World Economic Forum: Schwabs Davoser Familie

Nr. 5 –

2500 Leute empfing Wef-Gründer Klaus Schwab letzte Woche in Davos. Doch was will Schwab eigentlich? Wer sind seine Gäste? Worüber reden sie, welches sind ihre Ideen, ihre Ängste? Und wo bleibt die Kritik? Eine Rückschau auf fünf Tage Wef.

Das World Economic Forum (Wef), das ich bisher aus der Zeitung kannte, hat mein Gemüt nie sonderlich erregt. Ein paar Businessmänner, die an Businesslunchs über Business reden – was solls? Doch so einfach ist es nicht.

Nach einer Fahrt in einem Eisenbahnwagen aus der Zeit des Wohlfahrtsstaats über weisse Hügel und durch Tannenwälder erreicht man Davos und von dort durch eine Sicherheitsschleuse das Kongresszentrum. Drinnen: Hunderte von Männern (laut «Guardian» lag die Frauenquote bei siebzehn Prozent) in schwarzen Anzügen – denen junge Frauen in High Heels die Agenda hinterhertragen –, die alle fast gleich aussehen und gleich reden.

Klaus Schwab, Gründer des Wef, wurde auch dieses Jahr nicht müde, den Kongress als «Multistakeholder»-Veranstaltung zu verkaufen. Stakeholder sind – in Abgrenzung zu den Shareholdern – all jene, die ein Interesse an einem bestimmten Unternehmen haben: Arbeitnehmer, Konsumentinnen, die Gesellschaft als Ganzes. DemokratInnen würden von StaatsbürgerInnen sprechen. Doch Schwab löst sein Versprechen nicht ein. Wo sind die kritischen Stimmen? Wo die linken ParlamentarierInnen, die Mitglieder der Gewerkschaften, der NGOs und sozialer Bewegungen? Wo kritische Sozialwissenschaftler wie ein David Graeber, der einen Bestseller über «5000 Jahre Schulden» publiziert hat?

Um die Multistakeholder-Phrase aufrechtzuerhalten, lud Schwab wie jedes Jahr zwei, drei Quotengewerkschafter ein, die Chefs der grössten NGOs – die vor allem am Open Forum ausserhalb des Wef auftreten; ein, zwei keynesianisch geschulte Starökonomen; und irgendwelche Künstler, die für den Frieden musizierten. Mehr nicht. Die erdrückende Mehrheit stammt aus einem erlesenen Kreis aus Wirtschaftsführern. In einer Art Initiierungsritual bat Schwab zu Beginn des fünftägigen Kongresses alle diejenigen, die zum ersten Mal dabei waren, aufzustehen, um sie von den Übrigen mit Applaus in die «Davoser Familie» aufnehmen zu lassen. Auf den weissen Podiumssesseln sassen auch dieses Jahr fast ausschliesslich die CEOs und Verwaltungsräte von Multis, Banken, Versicherungen, zusammen mit führenden Politikern, Chefinnen internationaler Organisationen und einigen akademischen Top Shots. Kurz: jene Leute, die vor kurzem die Weltwirtschaft an die Wand gefahren haben.

Es stellt sich die Frage: Will Schwab nicht mehr kritische Stimmen? Oder befinden sich diese und deren Ideen jenseits seines Horizonts? Und man fragt sich, welche Antwort bedenklicher wäre.

Die Verwaltung der Welt

Gerne wirft Schwab mit altväterisch intellektuellem Gestus die grossen Fragen auf – über den Kapitalismus, die Ungleichheit. Damit nimmt er der Kritik den Wind aus den Segeln, um die Fragen dann in den weiten Gängen des Kongresshauses verklingen zu lassen. So schaffte es Schwab etwa, mit dem israelischen Präsidenten Schimon Peres ein halbstündiges Interview zu führen, ohne auch nur in einem Nebensatz Israels 45-jährige illegale Besatzungspolitik zu streifen. Warum unangenehme Fragen diskutieren? Der «Davoser Familie», die sich in schwarzen Mercedes-Limousinen durch das Bündner Dorf bewegt, geht es bestens. Wenn über Davos die Nacht hereinbricht, laden Versicherungen zu Cocktailpartys, und in den Luxusrestaurants werden die Champagnerflaschen entkorkt. Spätnachts, als ich auf dem Heimweg war, rief eine Frau hinter mir ins Telefon, eben habe sie mit Hollywoodsternchen Charlize Theron angestossen. «So exciting!» sei das.

Das Wef will keine demokratischen Debatten. In Schwabs postdemokratischer Welt sollen die Konzerne gemeinsam mit ExekutivpolitikerInnen die Welt verwalten. Auf den Podien ist entsprechend von «opportunities» die Rede, von Management – oder «resilient dynamism», federnder Dynamik, dem Motto des Wef 2013. Es geht nicht um einen Kampf des Marktes gegen den Staat. Die zunehmend marktbeherrschenden Konzerne umarmen den Staat. Chinas Wirtschaftserfolg hat den Staatskapitalismus zum Vorbild für Europa gemacht – nur mit umgekehrten Vorzeichen: Hier bestimmen die Konzerne über den Staat. Und solange «Leader» wie der ruandische Präsident Paul Kagame, der bei den letzten Wahlen nach Ausschaltung der Opposition mit 93 Prozent der Stimmen bestätigt wurde, auf dem Podium den Wirtschaftsführern Investitionssicherheit versprechen, können sie sich auch gerne als visionäre Aufklärer inszenieren.

Der Schweizer Bundesrat nutzte das Wef, um mit Israel eine engere Militärkooperation abzuschliessen und damit von den Erfahrungen aus 45 Jahren Besatzungspolitik zu profitieren; und um den Schweizer Konzernen die Tore ins autokratische Burma zu öffnen. Als gleichzeitig fünf Schweizer NGOs Johann Schneider-Ammann darum baten, im Dorfzentrum eine Petition mit 23 000 Unterschriften, die die Beachtung von Menschenrechten im Freihandelsabkommen mit China fordert, in Empfang zu nehmen, lehnte er ab.

Furcht vor dem Nationalismus

Die «Davoser Familie» ist derzeit allerdings auch von Ängsten geplagt. Immer wieder zeigten sich Podiumsteilnehmer beunruhigt durch den Unmut in Griechenland, der sich in Streiks und Molotowcocktails entlädt. Und sie warnten vor dem aufflammenden Nationalismus, der die internationalen Geschäfte zu beeinträchtigen droht – in seiner harmlosen Variante, wie ihn in Davos der britische Premierminister David Cameron mit seinem Referendum über den Verbleib Britanniens in der EU repräsentierte; aber auch in der völkischen Variante, wie sie in Griechenland oder Ungarn blüht.

Was die illustre Familie nicht einzusehen scheint: Der aufflammende Nationalismus ist ihr Kind. Nicht nur hat sie dessen Grundlage geschaffen, indem sie vor lauter Gewinnstreben die Menschen am unteren Ende der Einkommensskala vergass. Seit dem Beginn der wirtschaftsliberalen Revolution in den achtziger Jahren bekommen diese fast überall auf der Welt immer weniger vom Kuchen – und seit der Finanzkrise landen immer mehr von ihnen auf der Strasse. Sie ist es auch, die den Nationalismus bedient. So etwa, wenn die deutsche Kanzlerin Angela Merkel in den Osten Deutschlands reist und Hartz-IV-EmpfängerInnen zuruft, sie werde es niemals zulassen, dass sie für die Griechen zahlen müssten.

Die Wirtschaftselite sieht sich lieber einem nationalistischen Pöbel gegenüber, der auf den Pöbel des Nachbarstaats statt auf sie losgeht – ihr Flirt mit dem Nationalismus reicht bis ins 19. Jahrhundert zurück.

Zunehmende Ungleichheit

Immerhin griff eine prominente Rednerin das Problem der Ungleichheit auf: Christine Lagarde. Sie glaube, so die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) im gefüllten Kongresssaal, dass Ökonomen und Politiker die Ungleichheit zu lange kleingeredet hätten. Nicht nur führe eine gleichmässigere Verteilung der Einkommen zu «gesünderen Gesellschaften mit stärkeren Vertrauensbeziehungen» – und entsprechend weniger Nationalismus, so wäre anzufügen. Ebenso bringe sie mehr ökonomische Stabilität. Lagardes HausökonomInnen haben in letzter Zeit wiederholt auf die zunehmende Ungleichheit als zentrale Ursache der Finanzkrise und der bis heute währenden Wirtschaftskrise verwiesen.

Die Logik dahinter: Je mehr sich der Reichtum in wenigen Händen konzentriert, desto weniger wird konsumiert und desto mehr investiert – unten fehlt das Geld, oben ist der Konsum gesättigt. Können sich jedoch immer weniger die Produkte leisten, lohnen sich auch Investitionen immer weniger. Zwei Wege gab es bislang, um das Nachfrageproblem zu lösen. Entweder lockerten die Regierungen die Geldvergabe, damit die Banken den Menschen mehr Hypothekar- und Konsumkredite vergaben; und die Staaten liehen sich Geld, um den Menschen Sozialgelder zu zahlen. Oder – was Deutschland tat: Die Unternehmen exportierten in Länder, die sich dafür verschuldeten. 2007 platzte die Blase. Seither kommt Europa kaum aus der Krise raus, weil die Nachfrage fehlt.

Der Historiker John Hobson, dessen These die Sozialwissenschaftlerin Hannah Arendt in ihrem Standardwerk von 1951 über die «totale Herrschaft» übernahm, hat aufgezeigt, dass es insbesondere die Ungleichheit war, die Ende des 19. Jahrhunderts Europa in den Imperialismus trieb: Das Kapital machte sich auf, auf anderen Kontinenten nach Investitionsmöglichkeiten zu suchen, auf denen Europa die Kontrolle übernahm. Heute geben sich die Wirtschaftsführer in Davos mit Staatschefs zufrieden, die ihnen Investitionssicherheit versprechen.

Lagardes Worte blieben jedoch eine Ausnahme am Wef. Von unzähligen WirtschaftsvertreterInnen über den italienischen Ministerpräsidenten und ehemaligen Goldman-Sachs-Banker Mario Monti bis hin zu Kanzlerin Merkel war der Tenor ein anderer: Neben dem Sparen bei den Staatshaushalten gelte es nun, die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Ganz im Sinn des Global Competitiveness Report, in dem Schwab den Ländern dieser Welt jährlich Noten verteilt. Und Merkel sagte auch unmissverständlich, was sie darunter versteht: Löhne runter.

Kurz: Europa soll nach dem Vorbild Deutschlands umgekrempelt werden. Deutschland hat nach Europa exportiert. Nun soll Europa in die Welt exportieren.

Ohne Widerspruch

Widerspruch dazu gab es auch vonseiten der JournalistInnen kaum. Das Wef hat die grossen Medien zu gut eingebunden. Viele JournalistInnen eilten durch das Kongressgebäude den CEOs und PolitikerInnen hinterher – in der Hoffnung, durch die Nähe zur Macht etwas von ihrem Glanz abzukriegen. Um dann die einminütigen PR-Parolen durch ihre Mikrofone, über Newsportale und via Twitter ungefiltert in die Welt zu katapultieren. Radio SRF hielt zum Abschluss des Wef dem Chef des internationalen Stellenvermittlers Adecco das Mikrofon hin, damit sich dieser über die hohe Jungendarbeitslosigkeit bestürzt geben und «sofortige» Massnahmen fordern konnte: tiefere Löhne. Das ist man den Jungen schuldig. Auf eine Gegenstimme oder eine kritische Frage wartete man vergeblich.

Fragen gäbe es zur Genüge: Wie stabil ist eine Wirtschaftsordnung, in der sich andere Kontinente verschulden sollen, um Europas Exportüberschüsse aufzukaufen? Immerhin war die Verschuldung der USA gegenüber China der Auslöser der letzten Bankenkrise. Was wird aus der Gesellschaft, wenn die Ungleichheit künftig weiter zunehmen soll? Ist dann eine Demokratie überhaupt noch möglich, ohne dass der Unmut der Menschen den Kontinent ins Chaos stürzt? Wird eine solche Gesellschaft nicht zwangsläufig von TechnokratInnen geführt werden müssen, wie dies Mario Monti letztes Jahr im «Spiegel» angetönt hatte?

Das Wef ist die Verkörperung genau dieser Politik: einer Politik der Wirtschaftsführer und hohen Staatschefinnen, die unter Ausschluss der Parlamente und der Öffentlichkeit stattfindet. Überdies einer privatisierten Politik: Schwab wählt die Gäste aus, den Rest erledigen die mehrere Zehntausend Franken teuren Eintrittstickets. Und er bestimmt, welche JournalistInnen einen Backstagepass erhalten und welche lediglich die ausgewählten Podien besuchen dürfen. Der WOZ wurde letztes Jahr die Akkreditierung gar verweigert.

Der Öffentlichkeit bleibt vor allem eines: die Zahlung von rund sieben Millionen Franken Sicherheitskosten. Der junge Davoser, bei dem ich übernachtete, bekam die von ihm mitfinanzierten Sicherheitsdienste am eigenen Leib zu spüren, als er nach Mitternacht bei klirrender Kälte eine halbe Stunde lang vor seinem Wohnblock von der Polizei verhört wurde.

Wef seit 1971

Das Weltwirtschaftsforum (Wef) wurde vor 42 Jahren von Klaus Schwab, damals Professor für Unternehmenspolitik in Genf, gegründet. 1971 trafen sich unter der Obhut der Europäischen Kommission und der europäischen Industrieverbände mehr als 400 WirtschaftsführerInnen in Davos. Die als «Europäisches Managementforum» gegründete Plattform entwickelte sich über die Jahre zu einem Grossanlass, an dem sich vornehmlich WirtschaftsvertreterInnen und hohe PolitikerInnen sowie Beamte zum informellen Austausch insbesondere auch über politische Fragen treffen. Das Wef ist als Stiftung organisiert, die ihren Sitz in Genf hat.