Kunsthaus Baselland: Im Kreis der Auserwählten

Nr. 42 –

Der Zeitpunkt für eine Ausstellung mit dem Thema «Schlagwörter und Sprachgewalten» mitten im US-amerikanischen Wahlkampf ist gut gewählt. Für eine wirklichkeitsnahe Umsetzung garantiert die künstlerische Methode des «Reenactment».

Hat die Kunst kein historisches Bewusstsein mehr, interessiert sie sich weder für ihre eigene Geschichte noch für vergangenes Geschehen im Allgemeinen, wie immer wieder konstatiert wird? Gar nicht wahr, möchte man entgegnen, im Gegenteil: Zumindest ein Teil der Kunst zeigt sich so sehr von der Geschichte fasziniert, dass sie sie zu wiederholen sucht, ihr eine lebendige Gestalt verleihen will. Von «Reenactment» ist die Rede, also etwa: Wiederholung, Wiederaufführung, Reinszenierung.

Etliche Ausstellungen haben sich in den letzten Jahren dieser künstlerischen Strategie gewidmet. «Life, Once More: Forms of Reenactment in Contemporary Art» im Witte-de-With-Museum in Rotterdam 2005 sowie «History will repeat itself – Strategien des Reenactment», die 2007/08 in Dortmund, Berlin und Warschau zu sehen war. Auch in der Schweiz wurde dieses Phänomen gewürdigt, beispielsweise 2011 in der Zürcher Shedhalle mit «Überblendungen. Die Zukunft rekonstruieren», ohne dass explizit auf den Begriff des «Reenactment» Bezug genommen wurde. Das gilt auch für die aktuelle, von Nadia Schneider Willen kuratierte Schau «Schlagwörter und Sprachgewalten. Wie in der Sprache Macht und Identität verhandelt werden» im Kunsthaus Baselland.

Wie eine Dosis Xanax

Der Zeitpunkt für Schneider Willens thematische Ausstellung ist optimal: Derzeit lässt sich im US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf geradezu exemplarisch die Macht der Sprache – und die Sprache der Macht – beobachten. Als Barack Obama im ersten Fernsehduell gegen seinen Kontrahenten Mitt Romney wenig Kampesflust zeigte und ungerührt seine Positionen vertrat, wurde ihm diese Haltung als katastrophale Schwäche angelastet: «Schlapp und fahrig, stotternd und defensiv kam der Amtsinhaber daher, als hätte man ihm eine gehörige Dosis Xanax verabreicht», schrieb beispielsweise der «Tages-Anzeiger».

Zwar werden Wahlen nicht am Fernsehen entschieden, auch in den USA nicht, doch ohne einen starken medialen Auftritt lässt sich heute kaum mehr erfolgreich Politik betreiben. Diesen Aspekt greift die deutsche Künstlerin Julika Rudelius in ihrer Arbeit «Rites of Passage» (2008) auf. Ihre Doppelprojektion basiert auf dokumentarischen Aufnahmen aus den Elitezirkeln Washingtons und zeigt einflussreiche Politiker, die mit ihren Praktikanten den Auftritt als charismatische Leader proben: junge smarte Männer, die den Habitus des erfolgreichen Politikers bereits verinnerlicht haben und sich offensichtlich zum Kreis der Auserwählten zählen. Nicht der Inhalt der Rede steht dabei an erster Stelle, sondern die rhetorische Verführungskraft ihres Vortrags.

Auch der Beitrag der Zürcherin Lena Maria Thüring, «This Land Is Your Land, This Land Is My Land», eigens für die Ausstellung geschaffen, zielt auf die Selbstinszenierung von PolitikerInnen. In einem Filmstudio in Hollywood lässt sie SchauspielerInnen eine Art Wahlreden halten, deren Texte aus Songs stammen, die Präsidentschaftskandidaten in ihrer Kampagne tatsächlich eingesetzt haben. So bediente sich etwa George Bush senior ausgerechnet beim Protestsänger Woody Guthrie und lud mit dessen Lied «This Land Is Your Land» seine Auftritte emotional auf, obwohl der Song neben der Schönheit des Landes auch soziale Not und Ausbeutung anspricht.

In ihrer klug inszenierten, mit eindrücklichen Werken bestückten Schau beleuchtet die Kuratorin Nadia Schneider Willen aber auch andere Aspekte des Themenkomplexes «Sprache und Macht». So schlüpft die amerikanische Künstlerin Sharon Hayes in «Symbionese Liberation Army» (2003) in die Rolle der gekidnappten Milliardärstochter Patty Hearst und führt in vier Monologen vor, wie sich Hearst immer stärker mit ihren EntführerInnen identifiziert. Wie die Arbeiten von Rudelius beruht auch der Beitrag von Hayes auf realen Videobändern, die als Vorlage für ein «Reenactment», also eine Neuinszenierung konkreter geschichtlicher Ereignisse, dienen.

Frauen in der Überzahl

Eine andere Spielart der Verkörperung und Aktualisierung wählt die kubanische Künstlerin Tania Bruguera. In der Audioinstallation «Autobiografia – Inside Cuba» (2003) lädt sie die AusstellungsbesucherInnen ein, eine leere Bühne zu betreten und dort das Mikrofon zu ergreifen. Die Aussichten, gehört oder gar verstanden zu werden, sind allerdings minim, denn der akustische Gegner ist übermächtig: Es ist Fidel Castro, dessen Stimme aus riesigen Lautsprechern dröhnt.

Ob diktatorisches oder demokratisches Regime – die Chancen, in der Gesellschaft wahrgenommen zu werden, sind für Frauen – auch heute noch – klar kleiner als für Männer. Es ist kein Zufall, dass in einer Ausstellung, die sich mit «Sprache und Macht» beschäftigt, die Frauen in der Überzahl sind. Für sie stellt sich die Frage der Macht dringlicher und persönlicher, wie dies auch Brugueras Titel «Autobiografía» andeutet. Ihre Stimme wird – wie die von unterdrückten, kolonialisierten Völkern – wenn überhaupt nur schwach vernommen.

Geschichte als Fiktion

In «The Last Silent Movie» (2007) präsentiert die mit dem Feminismus wohlvertraute 72-jährige Amerikanerin Susan Hiller, die seit den siebziger Jahren in London lebt, ein Archiv vom Verschwinden bedrohter oder schon verstummter Sprachen. Auf einer schwarzen Leinwand erscheinen in der zwanzigminütigen Tonarbeit die Namen der betreffenden Sprachen, während gleichzeitig aus dem Off Stimmen ertönen, die diese Sprachen erklingen lassen. Auch Hiller bedient sich damit eindringlich des «Reenactment», dessen weites Spektrum sich in dieser Ausstellung nachvollziehen lässt.

Während «Reenactment» in den Geschichtswissenschaften wegen seines Anspruchs auf eine möglichst authentische Rekonstruktion eines historischen Ereignisses als umstritten gilt, entpuppt sich diese Methode in der Kunst als äusserst produktiv: Nicht der Aspekt der Authentizität, der Aktualisierung des Ereignisses, steht hier im Vordergrund, sondern im Gegenteil die Abweichungen gegenüber dem dokumentarischen Ausgangsmaterial, Wiederholung, Verschiebung und Veränderung. Diese Differenzen gegenüber der Vorlage schaffen eine doppelte Bedeutungsverschiebung: Zum einen wird der Fokus auf deren mediale Ästhetik gelenkt, zum anderen eröffnet die performative Wiederholung einen reflexiven Raum, in dem Geschichte(n) vergegenwärtigt und gleichzeitig als Fiktion wahrgenommen wird beziehungsweise werden. Eine Verunsicherung ersten Grades – und eine knallharte Lektion in Medientheorie.

«Schlagwörter und Sprachgewalten. Wie in der Sprache Macht und Identität verhandelt werden» in: Muttenz, Kunsthaus Baselland, bis 11. November 2012. Öffnungszeiten: Dienstag, Donnerstag bis Sonntag 11 bis 17 Uhr, Mittwoch 14 bis 
20 Uhr. www.kunsthausbaselland.ch

Vortrag über «Die Macht der Sprache» von Constanze Vorwerg, Direktorin des Center for the Study of Language and Society der Universität Bern, am Sonntag, 28. Oktober 2012, um 14 Uhr.