Blochers Rücktritt: Alter Mann gegen die Zukunft

Nr. 20 –

Der Rücktritt war eine Ankündigung ganz nach Christoph Blochers Logik: Der Abschied als Kampfansage, der Klamauk als Verstärker, die Diffamierung als Stilmittel – man kennt das von seiner Abwahl aus dem Bundesrat. Da passt es auch, dass er den Rücktritt aus dem Parlament letzte Woche über seinen eigenen Internetsender verbreitete, aus der Villa auf dem Herrliberg herunterdiktiert zu jenen, die unten warten und zuhören sollen.

Den Rücktritt begründet der 73-Jährige damit, dass er im Parlament seine Zeit «verplempere», alle paar Jahre stundenlang über die gleichen Fragen diskutiere. Die Arbeit im Bundeshaus als Zeitverschwendung – Blocher bemüht mit dem Argument einen Vergleich mit der Geschichte: Auch Adolf Hitler nannte den Reichstag eine «Schwatzbude».

Selbstverständlich ist Blocher nicht Hitler. Aber seine Ausführungen versprühen den Geist eines Antidemokraten. Als Politiker zeigte er offen seine Verachtung für die demokratischen Institutionen, als Bundesrat verletzte er die Gewaltentrennung, als Parteipräsident hetzte er gegen AusländerInnen und Hilfsbedürftige, als Unternehmer offenbarte er sich bei der Übernahme der «Basler Zeitung» als Lügner. Christoph Blocher bewegt sich immer an der Grenze des Erträglichen, oft überschreitet er sie bewusst und gezielt um die Kampfzone auszuweiten und gewisse Positionen salonfähig zu machen: Wenn er beispielsweise nach Nelson Mandelas Tod sagt, dass dieser «nicht gerade in einer Wellblechhütte» gewohnt habe, dann ist das keine kopflose Provokation, sondern einmal mehr die vorbereitende Rechtfertigung für ein «Man wird ja wohl noch sagen dürfen …».

Nun will Blocher also seine Kräfte sammeln, das Geld, das er besitzt, und die Zeit, die ihm noch bleibt, nutzen, um den «schleichenden EU-Beitritt» zu bekämpfen. Der Plan dazu klingt wie eine Allmachtsfantasie: Blocher als Führer einer ausserparlamentarischen Opposition, unter dem alle isolationistischen und antimodernistischen Kreise vereint sind.

Der alte Mann steigt in seine entscheidende Schlacht, ein Kampf gegen die Zukunft. Es sei das «letzte Gefecht», war in den Medien zu lesen. Aber wessen Gefecht ist das denn? Europa wird es auch nach Blocher noch geben. Auch wir Jungen werden Blocher aller Wahrscheinlichkeit nach überleben. Die Biologie jedenfalls steht auf unserer Seite.

«Mit den Medien kann man zaubern», sagt Christoph Blocher. Zaubern ist die Kunst, die Aufmerksamkeit des Publikums auf die eine Hand zu lenken, während die andere Hand etwas macht, das niemand sieht. Blocher beherrscht diese Kunst wie wenige andere. Vielleicht sollte man also der angeblich alles entscheidenden Frage «EU: Ja oder Nein?» nicht zu viel Beachtung schenken. Denn sie ist ein Ablenkungsmanöver. Die Frage nach Europa nur dichotomisch zu stellen, führt nirgendwohin. Die Schweiz lag schon immer mitten im Kontinent, und die viel beschworene Neutralität und ihr Geschäftsmodell hingen stets von der Zuschreibung anderer Staaten ab – von der Schlacht von Marignano bis zum Fall des Bankgeheimnisses.

Die Antwort auf Blochers Rücktritt und Angriff lautet deshalb: Soll er doch. Eine moderne Gesellschaft muss sich nicht von einem anmassenden alten Milliardär ohne Amt und Funktion vorschreiben lassen, wann sie worüber zu reden und zu entscheiden hat. Stattdessen geht es darum, eigene Fragen zu stellen und neue Perspektiven zu entwickeln – erst daraus wird sich das Verhältnis zur Europäischen Union klären.

Wie könnte zum Beispiel ein soziales und offenes Europa aussehen, ein demokratischer Zusammenschluss, der auf Gemeinsamkeit statt auf Ausgrenzung basiert? Oder wie könnte ein gerechtes Wirtschaftssystem entstehen, in dem die Arbeit ein würdiges Leben ermöglicht und in dem nicht die Höhe der Erbschaft über die Chancen eines Menschen bestimmt? Oder wie schaffen wir eine mündige und vielfältige Gesellschaft, in der auch SchweizerInnen ohne Schweizer Pass Mitsprache haben, hier leben und arbeiten können, ohne dass ständig über sie bestimmt wird?

Das alles sind Fragen, die in Blochers Logik nicht zu beantworten sind. Weil es dafür mehr braucht als ein Ja oder ein Nein.