Diesseits von Gut und Böse: Die sensible Botin

Nr. 25 –

Wenn diese Zeitung erscheint, steht kalendarisch der Sommer ins Haus. Ob er sich dann auch meteorologisch im Griff hat, weiss ich natürlich nicht. Manche ZuschauerInnen sollen «SRF Meteo» ja Drohbriefe schicken, wenn die Witterung nicht ihrer Erwartung entspricht. Von daher muss der eben überlebte Frühling für zartbesaitete WettermoderatorInnen eine Qual gewesen sein.

Daran muss ich jedes Mal denken, wenn die grazile Rothaarige auf dem Zürcher Fernsehdach mit schreckgeweiteten blauen Augen das nächste Tief ankündigt. Wohl um der Botschaft die schärfsten Spitzen zu nehmen, redet sie selbst bei strömendem Regen und Schneegestöber lieber von Schneeflocken und Regentropfen und erwähnt jeden zu erwartenden Sonnenstrahl einzeln. Alles an ihr scheint zu rufen: «Ich kann doch nichts dafür!» Wenn aber der «richtige» Sommer kommt mit dreissig Grad und drüber, strahlt sie und befiehlt auch der werktätigen Bevölkerung ultimativ den Aufenthalt im Freien.

Im autobiografischen Roman «Mars» von 1977 erwähnte Fritz Zorn sinngemäss, Regenwetter habe er geliebt: Wenn alle schlecht gelaunt waren, fiel seine Depression weniger auf. Nun muss man nicht depressiv sein, um auch kühlen Tagen etwas Positives abzugewinnen, drum plädiere ich dringend für mehr Sachlichkeit auf dem Dach. Sonst springt sie am Ende noch runter. kho