Republik Moldau: Wohin mit dem Wein?

Nr. 48 –

In der Republik Moldau könnte der proeuropäische Kurs bei den Parlamentswahlen vom 30. November bestätigt werden. Doch Russland bestraft die wirtschaftlich schwache ehemalige Sowjetrepublik jetzt schon mit Boykotten.

  • Illie Gogu aus Causeni: Anders als viele seiner BerufskollegInnen in der Republik Moldau schaut der 32-jährige Winzer optimistisch in die Zukunft.
  • Die Republik Moldau Karte: WOZ

«Ich bin zwar nur ein kleiner Produzent, setze mich aber für Qualität ein», sagt der 32-jährige Winzer Illie Gogu aus dem moldauischen Causeni. An diesem Herbsttag scheint ausnahmsweise mal nicht die Sonne. Gogus kleiner Weinberg mit Merlottrauben liegt im Südosten der Republik Moldau. Das Klima ist eher trocken, der Boden schon fast staubig. Das ist wohl einer der Gründe, warum die hier gewachsenen Reben so vorzüglichen Wein ermöglichen. Anders als viele seiner BerufskollegInnen sieht Gogu denn auch optimistisch in die Zukunft. Entscheidender Grund dafür ist allerdings, dass er keine KundInnen in Russland hat.

Der Weinbau ist der wichtigste Produktionszweig der Republik Moldau. Bis 2006 stellten die Weinexporte nach Russland die mit Abstand grösste Einnahmequelle des Landes dar. Doch dann verhängte Russland für eineinhalb Jahre eine Einfuhrsperre, weil Moldau die Unabhängigkeit des abtrünnigen Transnistriens nicht anerkennen wollte. Die Ausfuhrmenge sackte danach von 2,3 auf 1,3 Millionen Hektoliter ab. Im September 2013 hat Russland erneut eine Importsperre verhängt: Wegen ihrer Annäherung an die EU, darf die Republik Moldau seither fast gar keinen Wein mehr nach Russland verkaufen. Das Assoziierungsabkommen, das das Land im August mit der EU vereinbarte und vom EU-Parlament diesen Monat ratifiziert wurde, hat die Situation alles andere als entspannt. Und wird bei den Parlamentswahlen am 30. November die Ausrichtung nach Westen bestätigt, dürfte die moldauische Agrarwirtschaft noch stärker unter Druck geraten. Betroffen sind neben Wein auch Fleischprodukte und Früchte. Schon jetzt wird der Verlust auf 150 Millionen Dollar jährlich beziffert – für ein armes Land wie Moldau mit seinen lediglich 3,1 Millionen EinwohnerInnen eine einschneidende Einbusse.

Ein hin- und hergerissenes Land

Illie Gogu ist Winzer mit Leib und Seele. Denn schon sein Vater hat Wein produziert, davor, wenn auch in kleineren Mengen, der Grossvater. Fünfzehn Tonnen Trauben werden dieses Jahr zusammenkommen. Neben Gogus Frau hilft auch seine Mutter bei der heutigen Lese mit. «Es war ein gutes Jahr für weisse Reben», sagt Gogu, auch wenn Temperaturen von minus 29 Grad im letzten Winter einen Teil des Ernteertrags geschmälert hätten.

Illie Gogus Einsatz, seine Motivation, sein hoher Qualitätsanspruch entsprechen so gar nicht dem Bild, das Ion Duminicu von seinen Landsleuten zeichnet. Der Ethnologe der Staatlichen Akademie der Wissenschaften in Chisinau sagt ziemlich verallgemeinernd über die MoldauerInnen: «Sie wollen arbeiten wie zu Sowjetzeiten, aber europäisch leben.» Duminicu fordert mehr Arbeitseinsatz, um den westlichen Ansprüchen zu genügen. In wichtigen Wirtschaftszweigen wie der Textilindustrie seien «Restrukturierungen und Modernisierungen» nötig. Doch nötig sind auch bessere Anstellungsbedingungen: So werden die Beschäftigten oft nach Stückzahlen entlöhnt, was für die Qualität kaum förderlich ist.

Auch ohne die Agrarexporte ist die Republik Moldau ökonomisch stark von Russland abhängig. Rund eine halbe Million MoldauerInnen arbeitet in Russland. Die Überweisungen in die moldauische Heimat haben einen beträchtlichen Einfluss auf die Wirtschaft des Landes. Sollte Russland die Sanktionen verschärfen und den GastarbeiterInnen die Arbeitserlaubnis verweigern, wäre das für die Republik Moldau ein schwerer Schlag.

Starke KommunistInnen

Doch Russland spielt in Moldau auch kulturell und politisch eine wichtige Rolle. Gemäss Ion Duminicu ist ein Grossteil der Minderheiten prorussisch eingestellt. Neben Russinnen, Ukrainern und Bulgarinnen leben auch Gagausen und Jüdinnen in Moldau. Russische TV-Sender berieseln die MoldauerInnen mit der Sicht Moskaus. Die Rumänischstämmigen, die über sechzig Prozent der Bevölkerung bilden, fühlen sich dagegen mehrheitlich mit der EU verbunden. Die beiden Pole verhalten sich vor den Wahlen allerdings, trotz der brisanten Lage, nicht besonders feindlich gegeneinander.

Dennoch sind das Land und die Gesellschaft zwischen der EU und Russland hin- und hergerissen. Dumitru Ciorici, Mitglied des moldauischen Presserats, prognostiziert kurz vor der Wahl eine leichte Mehrheit für die regierende liberale Koalition. Doch: «Viele Moldauer sind enttäuscht und noch unentschlossen, wem sie die Stimme geben wollen.» Hätte die derzeitige Regierungskoalition nicht für zahlreiche Skandale und Korruptionsfälle gesorgt, würde sie ein besseres Resultat erzielen, als es nun zu erwarten sei, meint Ciorici. 2009 ging zwar die Kommunistische Partei (PCRM) als klar stärkste Partei aus der Parlamentswahl hervor, die Regierung bildeten aber andere. Bemerkenswert: Selbst die PCRM ist für eine Annäherung an die EU, wünscht sich aber zugleich eine Verbesserung des Verhältnisses mit Russland. Die Alternative zur EU wäre für Moldau ein Beitritt zur von Russland angeführten Eurasischen Wirtschaftsunion, der auch Kasachstan, Weissrussland und bald Armenien angehören. Ethnologe Ion Duminicu warnt, dass man jetzt vor einer delikaten Ausgangssituation stehe. «Es raucht zwar erst, viele warten aber auf das Feuer nach den Wahlen.» Massenproteste wie nach den Parlamentswahl von 2009 und der Präsidentenwahl von 2011 sind durchaus denkbar.

Unsicherheitsfaktor Transnistrien

Der Konflikt in der benachbarten Ukraine schürt zudem die Verunsicherung in der Bevölkerung. Zwischen der Ukraine und Moldau gibt es viele Parallelen: In beiden Ländern lebt eine russischstämmige Bevölkerungsminderheit. Ebenso bestehen enge wirtschaftliche Verflechtungen mit Russland und insbesondere eine starke Abhängigkeit von Energielieferungen. Ausserdem gibt es in Moldau mit Transnistrien eine abtrünnige Region, in der das russische Militär stationiert ist. Das Separatistenregime hat erst dieses Jahr wieder an den Volksentscheid der TransnistrierInnen von 2006 erinnert, mit dem ein Beitritt zu Russland gefordert wird – obwohl keine gemeinsame Grenze mit Russland besteht. Die benachbarte Ukraine jedenfalls hat ihr Grenzregime zu Transnistrien in jüngster Zeit massiv verschärft und laut Augenzeugen gar schwere Geschütze aufgefahren.

Sich weniger abhängig von Russland zu machen, das haben die moldauischen WinzerInnen lernen müssen. Dabei findet auch ein Umdenken weg von der billigen Massenproduktion hin zu Qualitätsweinen statt. Ion Luca, der in einer ruhigen Seitenstrasse im Zentrum Chisinaus eine kleine, moderne Vinothek führt, erklärt, dass nicht nur die Weinbranche, sondern die ganze Wirtschaft des Landes nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nicht genau gewusst habe, was freie Marktwirtschaft bedeutet.

Luca ist auch Präsident der Vereinigung kleiner Weinhersteller: «Man muss überzeugen können. Es ist ein schwieriger Prozess, Erfahrungen mit Kunden zu sammeln. Die Wende geht nicht so schnell.» Nun sollen die WeinproduzentInnen neue Märkte erschliessen. Erst vor kurzem ist Luca von einer Weinmesse in Südkorea zurückgekehrt. Was seit diesem Jahr ganz neu ist: Staat und Weinbranche vermarkten Moldau gemeinsam als Weinland. Die WeinherstellerInnen hätten in den letzten zwanzig Jahren technisch enorm aufgeholt, sagt Luca. «Es dauerte so lange, weil wir kaum Zugang zu billigem Kapital haben.» Erschwerend komme hinzu, dass WinzerInnen im EU-Raum stark subventioniert würden. Das verzerre den Wettbewerb und mache die Entwicklung noch schwieriger. Für die Moldauer WeinbäuerInnen gelte es nun, über hohe Qualität ihren Platz zu finden. Das Land habe eine 5000-jährige Weintradition. Ion Luca: «Wir müssen unsere Geschichte bekannter machen. Den Weintrinker interessiert nicht nur, was in der Flasche ist, sondern auch, was sich dahinter verbirgt.»

Gagausien : Der Sonderfall im Süden

Wie das de facto abgespaltene, aber völkerrechtlich zur Republik Moldau gehörende Transnistrien ist die im Süden gelegene Region Gagausien mehrheitlich prorussisch eingestellt. Zu Beginn der neunziger Jahre fürchteten sich GagausInnen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion vor einer «Rumänisierung» der neuen Republik Moldau und davor, dass sie als Minderheit weniger Rechte hätten. Anders als in Transnistrien kam es in Gagausien aber nicht zu einem bewaffneten Konflikt. Seit 1994 verfügt Gagausien innerhalb der Republik Moldau über einen verfassungsmässig gesicherten Sonderstatus. Die rund 160 000 GagausInnen sind eine turkstämmige, christlich-orthodoxe Minderheit.

Präsident Gagausiens ist Mihail Formuzal. Beim Gespräch mit der WOZ äussert sich Formuzal kritisch zur Politik Moldaus und damit auch zum Assoziierungsabkommen mit der EU: «Die Unterschrift ist übereilt erfolgt.» Seit Moldaus Unabhängigkeit vor 23 Jahren habe sich der Staat nicht richtig entwickelt. In der Regierung habe jeweils nur ein Clan den anderen abgelöst. «Siebzig Prozent der Bevölkerung Gagausiens würden eine Rückkehr der Sowjetunion begrüssen – selbst ich. Wir waren damals sozial viel besser abgesichert.» Bezüglich der politischen Entwicklung der Republik Moldau spricht Formuzal von einer «Pervertierung der Demokratie». PolitikerInnen würden aus persönlichen Profitinteressen von einem zum anderen Lager wechseln. Und über die Autonomie Gagausiens sagt der Präsident: «Sie existiert nur auf dem Papier, nicht in der Realität», es habe in den letzten Jahren keine Dezentralisierung, vielmehr eine Zentralisierung stattgefunden. Für Russland hat er dagegen keine bösen Worte übrig. Im Gegenteil: «Wenn Russland möchte, könnte es Moldau sehr leicht destabilisieren.»

Ein Student der gagausischen Universität in Comrat beurteilt die Situation etwas pragmatischer als der Regierungschef der Region. «In zehn Jahren werden die Investitionen aus Europa in Gagausien grösser sein als diejenigen aus Russland. Wenn ich mit Freunden diskutiere, dann wollen wir Strassen, Bildung und Medizin wie in Europa. Mit Russland verbinden uns Religion, Sprache und Traditionen. Aber der proeuropäische Kurs ist ökonomisch gesehen besser.»

André Widmer