Franz Dobler: Der Blues, die Bullen und die verdammten Hühner

Nr. 4 –

Seine Helden sind jene, die am Rand der Gesellschaft stehen oder kurz vor dem Nervenzusammenbruch. Und sich trotzdem nicht unterkriegen lassen. Jetzt wird der bayrische Schriftsteller Franz Dobler mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet.

Franz Dobler: «Der Reiz, einen Kriminalroman zu schreiben, lag darin, etwas zu schreiben, was mir nicht naheliegt.» Foto: Mari Jan Murat

Wir treffen uns in München über den Gleisen, dort, wo Franz Doblers neuer Roman beginnt, ein Buch, das nun monatelang die Krimiliste der «Zeit» angeführt hat und von dem sie sagen, dass es auch sehr viel über Deutschland erzählt, und eigentlich gar kein wirklicher Kriminalroman ist. Wäre da nicht die Waffe gewesen, die Waffe des Mannes, den der Kommissar Fallner erschossen hat, und die dann gar nicht mehr da war. Aber der Kommissar ist auf seiner selbsttherapeutischen ICE-Reise durch Deutschland sicher, dass da eine Waffe war. Er erschiesst doch keinen Unbewaffneten! Nur, wer hätte die Waffe verschwinden lassen können? Der Einzige, der auch noch am Tatort war, war sein Partner, und was hätte der für ein Interesse, sein Leben zu zerstören?

Ein Bulle als Hauptfigur, das ist schon einmal bemerkenswert. Denn die Hauptfiguren in Doblers Romanen, Erzählungen, Sachbüchern und sogar journalistischen Arbeiten waren bislang meist jene, die auf der anderen Seite des Gesetzes stehen: die Rausgefallenen, die am Abgrund, jene, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind oder zumindest quer in dieser durchnormierten deutschen Landschaft stehen.

Fallners Gewissen spielt nicht mit

In seiner Johnny-Cash-Biografie «The Beast in Me» von 2002, die ihn in Deutschland zum führenden Cash- und Country-Experten machte, lässt Dobler Quentin Tarantino sagen: «Die Männer, von denen Cash singt, sind Verlierer; sie sitzen im Knast oder stehen unterm Galgen, sie heulen, sie büssen, sie bezahlen und bereuen, Mitleid erregende Gestalten.» Dasselbe könnte man auch über Doblers Texte sagen, nur dass er nicht Mitleid erweckt, sondern den Verlierern in seinen Texten Würde verleiht. Selbst wenn sie am Ende scheitern, wie etwa in «Die letzte Flucht», einem Text über den bayrischen Bankräuber und Autodieb Theo Berger, der mit der lakonischen Fussnote endet, dass sich Berger 2003 in einer Zelle der Justizvollzugsanstalt Straubing erhängt hat: «Berger gegen die Bullen, es war ein tragikomisches Spiel, in dem er zwar viele Punkte holte, das er aber nicht gewinnen konnte.»

Da passt dann auch Doblers Kommissar Fallner rein ins Schema, auch wenn er ein Bulle ist. Schon nur deshalb, «weil ja nicht alle Bullen Nazis sind, sondern ein Spiegel der Gesellschaft», wie Dobler sagt. Aber Fallner ist kurz vor dem Durchdrehen, weil er meint, dass er einen Unbewaffneten erschossen hat, auch wenn er eigentlich überzeugt ist, dass die Welt ohne diesen Schläger und Nötiger und Dealer ein besserer Ort ist. Das hat Dobler bei der Recherche für das Buch in Gesprächen mit Polizisten und Psychologen gelernt: Es gibt Cops, die erschiessen jemanden von hinten und haben damit gar kein Problem. Dann gibt es solche, die schiessen aus Notwehr und klappen trotzdem zusammen. Fallners Gewissen spielt ebenfalls nicht mit, da kann er sich noch so einreden, dass der andere ein mieses Stück Dreck war. Und irgendwann treffen wir ihn auf dieser 340 Seiten langen Reise durch die Republik, die Flasche Jack Daniels in der einen, die Pistole mit dem Schalldämpfer in der anderen.

Der Mann mit dem «Fauser-Syndrom»

Pistolen, Gewehre – Dinge, die in Doblers Büchern und Texten immer ziemlich wichtig sind. Man könnte auch sagen: dieser ganze Männer verherrlichende Hillbilly-Kram. Und dann sieht er ja tatsächlich auch noch aus wie der bayrische Sean Penn. Das ist keine Neuigkeit. Sagt man so über ihn, und falsch ist es nicht. In seinen Texten ist immer irgendwo Louisiana. Sie handeln vom Blues in einer Welt, die vor die Hunde geht, von der Veranda, auf der einer sitzt und wartet und dabei sein Gewehr poliert; vom Countrysong, der von der grossen Liebe erzählt, die mit einem anderen durchgebrannt ist, von den eigenen Sünden und der verdammten Tür zum Hühnerstall, die klemmt und an der sich die stolze alte Mutter das Kreuz gebrochen hat.

Die Kritik meinte es deswegen nicht immer gut mit ihm, auch wenn das schon lange her ist: «Man kann es das Fauser-Syndrom nennen: Wohin er auch geht, was er auch sieht, immer sucht der Literat das amerikanische Abenteuer im bundesrepublikanischen Alltag. Ein deutscher Richard Brautigan oder John Fante wird er trotzdem nie.»

Natürlich gibt es Schlimmeres, als am «Fauser-Syndrom» zu leiden: Einem Bayer, der sich in den Achtzigern entscheidet, ein Leben ohne Kompromisse als radikaler Schreiber zu leben, kann man nicht vorwerfen, dass er am viel zu jung verstorbenen Jörg Fauser nicht vorbeikommt, der damals in München überfahren wurde, und dass es natürlich dieser Fauser war, dieser hellste Stern unter den literarischen Journalisten Deutschlands, der ihn neben Leuten wie Charles Bukowski am meisten geprägt hat.

Dobler versteht es dabei, den Schiesswütigen in seinen Büchern die nötige Melancholie und Ironie zu verpassen, sonst würde das ja alles womöglich nicht funktionieren. Schon in seinem ersten Roman, «Tollwut», von 1991, ausgezeichnet mit zwei bayrischen Literaturpreisen, dreht einer durch und greift zum Gewehr, als seine Eltern von einem Immobilienmakler gezwungen werden, den Familienhof zu verlassen, und der Besitz zwangsversteigert wird: «Die Sonne schien, aber nicht für uns», heisst es, als die Beschissenen ihren Hof verlassen.

Es sind nicht nur die literarischen Vorbilder, die die Themen erklären, sondern auch die Herkunft: Der Vater arbeitete bei der Bahn, die Mutter war Hausfrau, beide kamen von Bauernhöfen. Deutsche Unterschicht. Dobler ist der Einzige in der Familie, der Künstler wurde.

«Die Hauptfiguren in meinen Büchern hatten viel mit meinem eigenen Leben zu tun. Der Reiz, einen Kriminalroman zu schreiben, lag darin, etwas zu schreiben, was mir nicht naheliegt», sagt Dobler. Er las Bücher von und über Polizisten und traf sich mit Beamten, um zu erfahren, was es mit einem macht, wenn man in eine Schiesserei verwickelt wird, in der am Ende Tote auf der Strasse liegen. «Ich realisierte bei meinen Recherchen, dass diese speziell exponierte Gruppe letztlich die ganze Gesellschaft abbildet, von links bis rechts. Vom Musterschüler bis zum Säufer. Natürlich gibt es jede Menge Problemfälle. Mindestens zwanzig Prozent müsste man sofort rauswerfen, sagte mir ein Chefbulle. Da seien viele schräge Waffenfreaks dabei. Am umstrittensten sind die Zivilbeamten. Die halten sich für was Besseres, weil sie so viele Freiheiten haben und nicht alles minutiös belegen müssen. So auch im Fall eines Studenten, den sie in Regensburg mit zwölf Schüssen erledigten. Ein Cop sagte zu mir: ‹Unfassbar, was da passiert ist. Aber typisch, dass es Zivilbullen waren. Die bauen eigentlich nur Scheisse.›»

«Unfassbar gute Augen und Ohren»

«Der Versuch, ein Leben wie einen Rock-’n’-Roll-Song zu gestalten» – das hat die «Süddeutsche» über seinen Roman «Tollwut» geschrieben. Der Satz passt viel besser zum Autor des Werks selbst, dem Reisenden, dem Schreiber, dem Musikliebhaber, dem Raucher und Trinker, Anzugträger und Melancholiker, der als Herausgeber einer Anthologie über den Schaffhauser Musiker Guz geschrieben hat: «Durchhalten allein ist keine Qualität. Abseits von Jazz und Blues und experimenteller Musik scheint Durchhalten nur bei Millionären und Exmillionären ein beliebtes Hobby zu sein. Viele von den anderen, die es beim Durchhalten nicht zu einem Haus mit zwei Garagen gebracht haben, machen einen nur so traurig. Johnny Thunders kurz vor dem Ende, vollkommen versunken in den Spuren der wilden Tage, wie ein schwer Kranker unerreichbar für die Besucher. Auf der riesigen Videoleinwand das lachende Gesicht der Sieger. Sie heissen immer Nena. Das Durchhalten von Guz aber ist reine Qualität und pure Freude.» Wieder so ein Satz aus dem Dobler-Universum, der nicht für ihn gedacht war und trotzdem perfekt beschreibt, was ihn gut und wichtig macht.

Sagte ich schon, dass Franz Dobler für «Ein Bulle im Zug» den Deutschen Krimipreis 2015 erhält? Das hat er am Abend vor unserem Treffen erfahren, und jetzt sieht der «Gentleman der deutschen Literatur», wie er mal genannt wurde, ziemlich zerknittert aus, als hätte er zur Feier des Tages allein für vier gesoffen. Aber der Anzug sitzt. Dobler bestellt schwarzen Kaffee und raucht Gauloises. Auch wenn der renommierte Preis finanziell nicht dotiert ist, ist er für ein bayrisches Arbeiterkind, das sich vor dreissig Jahren entschieden hat, vom Schreiben zu leben, und das noch während der Arbeit zu «Ein Bulle im Zug» für ein paar zusätzliche Hundert Euros als Spüler in einem Biergarten arbeiten musste, weil es mit dem Schreiben allein noch immer nicht ganz reicht, mehr als eine Würdigung des Werks. Es ist auch eine Würdigung dafür, dass er einen Weg gegangen ist, den er sich eigentlich gar nicht leisten konnte.

Er hätte sich ja zur Sicherheit literarisch kastrieren und Redaktor werden können. Oder zumindest fest angestellter Reporter, bei der «Süddeutschen Zeitung» etwa, für deren Feuilleton er oft geschrieben hat. Er hatte ja spätestens zur Zeit seiner Cash-Biografie einen Namen in der Szene, zu Recht, versteht sich, denn nicht nur die Biografie, sondern auch seine journalistischen Arbeiten trugen eine literarische Qualität in sich: «Während wir in unserem zugeschröderten, ausgebohlten, abgemerkelten Land ohne gute Unterhaltung vor die Hunde gehen.» Hat aber nie geklappt mit der Festanstellung. Dobler blieb mit Frau und Kind in Augsburg, wo sie 1991 von München hingezogen waren, weil die Wohnungen dort bloss die Hälfte kosten. Dann begannen auf den Redaktionen die Sparmassnahmen. Hier eine Seite gestrichen, dort ein vertrauter Redaktor wegrationalisiert. Irgendwann schrieben die übrig gebliebenen RedaktorInnen bei Themenvorschlägen noch nicht einmal mehr Absagen zurück, also liess er es irgendwann bleiben mit dem Journalismus.

Und jetzt diese Auszeichnung, die ihn in eine Reihe stellt mit Bernhard Schlink, Wolf Haas, Ross Thomas. «Ein Bulle im Zug» sei ein «kompletter, richtig guter Kriminalroman», so die Jury, der Autor habe «unfassbar gute Augen und Ohren» für den gesellschaftlichen Irrwitz, die furchtbare Komik und den Wahnsinn. Sein Verleger hatte ihm kürzlich gesagt: «Wenn du diesen Preis gewinnst, lege ich beim Vorschuss für das nächste Buch noch einmal 5000 Euro drauf.» Das Spülen im Biergarten kann Franz Dobler jetzt mal für eine Weile bleiben lassen.