Thailand: Nepotismus, Notstand und Neuwahlen

Nr. 4 –

Die tiefe politische Spaltung Thailands läuft durch alle Gesellschaftsschichten. Noch ist unklar, ob die Wahlen vom 2. Februar stattfinden werden. Es droht ein juristischer oder militärischer Putsch.

«Wir wollen wählen!»: An einer Kundgebung mitten in Bangkok wurden Anfang Januar freie und demokratische Wahlen gefordert.

Der Platz vor dem Bangkok Art and Culture Centre an einer der belebtesten Strassenkreuzungen der thailändischen Hauptstadt glich einem Lichtermeer. Ungefähr tausend Menschen in weissen T-Shirts hatten sich hier Anfang Januar versammelt, darunter Geschäftsleute, Akademikerinnen, Intellektuelle und Studenten. Die meisten hielten Kerzen in Händen, andere hatten batteriebetriebene Leuchtgeräte mitgebracht. Auf Schildern stand: «Respektiert meine Stimme!»

Die AktivistInnen dieser Bewegung organisieren sich vor allem über soziale Netzwerke und treffen sich seit einigen Wochen nicht nur in Bangkok, sondern landesweit. Mit ihren Aktionen wollen sie sich vom erbitterten Konflikt zwischen Regierung und Opposition absetzen.

«Volksrat» statt Parlament

Dieser Konflikt verschärft sich seit November zunehmend. Er eskalierte ein weiteres Mal nach dem 13. Januar, nachdem das Demokratische Reformkomitee des Volkes (PDRC) unter der Führung von Suthep Thaugsuban dazu aufgerufen hatte, Bangkok lahmzulegen. In den folgenden Tagen kam es zu mehreren Anschlägen mit Schusswaffen, Granaten und Bomben. Dabei starb ein Suthep-Anhänger, über siebzig Personen wurden verletzt. Mitte dieser Woche hat die Regierung von Ministerpräsidentin Yingluck Shinawatra den Notstand verhängt.

Nicht erst seit Yingluck Anfang Dezember das Parlament aufgelöst und für den 2. Februar Neuwahlen angesetzt hat, sorgen sich viele ThailänderInnen um die Demokratie im Land. Die AktivistInnen von «Respektiert meine Stimme!» mögen zwar nicht preisgeben, wen sie wählen werden, aber das sei für sie auch nicht wichtig: «Vielmehr wollen wir zeigen, dass wir die Wahlen am 2. Februar unterstützen und für unser Stimmrecht eintreten», sagt die Aktivistin Oun: «Wahlen sind der beste Weg, um die Demokratie zu verteidigen.» Ähnlich sieht es der Chemiewissenschaftler Suwat Limsuan: «Wir wollen zeigen, dass es viele Stimmen in dieser Gesellschaft gibt, die nicht mit dem einverstanden sind, was die Protestbewegung um Suthep Thaugsuban fordert.»

Suthep, selbst ernannter Generalsekretär des PDRC und Anführer der Proteste gegen die Regierung, hat klargemacht, dass es keineswegs reiche, die regierende Partei Pheu Thai von Ministerpräsidentin Yingluck aus dem Amt zu jagen. Vielmehr müsse das ganze «Thaksin-Regime» beseitigt werden. In den Augen der PDRC-AnhängerInnen ist Yingluck eine Marionette ihres Bruders Thaksin Shinawatra, der 2006 vom Militär gestürzt worden war.

Statt erneut ein Parlament zu wählen, will die Opposition einen demokratisch nicht legitimierten «Volksrat» einsetzen. Unter dem Slogan «Reformen vor Wahlen» setzen Suthep und seine UnterstützerInnen alles daran, das Thaksin-nahe Lager politisch kaltzustellen. Hinter dem PDRC stehen die Mitglieder der alteingesessenen Bangkoker Mittelschicht, des Geldadels sowie konservative, königstreue TechnokratInnen und Militärs. Progressive AkademikerInnen bezeichneten die Pläne zur Etablierung eines Volksrats als «faschistisch», weil ein solcher ausschliesslich den Interessen einer vergleichsweise kleinen, konservativen 
Elite diene. Gleichzeitig verurteilten sie die Anschläge, da diese als Vorwand für einen möglichen militärischen Putsch dienen könnten.

Der zweite Boykott

Hinter Suthep stehen offenbar Kräfte, die sowohl Wegbereiter für den Militärputsch von 2006 als auch verantwortlich für das politische Chaos von 2008 waren, das in der Besetzung des Regierungssitzes und des internationalen Flughafens durch die «Gelbhemden» der Volksallianz für Demokratie (PAD) gipfelte. Die Protestbewegung um Suthep gilt als eine noch radikaler auftretende Wiedergeburt der PAD. Schon Letztere hatte eine «neue Politik» propagiert, um das parlamentarische System in seiner jetzigen Form drastisch zu beschneiden und so der konservativ-royalistischen Seite dauerhaft Macht, Privilegien und Pfründen zu sichern.

Unterstützt wird Suthep von der Demokratischen Partei, die bislang alle Wahlen gegen das Thaksin-nahe Lager verloren und angekündigt hat, den Urnengang Anfang Februar zu boykottieren. Es ist das zweite Mal, dass sich Thailands grösste Oppositionspartei Parlamentswahlen verweigert. Ihr Boykott von 2006 hatte zu einer Staatskrise geführt, die in den Putsch gegen Thaksin mündete.

Sollte nun wieder geputscht werden, befürchten BeobachterInnen, dass es in der Folge zu einem Bürgerkrieg kommen könnte. Bislang hat das Militär nach aussen hin Zurückhaltung gezeigt. Allerdings heizte Armeechef Prayuth Chan-ocha selbst die Gerüchteküche an, indem er andeutete, er würde einen Putsch nicht mehr ausschliessen. Ob dieser Fall eintritt, ist jedoch fraglich. Denn Thailands Militär ist politisch ebenso tief gespalten wie der Rest der Gesellschaft. Hinzu kommt, dass ein neuer Staatsstreich auf deutlich mehr Widerstand stossen würde als noch 2006, vor allem seitens der «Rothemden» im bevölkerungsreichen Norden und Nordosten. Diese gelten vorwiegend als AnhängerInnen Thaksins und Yinglucks. Andererseits ist Yingluck auch unter ihren AnhängerInnen nicht mehr unumstritten: ReisbäuerInnen fordern nach monatelangem Warten die Auszahlung von Geldern, die ihnen die Regierung im Zuge ihrer sogenannten Reispolitik als Subventionen versprochen hatte.

Gewählt statt ernannt

Derzeit wird auch über die Möglichkeit eines «juristischen» Putschs spekuliert: So hat Thailands Antikorruptionsbehörde (NACC) angekündigt, wegen der Reispolitik Ermittlungen einzuleiten. Zudem beschuldigte die Behörde 308 Abgeordnete und SenatorInnen des inzwischen aufgelösten Parlaments, letztes Jahr trotz gravierender Verfahrensfehler für eine Verfassungsänderung gestimmt zu haben. Diese habe darauf abgezielt, die Zahl der Senatsmitglieder von 150 auf 200 zu erhöhen, die zudem allesamt direkt gewählt statt wie bisher zur Hälfte ernannt werden sollten.

Offensichtlich befürchtet man eine weitere Machtkonsolidierung des Thaksin-Lagers, das besonders auf dem Land viele AnhängerInnen hat. Bereits im November hatte das Verfassungsgericht die Änderungsvorlage als verfassungswidrig bezeichnet, da ein ausschliesslich gewählter Senat die «demokratische Regierungsform mit dem König als Staatsoberhaupt umstossen» würde. Das Verfassungsgericht wie auch die NACC sind dominiert von Thaksin-GegnerInnen. Bei einem Schuldspruch könnten die betreffenden Abgeordneten, die meisten davon Angehörige der Pheu Thai und KandidatInnen bei den kommenden Wahlen, für fünf Jahre aus der Politik verbannt werden.