Südafrika: Die WM war ein Fehlschlag

Nr. 35 –

Grosse Versprechungen, falsche Schätzungen und wachsende soziale Ungleichheit – in einem Bericht über die Folgen der Fussball-Weltmeisterschaft 2010 zieht das Schweizerische Arbeiterhilfswerk eine ernüchternde Bilanz.


Wenn der Weltfussballverband Fifa dieses Wochenende die Fairplay-Tage ausruft, dann spricht er damit vor allem die Spieler und die ZuschauerInnen auf den Rängen an. Die Kapitäne beider Mannschaften sollen vor dem Spiel eine Erklärung verlesen und im Namen ihrer Mannschaften «geloben», fair zu spielen. So steht es im von der Fifa vorgegebenen Text.

Die Fairplay-Tage sind ein Aufruf der Fifa an die «Familienmitglieder», ihre Vorbildfunktion wahrzunehmen, einer der vielen PR-Gags, die zeigen sollen, wie sehr sich die ExponentInnen des Weltfussballs ihrer Verantwortung bewusst sind. Dass die Fairplay-Tage, die 2004 ins Leben gerufen wurden, sich an den Uno-Weltfriedenstag anlehnen, sagt weniger über ihre tatsächliche Bedeutung aus als über die Vorstellung, die Präsident Joseph Blatter von seinem Fussballimperium hat.

Faires Spiel auf dem Platz, Blutgrätschen ausserhalb des Stadions – die Fussball-Weltmeisterschaft in Südafrika hat mehr als genug Beispiele dafür geliefert, dass die Fifa nur wenig von dem einhält, was sie von den anderen erwartet: Die Bauarbeiter, die zehn Stadien für die WM neu bauten oder umbauten, arbeiteten unter höchst prekären Bedingungen, derweil die grossen Baufirmen des Landes ihre Gewinne vervielfachten. Dafür wurden während der WM Schnellgerichte eingeführt, die zum Beispiel dafür genutzt wurden, Guerillamarketing in den Stadien zu unterbinden. Eine strikte Marketingpolitik bescherte den wenigen Fifa-Partnern exklusive Profite und verhinderte weitgehend, dass auch kleine HändlerInnen vom Mega-Event profitieren konnten.

Die grosse Siegerin der WM ist – einmal mehr – die Fifa. Offizielle Gewinn- und Umsatzzahlen vom Zürichberg, wo der Verband seinen Sitz hat, gibt es zwar noch nicht. Man rechnet aber damit, dass der Weltfussballverband von seiner einmonatigen Reise ans Kap der Guten Hoffnung rund drei Milliarden Franken mit nach Zürich bringt.

Und was bleibt für Südafrika? Das Land hatte sich ebenfalls einiges von der WM versprochen. In einer Umfrage gaben 2007 die Hälfte der SüdafrikanerInnen an, dass sie sich von der WM vor allem zwei Dinge erhofften: wirtschaftliches Wachstum und mehr Jobs. Ein Drittel der Befragten glaubte, dass sie persönlich von der WM profitieren würden, und fünfzig Prozent dachten, dass der wirtschaftliche Nutzen anhaltend sein würde.

Verdunsteter Effekt

Das Schweizerische Arbeiterhilfswerk (SAH) hat vor und während der WM eng mit südafrikanischen Gewerkschaften und Hilfsorganisationen zusammengearbeitet und eine Untersuchung zur WM und ihren Folgen in Auftrag gegeben. Der vorläufige Bericht, der am Erscheinungstag dieser WOZ veröffentlicht wird, zeichnet ein vernichtendes Bild. Das viel beschworene Erbe der WM, so der Autor des Berichts, sei ein Mythos: «Der sogenannte wirtschaftliche Trickle-down-Effekt verdunstete, noch ehe die ersten Tropfen gelandet waren.»

Da ist beispielsweise das Missverhältnis zwischen Kosten und Einnahmen für den südafrikanischen Staat. Die Beratungsfirma Grant Thornton schätzte 2003, dass die WM – bei minimalen Kosten – einen bedeutenden direkten und indirekten Nutzen bringen würde. Die «minimalen» Kosten für den Staat budgetierte die Beratungsfirma vor sieben Jahren auf rund 300 Millionen Franken (2,3 Milliarden südafrikanische Rand). 2007 musste diese Zahl auf 2,4 Milliarden Franken und 2010 gar auf 4,1 Milliarden Franken korrigiert werden. Hinzu kamen weitere 1,2 Milliarden Franken, für die Städte und Provinzen aufkommen mussten. Von 300 Millionen auf 5,3 Milliarden Franken – das ist siebzehnmal mehr als ursprünglich gedacht.

Immerhin schätzte man auch die Einnahmen zu tief. Rechnete Grant Thornton 2003 noch mit knapp einer Milliarde Franken an Steuereinnahmen, so werden sie am Ende wohl etwa 2,5 Milliarden Franken betragen. Aber selbst dann wird die WM für den südafrikanischen Staat ein Verlustgeschäft. So liessen die südafrikanischen Steuerbehörden kürzlich verlauten, dass man die WM nicht als bedeutende Einnahmequelle sehen könne: «Die Konzessionen, die wir der Fifa machen mussten, waren schlicht zu hoch, als dass wir einen grossen finanziellen Nutzen aus der WM ziehen könnten.»

Der vom SAH in Auftrag gegebene Bericht kritisiert weiter die sozioökonomischen Folgen der WM. «Die Einnahmen werden ungleich verteilt», sagt Joachim Merz vom SAH. Dank Streiks hätten die Bauarbeiter zwar vor der WM eine Lohnerhöhung von durchschnittlich 300 Rand (rund 40 Franken) erzielen können. Die Löhne bewegten sich aber auch dann noch auf dem Niveau der Armutsgrenze von knapp 3000 Rand (400 Franken) monatlich. Gleichzeitig profitierten die fünf grössten Baufirmen in Südafrika massiv von den zahlreichen Aufträgen für die Weltmeisterschaft. Von 100 Millionen Franken im Jahr 2004 erhöhte sich ihr jährlicher Gewinn laut Bericht zwischenzeitlich auf 1,5 Milliarden Franken und stabilisierte sich seither bei etwa einer Milliarde. «Diese Ungleichverteilung hat die Schere zwischen Arm und Reich noch weiter vergrössert», sagt Merz.

Jobverlust im grossen Stil

Seit letztem Sommer sind in Südafrika 627 000 Jobs verloren gegangen, fast ebenso viele, wie man sich von der WM versprochen hatte. Viele versuchen deshalb, im informellen Sektor Geld zu verdienen. Der Bericht geht davon aus, dass rund ein Viertel der arbeitenden Bevölkerung so seinen Unterhalt sichert, etwa als StrassenhändlerInnen, die in den Zentren von Durban, Kapstadt oder Johannesburg ihre Ware feilbieten. Gerade sie hatten sich von der Weltmeisterschaft ein zusätzliches Einkommen erhofft. Stattdessen wurden sie aus den Stadien und aus deren Umgebungen vertrieben.

Die Fifa verkauft die Marketingrechte für teures Geld an ausgewählte Partner – 1,2 Milliarden Franken soll sie 2010 dafür eingestrichen haben. Und diese Rechte wollen geschützt sein. In Durban beispielsweise wurde ein Morgenmarkt geschlossen, der seit hundert Jahren rund 10 000 StrassenhändlerInnen ein Einkommen bietet. In Kapstadt wurden 300 HändlerInnen vertrieben, um dem Fifa-Fanfest Platz zu machen. «Hinzu kommen die Vertreibungen von Obdachlosen und Slumbewohnern aus den Zentren», sagt Joachim Merz. «Die Uno spricht von 20 000 Menschen, die an die Stadtränder in Blechhüttensiedlungen verfrachtet wurden.»

In den nächsten Tagen feiert die Fifa die Fairplay-Tage – und damit vor allem sich selbst. Die Profifussballer werden mit Fairplay-Fahnen in der Hand die Stadien betreten und sich gegenseitig die Hände schütteln. Und dann werden sie den von der Fifa vorgegebenen Text vorlesen: «Wir verpflichten uns, jetzt und in Zukunft, auf wie neben dem Platz Fairness und Solidarität vorzuleben.»