Kommentar von Daniel Stern: Europäisches Spardiktat im Dienst der Banken

Nr. 6 –

Die Politik der hoch verschuldeten Länder Europas wird immer mehr von Finanzinstitutionen und sogenannten TechnokratInnen bestimmt. Dabei wäre nicht weniger, sondern mehr Demokratie nötig.

In den letzten Tagen hatten in Rumäniens grossen Städten nur noch wenige gegen die Sparpolitik der Regierung demonstriert. Doch das lag wohl auch an der eisigen Kälte. Der rumänische Ministerpräsident Emil Boc wusste auf jeden Fall, dass die Zeit für seinen Abgang gekommen war. Am Montag gab er den sofortigen Rücktritt seiner Regierung bekannt. Zu unbeliebt war der Liberaldemokrat geworden. Die Sparpolitik, für die er steht, hat immer mehr RumänInnen in die Armut getrieben. Bei den nächsten Wahlen, die spätestens im November stattfinden, hätte er sowieso verloren.

Bocs Rücktritt wird die rumänische Politik aber nicht verändern. Rumänien steht unter dem Diktat des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Europäischen Kommission. Neuer Regierungschef soll Mihai Razvan Ungureanu werden, der bisherige Geheimdienstchef. Er hat verkündet, den «Reformkurs» von Boc weiterführen zu wollen.

Die Situation erinnert an die in anderen Krisenstaaten: etwa an Griechenland, wo im letzten November der Sozialdemokrat Giorgos Papandreou zurücktrat, oder an Italien, wo der rechtsgerichtete Silvio Berlusconi es ihm einige Tage darauf gleichtat. Sogenannte «Technokraten» und «Regierungen der nationalen Einheit» haben daraufhin die Staatsgeschäfte dieser hoch verschuldeten Länder übernommen. Sie werden zu den ausführenden Organen derjenigen, die Kredite vergeben und Umschuldungen vornehmen: des IWF und der EU.

Es ist deshalb kein Zufall, dass Bocs Rücktritt just an dem Tag erfolgte, als der Inspektionsbesuch von VertreterInnen des IWF, der Weltbank und der EU zu Ende ging. Eine von Bocs letzten Amtshandlungen war es gewesen, die weiteren Vorgaben dieser InspektorInnen abzunicken. Der IWF liess gleichentags verlauten, man sei in Rumänien «auf dem richtigen Weg». So seien die «Schlüsselparameter» bei der Privatisierung des Energiesektors zusammen mit den rumänischen Behörden festgelegt worden. Dabei liessen sich die KommissarInnen gar ein Zugeständnis abringen: Statt 2015 müssen die Energiepreise für die privaten Haushalte erst 2017 auf «Marktniveau» angehoben sein. Derweil wird die in der Bevölkerung besonders umstrittene Reform des Gesundheitssektors weiter vorangetrieben. Staatsbetriebe sollen zudem rasch privatisiert und die im Staatsbesitz verbleibenden Unternehmen durch «professionelles privates Management» geleitet werden.

Widerstand ist zwecklos: In Griechenland zeigen IWF und die EU dieser Tage, wie man Druck aufsetzt. Pariert die Einheitsregierung unter dem neuen Premierminister Lucas Papademos nicht, so wird inzwischen unverholen damit gedroht, das Land in den Bankrott zu treiben und es so noch mehr verarmen zu lassen. Die nächste Kredittranche soll jetzt gar auf ein Sperrkonto eingezahlt werden. Der Regierung wird so die Verfügungsgewalt darüber vollends entzogen. Mit neuem Geld dürfen nur noch alte Schulden beglichen werden.

Die Folgen der Finanz- und Schuldenkrise haben einige europäische Staaten innert weniger Jahre zu Fassadendemokratien werden lassen. Zwar dürfen die BürgerInnen nach wie vor wählen, doch es ist praktisch egal, welche Partei an die Macht kommt. Die Gewählten müssen sowieso ausführen, was ihnen von aussen diktiert wird. Wer glaubt, es handle sich um eine schmerzhafte, aber nur kurze Übergangszeit, die für den Heilungsprozess notwendig ist, irrt. Die Sparmassnahmen führen zu tief greifenden Veränderungen der Gesellschaftsstruktur. Sie gründen auf einer puren neoliberalen Ideologie, die besagt, dass Staatsbetriebe ineffizient sind, die Mindestlöhne möglichst tief sein müssen, gewerkschaftliche Rechte nicht vom Staat geschützt gehören und das Rentenalter steigen muss. So beziehen sich die Spardiktate denn auch nicht auf die Armee – obwohl etwa die Militärausgaben Griechenlands zu den pro Kopf höchsten der Welt zählen. Ausgerechnet aus Deutschland importiert das Land besonders viele Rüstungsgüter.

Es gehört zur Krisenrhetorik, dass suggeriert wird, es gebe zum Spardiktat keine Alternative. Doch das trifft nicht zu. Ein Land kann sich auch anders aus dem Sumpf ziehen. Dazu müssten die freien Mittel nicht für die Rückzahlung von Schulden gebraucht, sondern in einem demokratischen Prozess in den Aufbau einer nachhaltigen, grünen und sozialen Wirtschaft investiert werden. Einer Wirtschaft nach den Bedürfnissen der Bevölkerung entwickelt und nicht von oben diktiert. Es braucht also nicht weniger, sondern mehr Demokratie.

Mit der jetzigen Sparpolitik wird dagegen bloss versucht, ein bestimmtes Wirtschaftssystem zu retten. Die Macht der Banken soll gerettet werden. Deren Gewinne werden geschmälert, wenn die Staaten ihre Schulden nicht mehr zurückzahlen. Sie sind es, die von den exorbitant hohen Zinsen profitieren.

So hat Rumänien letzte Woche für 1,5 Milliarden US-Dollar neue zehnjährige Obligationen ausgegeben – Zinssatz: 6,87 Prozent. Damit kann es gerade mal die 2012 fälligen Schulden beim IWF begleichen. Das Land wird dafür jedoch in den nächsten zehn Jahren über eine Milliarde Dollar neue Zinsen zahlen müssen.