Medientagebuch: Ziemlich zufrieden

Nr. 43 –

Hanspeter Spörri über das neue Berner «Journal B».

Die Unzufriedenheit ist ein Antrieb für Veränderungen. In Bern sind manche zwar ganz zufrieden mit dem durch «Tages-Anzeiger»-Inhalte verstärkten «Bund» und der hin und wieder mit originellen journalistischen Ansätzen überraschenden «Berner Zeitung». Anderen allerdings behagt der politische Kurs der beiden Tamedia-Blätter nicht, oder sie bemängeln, der «Bund» sitze auf dem hohen Ross, ignoriere allzu oft Neues, sei wenig debattierfreudig.

Die vereinte Unzufriedenheit führte schliesslich zur Gründung des Onlinemagazins «Journal B». Und seit einem Monat hat Bern auf der Website www.journal-b.ch nun also eine Alternative, einen zusätzlichen Ort für Debatten, eine journalistische Plattform für bisher von den real existierenden Medien Missachtetes.

Vom anfänglich erträumten Ideal ist «Journal B» allerdings noch weit entfernt. Es wird von ganz wenigen Leuten gemacht – gut gemacht: Der optische Auftritt ist übersichtlich und elegant. Die Texte sind anregend. An «Journal B» kommt man nicht vorbei, wenn man sich für Berner Lokalthemen interessiert. Aber «Journal B» zeigt auch, wie schwierig es ist, ein neues Medium zu gründen. Das Magazin ist bei weitem nicht in der Lage, «Bund» oder «BZ» zu ersetzen. Aber das will die Redaktion vorsichtigerweise gar nicht: «Unser Anspruch ist es, eine einordnende Berichterstattung zu pflegen, Geschichten zu erzählen, die neue Blickwinkel auf das alltägliche Geschehen in und um die Stadt Bern eröffnen, und Protagonistinnen und Protagonisten zu Wort kommen zu lassen, die im hektischen Medienalltag oft vergessen gehen.» Ähnlich wie die Basler «Tageswoche» strebt «Journal B» eine «offene, von Respekt geprägte Dialogkultur» an.

Das neu lancierte «Journal B» ist das Gegenteil von Boulevard. Seine Trägerschaft ist deutlich links positioniert. In den unaufgeregten Texten ist davon wenig zu spüren. Anständiger Journalismus, wie ihn «Journal B» praktiziert, ist heute allerdings schon fast gleichzusetzen mit linkem Journalismus. Durch das Einhalten journalistischer Standards – in Konfliktfällen alle Seiten zu Wort kommen lassen, Kritisierten Gelegenheit zur Replik geben – grenzt er sich vom Hetzerischen ab, das unter dem stilbildenden Einfluss der «Weltwoche» in vielen Blättern, auch in Bern, um sich greift. Allerdings wirkt «Journal B» dadurch im Ganzen auch noch etwas blass und unpolitisch.

Am Beispiel von «Journal B» zeigt es sich, dass traditionelle Zeitungstitel nur schwer zu ersetzen sind. Obwohl beispielsweise der «Bund» jahrzehntelang in der Krise war, mehrfach verkauft und fast zu Tode gespart wurde, lebt dort noch immer eine Tradition weiter, die im (kultur-)politischen Journalismus sehr wertvoll ist: eine Haltung, die in den politischen Stürmen und Krisen der Vergangenheit geprägt wurde und sich bewähren musste, eine Mischung von Fairness, Anteilnahme und Angriffigkeit. Nicht einmal ein Chefredaktor mit völlig anderer Sozialisation kann dieses Erbe gänzlich tilgen.

«Journal B» hingegen muss seine Persönlichkeit erst formen. Dazu braucht es die Bereitschaft, den Dingen auf den Grund zu gehen und die diskussionsfeindliche Gemütlichkeit und Rechthaberei in Bern zu stören. Aus der Ferne betrachtet, scheint mir genau dies in Bern noch zu fehlen: Man ist ziemlich zufrieden damit, dass man ein bisschen unzufrieden ist.

Hanspeter Spörri, Journalist in Teufen AR, war von 2001 bis 2006 Chefredaktor des «Bunds».