Paraguay: Ein kalter Putsch der alten Mächte

Nr. 26 –

Die Rechte Paraguays triumphiert: Endlich ist es ihr gelungen, den verhassten linken Präsidenten Fernando Lugo abzusetzen. Doch das Land hat sich damit in der Region isoliert.

Fernando Lugo war ein Ärgernis. Als Präsident Paraguays agierte der politisch unerfahrene Kirchenmann oft zögerlich und ungeschickt. Sein Hauptversprechen, eine Landreform, scheiterte angesichts mangelnder Spielräume. Doch für das politische Establishment, das der «rote Bischof» im April 2008 besiegt hatte, für die reaktionäre Amtskirche, für die Agrar-, Schmuggler- und Drogenmafia, die im Sechsmillionenstaat des südlichen Südamerika seit vielen Jahrzehnten den Ton angeben – für all diese Kräfte blieb Lugo eine Hassfigur, die für das andere Paraguay steht. Vor allem deshalb wurde er am 22. Juni mit einem kalten Putsch aus dem Weg geräumt, ein gutes Jahr vor Ende seiner regulären Amtszeit.

Die USA profitieren

Gerade mal dreissig Stunden brauchten die beiden Kammern des Parlaments, um Lugo abzusetzen. Dieser wurde überrascht und hatte kaum Zeit, sich zu verteidigen. Vorwand der Absetzung war ein Massaker, das am 15. Juni unweit der Stadt Curuguaty stattgefunden hatte. Bei der gewaltsamen Räumung einer Landbesetzung starben elf Kleinbauern und sechs Polizisten, achtzig Menschen wurden verletzt. Obwohl über die Umstände noch keine gesicherten Informationen vorlagen, musste Lugo die «politische Verantwortung» für den Vorfall übernehmen. Nun ist von Provokateuren und mysteriösen Scharfschützen die Rede, die das Massaker verursacht haben sollen.

Die beiden Parlamentskammern Paraguays werden von den Traditionsparteien Colorado und den Liberalen dominiert, die Linke ist schwach. Lugo akzeptierte den Entscheid und verhinderte damit wohl ein Blutbad: Tausende seiner AnhängerInnen hatten das Kongressgebäude umringt. Auf den Dächern waren bereits Scharfschützen der Polizei in Position gegangen.

Inzwischen hat der Oberste Gerichtshof Lugos Absetzung für rechtens erklärt. Lateinamerikas Regierungen protestieren jedoch energisch: In Argentinien, Bolivien, Ecuador und Venezuela spricht man von einem «parlamentarischen Putsch», Brasiliens Führung nennt es einen «Bruch der demokratischen Ordnung».

Die USA sind geopolitisch gesehen die grössten Profiteure der jüngsten Entwicklung. Ein rechtsgerichtetes Paraguay könnte der Stachel im Fleisch des tendenziell linken, US-kritischen Südamerika sein. Die Regierung in Washington wahrte jedoch die Form und zeigte sich «ziemlich besorgt» wegen der Eile, mit der der politische Prozess durchgezogen worden war. Offene Unterstützung kam hingegen vom Vatikan und vom deutschen Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP). Er machte als erster ausländischer Staatsgast dem neuen Präsidenten Federico Franco seine Aufwartung.

Schon oft war versucht worden, Lugo zu stürzen. Diesmal war der Zeitpunkt gut gewählt: Brasiliens einflussreiche Diplomatie, voll und ganz mit dem Rio+20-Gipfel beschäftigt, versäumte es, im Vorfeld einzugreifen. Als in der Nacht vor Lugos Amtsenthebung die wichtigsten Aussenminister der Region in Asunción eintrafen, war es bereits zu spät.

Vom Urwald zur Sojawüste

Dass Lugo letztlich wegen des Vorfalls in der Nähe von Curuguaty abgesetzt wurde, ist bezeichnend. In Curuguaty dominieren die «brasiguayos» – teilweise seit mehreren Generationen in Paraguay ansässige, meist aus Südbrasilien stammende FarmerInnen. Inzwischen leben 400 000  von ihnen in der Gegend. Innerhalb von vierzig Jahren haben VertreterInnen dieser Schicht den Urwald im Osten gerodet und in eine Sojawüste verwandelt. In der Chaco-Savanne geht das Werk jetzt weiter. Zusammen mit den Agromultis stellen sie die treibende Kraft hinter dem Boom an meist genmanipuliertem Soja dar, der das Land zum weltweit viertgrössten Sojaexporteur gemacht hat.

Die riesigen Felder mit den proteinhaltigen Bohnen machen bereits drei Viertel der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche aus. Monsanto, Cargill, das Schweizer Unternehmen Syngenta sowie Spekulanten und Investorinnen aus Übersee gehören zu den grössten ProfiteurInnen. Exportiert wird das Futtermittel Soja zu zwei Dritteln nach Europa, auch Agrodiesel auf Sojabasis wird immer populärer.

Doch nicht nur auf die Artenvielfalt, sondern auch auf die Gesundheit der Landbevölkerung wirken sich die riesigen Gensojamonokulturen fatal aus. Wegen der wachsenden Resistenz von Unkraut gegen das Monsanto-Herbizid Roundup und seine chinesischen Imitate wird immer mehr Gift versprüht. Tausende KleinbäuerInnen werden durch die Schwaden oder Rückstände gesundheitlich geschädigt.

Biolandbau als Alternativmodell

Diesem Raubbaumodell, das für Paraguays beeindruckende Wachstumsraten der letzten Jahre verantwortlich ist, konnte Lugo wenig entgegensetzen. Immerhin förderte er den Biolandbau. Illegale Genmaisfelder liess er zerstören. Über 150 000  KleinbäuerInnenfamilien in 300 Siedlungen bekamen technische Beratung, Gesundheitsposten und Schulen. Die Gesundheitsversorgung ist jetzt gratis, die Korruption wurde langsam eingedämmt.

«Vor allem ist das demokratische Bewusstsein gewachsen», sagt der Agrarexperte Alberto Alderete. Das könnten die PutschistInnen noch zu spüren bekommen. Unter der Führung Lugos formiert sich in diesen Tagen der gewaltfreie Widerstand im ganzen Land. «Die Franco-Regierung ist schwach und schon jetzt völlig diskreditiert, die Lage ist angespannt», berichtet Alderete aus der Hauptstadt Asunción. Ob das Kalkül der alten Mächte aufgeht, die sich durch den kalten Putsch eine bessere Ausgangsposition für die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im April 2013 sichern wollten, sei völlig offen.