Italien: Alles Gute kommt von unten

Nr. 45 –

Während Italiens Mitte-links-Parteien weiter die Regierung von Mario Monti stützen, gibt es Ansätze für eine Koalition der sozialen Bewegungen. Ihre Stärke und Einheit am «No-Monti-Day» war bemerkenswert.

Silvio Berlusconi war – trotz neu entdeckter Gegnerschaft zu seinem Nachfolger, dem amtierenden Ministerpräsidenten Mario Monti – nicht dabei, und es hat ihn auch niemand vermisst: Der «No-Monti-Day» am 27. Oktober in Rom war eine eindeutig linke Veranstaltung. 150 000  Menschen protestierten gegen die Politik der Regierung, das Spardiktat der Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds, gegen die Einmischung von Deutschlands Bundeskanzlerin «Signora Merkel». Sie forderten die Rücknahme von Lohn- und Rentenkürzungen, die Schaffung von Perspektiven für die junge Generation und ein völlig anderes europäisches Sozialsystem.

Gekommen waren Mitglieder der linken Kleinparteien, GewerkschafterInnen verschiedener basisdemokratischer Komitees (Cobas) sowie des führungsbetont organisierten Gewerkschaftsbunds CGIL und AktivistInnen diverser sozialer Bewegungen. Es trafen sich Menschen unterschiedlichen Alters aus allen Teilen des Landes: SchülerInnen und Studierende ebenso wie RentnerInnen. Das Besondere am «No-Monti-Day» war weniger die TeilnehmerInnenzahl – in der italienischen Hauptstadt hat es schon grössere Demonstrationen gegeben – als vielmehr die Einheit in der Vielfalt und die Entschlossenheit, sich nicht mit kleineren Zugeständnissen der Regierung abspeisen zu lassen. An diesem Herbsttag war es seit langem wieder gelungen, die vielfältigen sozialen Proteste und kapitalismuskritischen Aktionen zu bündeln.

Rebellisches Europa

Der Aufruf zum Sturz der Regierung Monti ist dabei nur der kleinste gemeinsame Nenner. Die plakative Parole hielt diejenigen fern, die Montis Regierung der parteilosen «TechnikerInnen» immer noch stützen, wie die StrategInnen der Demokratischen Partei (PD). «Grosse Wahlbündnisse mit immer schwammigeren ‹Programmen› und dem Ziel, ‹die Mitte zu gewinnen› und um jeden Preis an die Macht zu kommen, haben keine Daseinsberechtigung mehr», fasste die linke Tageszeitung «Il Manifesto» die Stimmung zusammen. Die meisten der DemonstrantInnen setzten dann auch nicht auf das Mitregieren von Mitte-Links, sondern auf Opposition.

Ihre wichtigsten Bezugspunkte sind die Protestbewegungen in Griechenland, Spanien oder Portugal. «Vereint mit dem rebellischen Europa» soll der Kampf geführt werden. Das ist leichter gesagt als getan. Der geplante europäische Generalstreik am 14. November wird ohne die Unterstützung des grössten italienischen Gewerkschaftsbunds, der CGIL, stattfinden: Ihre Führung steht – im Gegensatz zu einigen ihrer Mitglieder – immer noch loyal zur PD.

Dabei gäbe es gerade für die Gewerkschaften allen Grund, der Regierung Monti die Rote Karte zu zeigen, denn die «Beschäftigungspolitik» von Monti und seiner Arbeitsministerin Elsa Fornero hat innert Jahresfrist zu einem totalen Desaster geführt. Versprochen hatten sie, dass durch die Reform des Arbeitsmarkts und den Abbau alter «Privilegien» neue Jobs entstehen würden. Nach den neusten Zahlen der italienischen Statistikbehörde ist das Gegenteil der Fall: Die offizielle Erwerbslosenquote liegt bei 10,8 Prozent und damit um zwei Prozentpunkte höher als vor einem Jahr. Von den Erwerbsfähigen unter 24 Jahren sind sogar 35 Prozent ohne Job. Würde man all jene mitzählen, die «aus der Statistik fallen», weil sie auf Abruf arbeiten oder sich nicht mehr bewerben, käme man auf 5,5 statt 2,9 Millionen Erwerbslose und auf eine Quote von 20 Prozent – nahe an den Zahlen Griechenlands und Spaniens.

Die Soziologin Chiara Saraceno macht die Politik der Regierung Monti für diese Entwicklung zumindest mitverantwortlich. So reduziert die Anhebung des Rentenalters die Zahl der Arbeitsplätze für Jüngere weiter. Und sind sie bei der Jobsuche tatsächlich erfolgreich, dann treten sie in neun von zehn Fällen in ein «atypisches» beziehungsweise «prekäres» Arbeitsverhältnis ein: schlecht bezahlt, befristet und ohne Kündigungsschutz. Saracenos Fazit: Die angebliche Reform habe ihr zentrales Ziel, die Schaffung verbindlich gültiger Vertragsbedingungen, verfehlt; genau genommen habe es gar keine Arbeitsmarktreform gegeben.

Wenn das Scheitern der Regierungspolitik mehr oder weniger offenkundig wird, bekommen auch Regionalwahlen nationale Bedeutung. Wenige Monate vor den nationalen Parlamentswahlen war Ende Oktober Sizilien Schauplatz eines grossen Stimmungstests. Von einem «historischen Sieg» sprach Pier Luigi Bersani, der Sekretär der PD: Sein Parteifreund Rosario Crocetta, Anti-Mafia-Aktivist und bekennender Homosexueller, wurde mit 31 Prozent der Stimmen zum Gouverneur gewählt. Der rechte Gegenkandidat kam nur auf 25 Prozent, die Liste von Berlusconis Partei Volk der Freiheit erlitt mit 13 Prozent einen tiefen Absturz. Letzteres kann man in der Tat historisch nennen: Seit seinem Einstieg in die Politik 1994 verfügte Berlusconi auf Sizilien über eine stabile Mehrheit.

Kampf ums Überleben

Vom «historischen Sieg» des Mitte-links-Bündnisses auf Sizilien bleibt bei genauerer Betrachtung allerdings wenig übrig. Denn die real stärkste Kraft waren mit mehr als 52 Prozent die NichtwählerInnen. Profitiert hat zudem auch die Fünf-Sterne-Bewegung des Komikers Beppe Grillo, der genauso gegen links wie gegen rechts wettert und sich jeglichem Bündnis verweigert: Sie kam auf 18 Prozent; auf nationaler Ebene scheinen 25 Prozent möglich zu sein. Allerdings deutet die geringe Wahlbeteiligung nicht nur auf eine politische Vertrauenskrise hin, sie macht auch ernsthafte Prognosen unmöglich.

Dass die unabhängigen Linken im Gegensatz zum Mitte-links-Bündnis im kommenden Jahr erneut um ihr parlamentarisches Überleben kämpfen müssen, ist jedoch offensichtlich. Auf Sizilien erreichte ihre Bündnisliste «Libera Sicilia» nur 3,1 Prozent. Auch die Partei «Italien der Werte» des ehemaligen Korruptionsermittlers Antonio Di Pietro schaffte es nicht über die Vierprozenthürde. Den Kleinparteien blieb deshalb der Einzug ins Regionalparlament verwehrt. Vordergründig hat sich damit das sozialdemokratische Dogma bestätigt: «Wahlen werden in der Mitte gewonnen», in diesem Fall von einem Bündnis aus sozialdemokratischer PD und der Union der christlichen Demokraten und Zentrumsdemokraten (UDC).

Dieses Modell wollen die PD-StrategInnen auch auf die nationale Ebene übertragen. Teile der Linken dürfen ebenfalls mitmachen, wenn sie sich dem Führungsanspruch der PD unterwerfen; der gemeinsame Spitzenkandidat wird in internen Vorwahlen ermittelt. Dass dieser nach Lage der Dinge Pier Luigi Bersani heissen wird, ist weniger das Problem als das mutmassliche Regierungsprogramm. Denn PD und UDC unterstützen die Regierung Monti nicht nur als kleineres Übel, sie teilen auch deren Arbeitsgrundlage: Das Sparprogramm sei «alternativlos», alle müssten ihren Beitrag leisten. So sieht etwa der Entwurf für ein weiteres Stabilitätsgesetz eine geringfügige Senkung der Einkommenssteuer vor – bei gleichzeitiger Erhöhung der Mehrwertsteuer. Da diese über den privaten Konsum von allen zu zahlen ist, würden dadurch die Einkommensschwachen zusätzlich belastet.

Das kritisiert auch die PD. Dass sie sich zu weiteren Abweichungen vom «Montismus» gegen links aufrafft, ist aber kaum zu erwarten. Daher ist die Unterstützung des Mitte-links-Bündnisses für Linke wenig attraktiv. Der Präsident der südöstlichen Region Apulien, Nichi Vendola, ist dennoch entschlossen, bei den Vorwahlen als Kandidat des Mitte-links-Bündnisses anzutreten. Vendola galt mal als Hoffnungsträger der Linken (vgl. «Letzter linker Charismatiker» im Anschluss an diesen Text). Sein politischer Lehrmeister, der langjährige Sekretär der Partei der Kommunistischen Wiedergründung, Fausto Bertinotti, hält von breiten, aber konturlosen Bündnisprojekten derzeit jedoch wenig.

Dafür wirbt Bertinotti in einem viel diskutierten Leitartikel für die Zeitschrift «alternative per il socialismo» für eine basisdemokratisch organisierte «soziale Koalition» aus den Bewegungen, die als «antagonistische» Kraft der grossen Koalition der SparpolitikerInnen entgegentritt. Als gemeinsames Projekt schlägt er ein Referendum gegen die bereits erfolgte Änderung des Artikels 18 im Arbeiterstatut vor, mit der die Regierung den Kündigungsschutz eingeschränkt hat. Beim erfolgreichen Kampf gegen die Privatisierung der Wasserversorgung 2011 hat sich dieses Instrument für gut organisierte Basisbewegungen als brauchbar erwiesen.

Damit alles bleibt, wie es ist

Und auch der «No-Monti-Day» hat gezeigt, dass das Potenzial für einen klaren Oppositionskurs vorhanden ist. Das wichtigste Argument dagegen wurde unterdessen weitgehend entkräftet: die Gefahr, dass der vor einem Jahr abgetretene Rechtsblock an die Regierung zurückkehren könnte. Berlusconi ist nach seiner – noch nicht rechtskräftigen – Verurteilung zu vier Jahren Haft wegen Steuerhinterziehung politisch erledigt, seine Partei ein Scherbenhaufen. Davon profitieren dürften – neben Grillos unberechenbarer Fünf-Sterne-Bewegung – die Kräfte der Mitte, die seit jeher den Ausgleich mit den Rechten suchen.

So ist es gut möglich, dass sich in Italien nach den Wahlen im April 2013 wieder einmal äusserlich vieles ändert, damit politisch alles bleibt, wie es ist: Selbst eine Regierung «Monti II» ist dann nicht mehr auszuschliessen.

Letzter linker Charismatiker

Nichi Vendola hatte Tränen in den Augen, als er kürzlich von der Anklage des Amtsmissbrauchs freigesprochen wurde. Für den Fall einer Verurteilung hatte er seinen Rückzug aus der Politik angekündigt.

1958 in Bari geboren, trat Vendola früh in die kommunistische Jugend ein. 1991 gehörte er zu den Mitbegründern der Partei der Kommunistischen Wiedergründung (PRC). 2005 wurde er zum Präsidenten der Region Apulien gewählt und 2010 in diesem Amt bestätigt. Nach der Spaltung der PRC 2008 gründete er die Gruppierung Linke, Ökologie, Freiheit. Als bekennender Homosexueller, praktizierender Katholik und undogmatischer Linker wurde er auch von den internationalen Medien als «Paradiesvogel» entdeckt, zeitweise sogar als «italienischer Obama» gehandelt.

Schon 2010 erklärte sich Vendola bereit, als Spitzenkandidat eines Mitte-links-Bündnisses anzutreten. Sein als Buch erschienenes, streckenweise pathetisches «Manifest für eine neue Politik» hat aber einen entscheidenden Mangel: Mitte-Links wäre auch nach einem Wahlsieg weder willens noch fähig, das Manifest umzusetzen.