Das Protokoll des Elmer-Prozesses: Das Zürcher Justizgeheimnis

Nr. 4 –

Das Bezirksgericht Zürich verurteilt Ex-Julius-Bär-Banker Rudolf Elmer wegen Verletzung des Schweizer Bankgeheimnisses. Dabei glaubte nicht mal die Bank selbst, dass ihre Offshoregeschäfte dem Bankgeheimnis unterstehen. Eine Reise in die Geisterwelten der Hochfinanz, in der auch die Justiz zur Geisterfahrerin wird.


Mittwoch, 19. Januar, Zürich: Auf einer Leinwand in der Kanzleiturnhalle das Bild eines Hauses auf den Cayman Islands. Blütenweisse Fassade, stahlblauer Himmel. «Hier sind 19 000 Firmen angesiedelt», sagt Rudolf Elmer. Über dieses Haus hat US-Präsident Obama gesagt: «Entweder ist es das grösste Haus der Welt oder der grösste Steuerskandal der Welt.» Zur Medienkonferenz vor dem Urteilsspruch im Fall Elmer hat die Alternative Liste eingeladen. In der Halle riecht es nach Vorabend, Elmer zeigt seine Präsentation und redet wieder einmal über die Sache, seine Sache: Cayman Islands, Billionen, die Geisterwelten des Global Banking. «Ich war da, wo das Geld ist», sagt der ehemalige Chief Operating Officer der Bank Julius Baer Trust & Company auf den Cayman Islands.

Zwei Stunden später ist Elmer des Verrats am Schweizer Bankgeheimnis schuldig gesprochen. Er hatte Kundendaten der Cayman-Niederlassung von Julius Bär an Schweizer Steuerbehörden und Medien weitergegeben. Daten, die bisher nicht Schweizer Recht unterstanden. Von denen nicht einmal die Bank glaubte, dass sie dem Schweizer Bankgeheimnis unterstehen, weswegen sie Elmer vorsichtshalber auch der Verletzung von Geschäftsgeheimnissen beschuldigt hat. «Die Kundenbeziehungen der ausländischen Zweigniederlassungen einer Schweizer Bank sind nicht Schutzobjekt von Bankengesetz Art. 47», lautete der massgebende Kommentar zum «Bankengesetz über die Banken und Sparkassen» bisher. Der Schuldspruch gegen Elmer heisst auch: Der grüne Einzelrichter am Bezirksgericht Zürich, Sebastian Aeppli, hat mit dem Urteil das Schweizer Bankgeheimnis erstmals auf ein Steuerparadies in Übersee ausgeweitet, indem er aus der Zweigniederlassung der Bank eine Filiale des Zürcher Mutterhauses gemacht hat. Für Julius Bär, für die Banken insgesamt, ist das ein grosser Sieg.

Das Exempel an Elmer: Für die Banken ist das die Exportbewilligung für ihren wichtigsten Standortvorteil: das Bankgeheimnis. Für die Medien das vergebliche Warten auf aufregende News, weil sie auf das Falsche warten. Für die Justiz eine Irrfahrt durch die Geisterwelt der globalisierten Finanzmärkte, in denen es für Geheimniskrämer des Geldes keine Grenzen gibt. Für Elmer ein fünfjähriger Abstieg zum tragischen Helden der Transparenz, in einer Welt, in der diese zum Handelsgut wurde. Denn Transparenz heisst heute auch: Ambivalenz. Es gibt viele Wahrheiten in dieser Geschichte, die wichtigste ist und bleibt: Big Business gewinnt immer.

Der Whistleblower und die Moral

Montag, 17. Januar, London: Der internationale Medienpulk ist angereist, um Schlagzeilen zu machen. Die Hoffnung, dass Wikileaks-Gründer Julian Assange sich die Ehre geben wird, hat sich erfüllt. Nun will man Namen. Unter den angeblich 2000 Daten von SteuersünderInnen, die Elmer zwei Tage vor seinem Prozess Assange übergibt, sollen die von Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Kultur zu finden sein. Doch es gibt keine Namen, sondern Vorträge von Vertretern des Tax Justice Network, das die Steuerflucht bekämpft. Die JournalistInnen sind schlecht gelaunt, sie hatten auf Sensationen gehofft. Der Mann von der «Financial Times» schüttelt genervt den Kopf und die BBC will von Assange wissen, warum man die CDs nicht einfach «uns allen» übergibt statt nur Wikileaks: «Wäre der Sache so nicht am besten gedient?»

Die Sache ist die: Das Offshoresystem entzieht dem Gemeinwesen weltweit 22 Billionen Dollar Steuersubstrat. Geld, das der Allgemeinheit gehört, aber auf den Konten der Reichsten liegt. Ein Exbanker will Einblick geben in diese Welt der illegalen Geldflüsse, wo es keine Gerichte gibt und keine Richter.

Die Sache ist eben auch die: Rudolf Elmer ist ein Whistleblower, der Geheimnisse erzählt, die niemand mehr hören mag. Assange zur BBC: «Als Mr. Elmer vor zwei Jahren Daten der Presse zuspielte, hat sich niemand dafür interessiert.» Das Offshoresystem ist für die Medienindustrie eine Nachricht von gestern, die versickernden Billionen sind ein akzeptierter Fakt, es sei denn, die Ungerechtigkeit lässt sich an Namen festmachen, am einzelnen Skandal. Das ausgeklügelte, bis ins kleinste Detail auf Gewinnmaximierung ausgerichtete Parallelsystem der Finanzmärkte ist kein Geheimnis, aber ein gut geschütztes.

Wer in dieser Welt nach Fakten greifen will, braucht einen Insider wie Elmer. Das gilt auch für die Justizbehörden, aber die Sache ist eben auch, dass es nie um die Sache, Elmers Sache ging. Nicht in der Anklage, schon gar nicht in den Schweizer Medien. Die Mediensicht auf diese Geschichte ist die Version der Bank: «Offensichtlich frustriert über nicht erfüllte Karrierehoffnungen zeigte Elmer ein für die Bank schädliches und untragbares Verhalten.» Die Medien lasten ihm an, Teil des Systems gewesen zu sein, bevor er dem System den Kampf ansagte, als gehöre das nicht zur Definition eines Whistleblowers. Ihm werden Geltungsdrang und Geldgier vorgeworfen. Als wäre Elmers Sache weniger wahr, weniger wichtig, weil er nicht absolut selbstlos und bescheiden ist. Mit dem Fokus auf Elmers spätere Fehler entledigt man sich bequem der Pflicht des Nachfragens und -denkens. Und so wird der «Fall Julius Bär vs. Whistleblower Elmer» schnell zum «Fall Elmer» – ein geisteskranker Datendieb, der im Rachewahn die Bank mit Geheimnisverrat und ihre Mitarbeiter mit dem Tod bedrohte.

Clinch in Slow Motion

Rudolf Elmer (55) war lange ein zuverlässiges Rädchen im System. Nach der Handelsschule, liess er sich zum Wirtschaftsprüfer weiterbilden, arbeitete zuerst bei der Credit Suisse, dann bei KPMG, bevor er 1987 zu Julius Bär wechselte. Als die Bank ihn zum Chief Operation Officer auf den Cayman Islands machte, fühlte er sich wegen des Vertrauens geschmeichelt, und Vertrauen heisst für einen wie ihn Verpflichtung. Der brave Buchhalter wusste von den unfeinen Praktiken seiner noblen Firma, schaute aber weg. «Ich war ein Handlanger der Unmoral», sagt Elmer heute.

Die Eskalation im Clinch zwischen Elmer und der Bank verläuft Slow Motion. Im Jahr 2002 suchte Elmer Rat bei der «Beobachter»-Hotline und der AHV-Auskunftsstelle. Es ging unter anderem um unbezahlte Behandlungen nach einem Unfall. Und um eine Kündigung, die während seiner Ferien erfolgte, als er sich am Rücken operieren liess. Grund für die Entlassung: Elmer brach einen Lügendetektortest ab, den die Bank angeordnet hatte. Elmer beginnt sich zu wehren und droht mit der Veröffentlichung von geheimen Cayman-Daten. Ab 2004 liess die Bank Elmer beschatten, fünfzehn Monate lang, von bis zu elf Detektiven. Elmers Frau wird auf der Autobahn verfolgt, schwarze BMWs kurven durchs Quartier, beunruhigte NachbarInnen alarmieren die Polizei. Elmers Tochter hat Angst vor den «schwarzen Männern», die ihr auf dem Weg in den Kindergarten folgen. Die Beschattung sei zum Teil sehr intensiv gewesen, so der Geschäftsführer der Detektei Ryffel AG. Elmer fürchtet um sein Leben, gerät in Panik. Er habe Drohmails verschickt, sagt er, «damit es aufhört». Seine Fehler gesteht er ein, und wird auch dafür vom Bezirksgericht wegen Nötigung verurteilt. «Fair» sei er in diesem Anklagepunkt behandelt worden, sagt Elmer, und auch vor Gericht galt immer: im Zweifel für den Angeklagten. Aber dort, wo das Big Business ins Spiel kommt – da muss sich die Justiz Fragen gefallen lassen.

Eine Bank prozessiert sich frei

Die Justiz beginnt 2005 zu ermitteln, nachdem die Bank Julius Bär, aufgeschreckt durch einen «Cash»-Artikel, Strafanzeige gegen unbekannt einreicht. Die bei einer Durchsuchung sichergestellten Daten aus Elmers Wohnung interessieren auch die Eidgenössische Steuerverwaltung. Am 23. Februar 2006 ersucht die Berner Steuerfahndung um Akteneinsicht, um Elmers Material nach SteuersünderInnen zu durchforsten. Die zuständige Zürcher Staatsanwältin Alexandra Bergmann gab am 10. März 2006 diesem Gesuch statt. Sofort legte Julius Bär bei der Oberstaatsanwaltschaft Rekurs ein. Es folgen juristische Winkelzüge im grossen, schwarzen Nichts des Offshoreuniversums, die juristisch lupenreine Verwandlung einer soliden Schweizer Bank in eine windige Hehlerin, einen Geist in der Geisterwelt.

Julius Bär, die Elmer wegen Verletzung des Schweizer Bankgeheimnisses angezeigt hat, beruft sich in ihrem Rekurs plötzlich darauf, die Herausgabe der Daten an die Schweizer Steuerbehörden würden Cayman-Recht verletzen. Staatsanwältin Bergmann, immerhin Elmers Anklägerin, argumentierte ungehalten dagegen: «Am Rande sei bemerkt, dass die Rekurrentin (Julius Bär) sich widersprüchlich verhält, wenn sie einerseits Anzeige wegen Bankgeheimnisverletzung erstattet, andererseits aber im Rekursverfahren geltend macht, die Akteneinsicht sei zu verweigern, weil die betreffenden Daten plötzlich dem Bankgeheimnis von Cayman unterstehen sollen.» Und weiter: Sollte die Anzeigenerstatterin Bank Julius Bär auf ihrem Konstrukt beharren, müsste das Verfahren wegen Bankgeheimnisverletzung eigentlich mangels Zuständigkeit eingestellt werden. Bergmann pochte weiter auf die Herausgabe der Daten an die Berner SteuerfahnderInnen. Weil bei Verdacht auf Steuerbetrug und -hinterziehung «Pflicht zur Amtshilfe» bestehe: «Andernfalls», so Bergmann «müsste Begünstigung in den Raum gestellt werden.» Die Bank habe «ein nicht unbedenkliches Eigeninteresse an einer Verweigerung der Akteneinsicht», da ihr Offshorekonstruktionen zur Steuerhinterziehung vorgeworfen werden könnten.

Am 12. Juni 2006 stellt die Oberstaatsanwaltschaft fest, sie sei nicht zuständig, und reicht den Rekurs an die kantonale Steuerrekurskommission weiter. Diese verbietet die Herausgabe der Daten mit Verweis auf das Bankgeheimnis. Und da ist sie jetzt, Elmers Sache, ganz konkret.

«Das Schweizer Rechtssystem genügt nicht mehr, die Bank kann Handlungen zum Betrug begehen, der Staat kann die Bank nicht zur Rechenschaft ziehen, selbst wenn er davon Kenntnis hat», so Elmer 2008 in seinem Schreiben an Wikileaks. «Wenn die Zürcher Steuerverwaltung einmal ein Offshorekonstrukt akzeptiert hat, wird es durch das Bankgeheimnis auf den Cayman Islands geschützt.»

Mittwoch, 19. Januar, in einer Zürcher Seegemeinde: Elmer wird in der Tiefgarage seiner Wohnung verhaftet, kaum eine Stunde nach dem Urteil des Zürcher Bezirksgerichts. Er wird des Bankgeheimnisverrats verdächtigt, weil er Wikileaks in London geheime Daten übergeben haben könnte. Dazu sollen auch Elmers Wikileaks-Veröffentlichungen von 2008 untersucht werden. Im ersten Prozess kamen diese nicht zur Anklage, weil der Wikileaks-Server nicht in der Schweiz steht und Elmer die Daten mutmasslich aus dem Ausland hochlud. Nun gilt das Bankgeheimnis auch im Ausland.

Kurz nach Elmers Verhaftung erklärt Peter Pellegrini, Leiter Staatsanwaltschaft III für Wirtschaftsdelikte: «Der Schuldspruch in Sachen Verletzung des Bankgeheimnisses hat präjudizielle Wirkung.» Andernfalls hätte man sich das Vorgehen noch einmal überlegt.