Medientagebuch: Eine NZZ für Österreich

Nr. 12 –

Ralf Leonhard über Zürcher Expansionspläne

Es braucht schon etwas Waghalsigkeit, um ausgerechnet einen Mann, der ein Buch mit dem Titel «Die Zeitung – Ein Nachruf» geschrieben hat, mit der Entwicklung einer neuen Zeitung zu beauftragen. Die NZZ, geplagt von schwindenden AbonnentInnenzahlen in der Schweiz, will auf dem deutschsprachigen Markt expandieren. Österreich soll dabei eine Art Versuchskaninchen abgeben, bevor die Eroberung Deutschlands unternommen wird. So hat es NZZ-CEO Veit Dengler angekündigt. Der österreichische Diplomatenspross und gelernte Betriebswirt setzt dabei auf Qualitätsjournalismus.

Auf dem Tageszeitungsmarkt wäre tatsächlich noch Platz. Die beiden überregionalen Qualitätsblätter «Der Standard» (linksliberal) und «Die Presse» (katholisch-konservativ) drucken täglich je um die 120 000 Exemplare. Der «Kurier» mit seinen fast 230 000 Stück bedient eine LeserInnenschaft, der Boulevardjournalismus zu schmierig und die anspruchsvolleren Zeitungen zu trocken sind. Als erfolgreiche Neugründungen konnten sich in den letzten Jahren nur Gratisblätter etablieren. Ihnen und dem bezahlten Boulevard will Dengler keine Konkurrenz machen.

«Man kann nicht sein eigentliches Produkt verschenken, wie wir in der Branche das in der Vergangenheit gemacht haben. Journalistische Arbeit ist wertvoll. Es kostet sehr viel, dieses Produkt herzustellen. Wir sind davon überzeugt, dass es einen Markt gibt von Leuten, die für Qualitätsjournalismus bezahlen», so der NZZ-CEO in einem Interview mit dem «Standard». Eine solide Wirtschaftsberichterstattung, ein Feuilleton, das diesen Namen verdient, und qualifizierte Kommentare sind in der derzeit verfügbaren Presse tatsächlich rar. «Wir sind davon überzeugt, dass es in Österreich genügend Kundinnen und Kunden gibt, die das Angebot eines liberalen Qualitätsjournalismus à la NZZ zu schätzen wissen», gab sich auch Chefredaktor Markus Spillmann in einem Communiqué überzeugt. Die geplante grenzüberschreitende Expansion liegt in seiner Verantwortung.

Ob das neue Produkt nur digital verfügbar sein oder auch gedruckt wird, ist noch nicht entschieden. Genauso wenig ist ausgemacht, ob die Österreich-NZZ im Wochenrhythmus oder doch täglich erscheinen soll. Konkrete Vorschläge erwartet sich Dengler von Michael Fleischhacker und der Agentur Mindworker. Fleischhacker wurde vor zwei Jahren als Chefredakteur der «Presse» gefeuert, seither hat er sich als Kolumnist verdingt und jüngst eben den erwähnten Nachruf auf die Zeitung verfasst. Die Agentur Mindworker wird von Rudolf Fussi geleitet. Er ist ein bunter Hund der österreichischen Politik, vor zwölf Jahren initiierte er ein Volksbegehren gegen den Ankauf von Abfangjägern, versuchte dann vergeblich, die SPÖ zu modernisieren, scheiterte grandios mit seiner Partei Die Demokraten und tauchte zuletzt als Berater bei der Startup-Partei des Milliardärs Frank Stronach auf. Die Agentur Mindworker ist auf PR, Social Media sowie personalisierte und politische Kommunikation spezialisiert.

Das Einzige, was Michael Fleischhacker im Telefonat mit der WOZ ausschliessen kann, ist ein «Printprodukt ohne digitale Komponente». JournalistInnen, die sich ihm bereits als MitarbeiterInnen angeboten haben, musste er vertrösten. Das Team werde er rekrutieren, wenn das Konzept stehe. Fleischhacker und Fussi können sich die Zeit nehmen, die sie brauchen. Man darf gespannt sein, mit welchem Konzept sie antreten werden.

Ralf Leonhard schreibt für 
die WOZ aus Wien.