Kommentar: Gute Nachrichten von der Demokratie

Nr. 11 –

Bei den kenianischen Wahlen lief nicht alles perfekt. Dennoch bestätigen sie einen erfreulichen Trend: Afrika geniesst neben einem wirtschaftlichen auch einen enormen demokratischen Aufschwung.

Es war vielleicht keine Sternstunde der Demokratie. Doch es waren solide demokratische Wahlen Anfang März, in denen die KenianerInnen ihre VertreterInnen für Parlament und Regierung auf Bezirks- wie auf nationaler Ebene frei bestimmen konnten. Insbesondere die Präsidentschaftswahl fiel extrem knapp aus. Dass die VerliererInnen nun die Resultate akzeptieren oder allenfalls juristisch anfechten, ist angesichts der Gewaltwelle, die nach den letzten – gefälschten – Wahlen vor fünf Jahren ausgebrochen war, ein Erfolg.

Dabei ist Kenia beileibe kein afrikanisches Musterland. Andernorts funktionieren die demokratischen Institutionen seit Jahren wesentlich zuverlässiger. So verliefen die Wahlen in Ghana vergangenen Dezember derart unspektakulär, gewaltfrei und demokratisch, dass sich ausserhalb Afrikas nur wenige Medien dafür interessierten. Noch immer gilt in der Afrikaberichterstattung: «Good news is no news» – gute Nachrichten aus Afrika schaffen es nur vereinzelt in die hiesige Öffentlichkeit.

Entsprechend werden die riesigen wirtschaftlichen Fortschritte Afrikas nur langsam bekannt – etwa, dass der Kontinent die grössten Wachstumsraten der Welt aufweist oder dass das Realeinkommen pro Person in den letzten zehn Jahren um durchschnittlich über dreissig Prozent gestiegen ist. Und noch weniger als die wirtschaftlichen werden die enormen politischen Fortschritte Afrikas beachtet.

Die US-amerikanische nichtstaatliche Organisation Freedom House erhebt seit 1973 jährlich den Demokratisierungsgrad aller Länder der Welt. Sie tut dies mittels verschiedener Indikatoren für politische Rechte (Wahlprozesse, politischer Pluralismus, Regierungsfunktionen) sowie Bürgerrechte (Meinungs- und Versammlungsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit und Individualrechte). Laut Freedom House erlebt die Praxis der Demokratie seit sieben Jahren weltweit einen Abschwung: Der neuste Bericht listet für letztes Jahr 28 Länder mit demokratischen Rückschritten auf, nur 16 Staaten machten Fortschritte.

Zwar hat es 2012 auch im subsaharischen Afrika etwas mehr Rück- als Fortschritte gegeben. Doch scheinen die meisten Rückschritte entweder graduell und zeitlich limitiert (Kenia, Südafrika) oder eine Folge mehrheitlich äusserer Phänomene wie des islamistischen Terrorismus (Mali, Nigeria) zu sein. Die meisten Fortschritte hingegen sind hausgemacht und sehr wahrscheinlich nachhaltig. Von den weltweit vier Ländern, die gemäss Freedom House letztes Jahr in die höchste Kategorie der freien Demokratien aufstiegen, liegen drei in Afrika: Lesotho, Senegal und Sierra Leone.

Vor dem Hintergrund der global dramatisch abnehmenden politischen und bürgerlichen Freiheiten leuchtet das «schwarze» Afrika also geradezu als Kontinent der Demokratie. Südlich der Sahara leben heute 64 Prozent der rund 900 Millionen BewohnerInnen in mehr oder weniger demokratischen Ländern. Nur Westeuropa und der Doppelkontinent Amerika schneiden besser ab. In Osteuropa und Nordwest-/Zentralasien leben hingegen weniger als die Hälfte der Menschen in (zumindest teilweise) demokratischen Systemen, im Nahen Osten und in Nordafrika gar nur 37 Prozent, und auch im asiatisch-pazifischen Raum sind es nicht mehr als 60 Prozent.

Dass heute in Afrika je nach Quelle 25 bis 30 der 54 Länder als demokratisch gelten können, ist alles andere als selbstverständlich – selbst wenn der Startschuss für eine eigenständige politische Entwicklung bereits mit dem Ende des Kolonialismus gefallen wäre. Die meisten Länder wurden in den sechziger Jahren in die Unabhängigkeit entlassen, hatten also kaum mehr als fünfzig Jahre Zeit, um sich in den von Europas Kolonialmächten willkürlich geschaffenen Territorien und Strukturen neu zu organisieren.

Zudem war ihre Unabhängigkeit bis zum Ende des Kalten Kriegs 1991 wenig wert. Weder die Vereinigten Staaten noch die Sowjetunion förderten politische Freiheiten, sondern einfach diejenigen afrikanischen Machthaber, von denen sie sich Blocktreue versprachen. Kein Wunder, gab es bis 1991 erst drei afrikanische Demokratien. Afrika hat also erst seit gerade mal zwanzig Jahren eine reale Chance auf Demokratisierung – und die wird rege genutzt.

Die Wahl in Kenia zeigt jedoch auch, dass Demokratie viel Zeit und günstige Begleitumstände braucht, um sich entfalten zu können. Der Wahlkampf und der Urnengang wurden wie nie zuvor entlang ethnischer Grenzen ausgetragen. Auch wenn die meisten AfrikanerInnen ihren Nationalstaat von den KolonisatorInnen geerbt haben, müssen sie sich früher oder später mit ihm anfreunden. Denn reines Stammesdenken fördert nicht nur Gewalt und Korruption, sondern verhindert auch politische Visionen. Dass es anders geht, zeigt wiederum Ghana, wo Wahl- und Parteiprogramme zur Debatte standen, Religion und Ethnie hingegen kaum eine Rolle spielten.

In Kenia und anderswo liegt deshalb der Schlüssel zur Demokratie vor allem bei der wachsenden Mittelschicht, denn wirtschaftlicher und demokratischer Fortschritt gehen Hand in Hand. Urbanen Angestellten sind die Stammesväter der KandidatInnen egal; sie zahlen Steuern und wollen eine effektive Sachpolitik. In Kenia standen bereits entsprechende KandidatInnen bereit. In einigen Jahren werden sie möglicherweise sogar gewählt.