension zu Gertrude Steins Hauptwerk «The Making of Americans».

Die falsche Toleranz

Was Schernikau dermassen an der sozialdemokratischen Kultur der achtziger Jahre gehasst hat, dass er sie mit der Sprache eines Pennälers attackiert, lässt sich nur erahnen. Einer, der Schlager liebte wie er, konnte wohl nur wenig mit jenen anfangen, die ständig auf «künstlerischen Anspruch» pochten. Und einem bekennenden Kommunisten musste die Unantastbarkeit suspekt sein, mit der im Westen Freiheit und soziale Gerechtigkeit verkauft wurden. Es war nicht nur der verklärte Blick auf die DDR, sondern auch reale Unterdrückungserfahrung im Westen, die es Schernikau schwer machte, sich mit dem westlichen Kulturbetrieb anzufreunden. Schon seine «Kleinstadtnovelle» hatte er im linksliberalen Milieu angesiedelt, was die Homophobie der um Toleranz bemühten Umgebung umso erdrückender hervortreten lässt. Die Sammlung seiner journalistischen Arbeiten ermöglicht nun den Einstieg in das Denken des früh Verstorbenen, für den Widersprüche kein Problem, sondern eine Herausforderung waren.

Ronald M. Schernikau: Königin im Dreck. Verbrecher Verlag. Berlin 2009. 303 Seiten. Fr. 26.50