Immer und ewig: Die Peitsche tut gar nicht richtig weh

Nr. 9 –

Die Peitsche tut gar
nicht richtig weh

Ist das gute Literatur? Oder pornografischer Schund? Als «Venus im Pelz» 1870 erschien, hielt sich die Begeisterung bei den Literaturkritikern in Grenzen. «Als ich die Novelle gelesen, sagte ich kurz und gut: Pfui Teufel!», schreibt der Schriftsteller Karl von Thaler in einer Rezension zum Werk seines Kollegen Leopold von Sacher-Masoch. Der Journalist Julius Rodenberg bezeichnet die Hauptfigur als «Missgestalt» und fürchtet, dass «dieses Unding» die Karriere seines Schöpfers nachhaltig ruinieren werde. Aber die seltsame Fantasie von einer in Pelz gehüllten Domina, die ihren Geliebten mit allen möglichen Mitteln quält und demütigt, wurde ein Publikumserfolg. In der Praxis des Sexualpathologen Richard von Krafft-Ebing häuften sich Fälle, bei denen Patienten von Sacher-Masochs «sadistisch angehauchten Weibern» träumten oder sich selbst als Fantasten «à la Sacher-Masoch» bezeichneten, sodass Krafft-Ebing die sogenannte Schmerzlust kurzerhand in «Masochismus» umbenannte.

Was bei den ZeitgenossInnen für Aufregung gesorgt hat, wirkt heute unglaublich harmlos. Ein gelangweilter junger Mann bittet eine schöne Witwe darum, ihn als Sklaven zu behandeln, was diese zuerst widerwillig, dann immer leidenschaftlicher befolgt. Ab und zu schwingt sie auch mal die Peitsche, aber so richtig weh tut das nicht. Das eigentlich Interessante ist das seltsame Arrangement, eine Art Liebesexperiment: ein Spiel, dessen Reiz darin besteht, dass nie klar ist, wo es in Ernst umschlägt, und dessen Grenze ständig verschoben werden muss, damit es weiter funktioniert. Für heutige SplatterfreundInnen ist das Buch wohl eine Enttäuschung, aber wer sich für die Macht der Fantasie und für den Einfluss der Literatur auf die Psychopathologie interessiert, sollte diesen notorischen Klassiker gelesen haben.

Leopold von Sacher-Masoch: «Venus im Pelz». Insel Taschenbuch. Frankfurt am Main 1980. 
Fr. 16.90.