Trauerarbeit: Wenn der Enkel zum «Sternenkind» wird

Nr. 15 –

Was tun, wenn Enkelkinder erkranken oder sterben? Wie umgehen mit Druck und Trauer? Brigitte Trümpy-Birkeland hat die Erfahrung einst selbst gemacht. Und hilft nun vielen Grosseltern durch schwere Zeiten.

Als ihr Enkelkind Till starb, wollten sie in Kontakt mit Grosseltern kommen, denen es ähnlich erging. Heute verfolgen Tausende die «Sternenkinder»-Website von Brigitte Trümpy-Birkeland (rechts) und ihrem Mann Heiri Trümpy.

Täglich kommen über ihre Website neue Hilfsangebote auf den Tisch. «Das Netz wird immer grösser», sagt Brigitte Trümpy-Birkeland und strahlt. Da werden Ferienhäuser zur Verfügung gestellt, Krankenschwestern wollen Pflegestunden übernehmen, andere bieten Konzertkarten, Babysitting oder ihre Gesellschaft an, «zum Käfelen, Entenfüttern, um die Korrespondenz zu erledigen». Alles kostenlos. Ihr Mann Heiri behält den Überblick und steckt Fähnchen auf seiner digitalen Landkarte, damit Angebot und Nachfrage regional zusammenkommen. So fanden die beiden beispielsweise für ein krankes Kind, dessen Gotte sich zurückgezogen hat, eine neue: Dreissig Frauen meldeten sich spontan als Ersatz. Mit so viel Resonanz hatte die 64-jährige Glarnerin nicht gerechnet, als sie 2014 den Verein Sternentaler gründete, der Familien mit schwer kranken Kindern, sogenannte Sturmfamilien, unterstützt. Was diese Familien brauchen, wusste sie allerdings genau.

Der Kampf gegen den Krebs

Nicht alles in ihrem Leben war nach Wunsch verlaufen. Brigitte Trümpy hatte davon geträumt, ein Hotel zu führen und Gäste zu verwöhnen. Da es in ihrer Jugend aber keine Berufsberatung gab, blieb es bei einer kaufmännischen Ausbildung; mit zwanzig heiratete sie, dann kam das erste Kind. «Ich bin von der Autorität des Vaters nahtlos in die des Mannes gerutscht», erzählt Brigitte Trümpy. Erwachsen sei sie erst geworden, als die Familie nach Fällanden an den Greifensee zog, zu «all den emanzipierten Frauen der Siedlung Wigarten. Viele Visionen wurden da verwirklicht, man hat Gemeinschaftsessen organisiert, die Kinder gehütet.» Doch die Ehe war schwierig, und am Ende musste sie ins Elternhaus flüchten, mit zwei Kindern und Katze zurück ins Glarnerland. Das war bitter.

Sie machte das Beste draus, gründete einen Verein für Alleinerziehende, baute die erste Glarner Spitex-Einrichtung mit auf. Und lernte Heiri Trümpy kennen: Auch er ein Glarus-Rückkehrer, auch er mit verunglückter Ehe und Kindern. Der Primarlehrer brachte Musik ins Leben, mit Alphorn, Handorgel, Klavier und schöner Tenorstimme. Lange lebten sie getrennt, beide führten ein eigenes Leben, noch einmal heiraten wollten sie nicht (und taten es später doch).

Zehn Jahre leitete sie damals die Spitex in Glarus, dann wurde es ihr zu eng in dem Tal, wo, wer einmal weg war, immer ein Fremder bleiben kann. Sie entschied sich für ein PendlerInnenleben, fand einen Job bei der Arbeitsintegrationseinrichtung Sprungbrett in Zürich, führte die Kasse, erledigte die Buchhaltung und zahlte den Randständigen, die hier zum Arbeiten kamen, die Löhne aus. Dass sie das bis zu ihrer Rente aushielt – «nur immer die Zahlen, das wäre auf Dauer nichts für mich gewesen» –, lag daran, dass sie nebenbei ein Stück ihres Traums verwirklichte: Sie behandelte die NutzerInnen der Einrichtung, «wie wenn sie Gäste im Viersternehotel wären». Dafür liebten sie die Frau, die sich nicht abgrenzte. Später, als in ihrem Leben alles so schwierig wurde, nahm sie sich die Randständigen zum Vorbild: «Wenn es diesen Menschen, die gar nichts mehr haben im Leben, gelingt, jeden Morgen aufzustehen, dann schaff ich das auch.»

Das war, als ihre Enkelin Malin Hirnentzündung bekam und monatelang nur schrie. Die Schulmedizin war ratlos; erst einer Homöopathin gelang die fast unglaubliche Heilung. Kurz darauf erkrankte ihr Enkel Till an einem Hirntumor, ein vierjähriger Kampf gegen den Krebs begann, den sie 2010 verloren: Till starb, wurde zum «Sternenkind». Brigitte Trümpy hat viel gelernt in dieser Zeit. Wie zwischen Hoffen und Verzweiflung, Nachtwachen, Fahr- und Hütediensten der Alltag aus den Fugen gerät. Wie kein Raum mehr für Normalität bleibt, der kleinste Handgriff zur Anstrengung wird. Und wie schwer es für eine Grossmutter ist, mit der zweifachen Sorge – um das eigene Kind und den Enkel – fertigzuwerden.

Zusammenhalt in der Trauer

Damals ging sie auf Facebook, weil sie in Kontakt mit Grosseltern kommen wollte, denen es ähnlich erging. Heute lesen Tausende auf ihrer Seite «Sternenkinder-Grosseltern» mit. Sie richtete dort auch einen geschlossenen Bereich nur für betroffene Grossmütter ein, in dem sie besondere Themen anspricht: etwa dass eine Tochter, die sich um ihr krankes Kind sorgt, unmöglich noch ihre Mutter trösten kann. Oder dass grosser Druck auf den Vätern lastet, weil sie ihren Job riskieren, wenn sie nicht regelmässig zur Arbeit kommen können – das Problem vieler Sturmfamilien. Damals setzte sich Brigitte Trümpy auch, ermuntert von Frauen der österreichischen Kinderkrebshilfe, die ihre Facebook-Seite verfolgten, an ihr Buch «Sternenkind. Wie Till seinen Himmel fand», das 2014 erschien. Darin beschreibt sie ihre Erfahrungen und wie entlastend und bereichernd es ist, wenn man andere um Mithilfe bitten kann.

Seither sind Brigitte und Heiri Trümpy viel unterwegs. Auf Initiative von Leserinnen der Grossmütter-Facebook-Seite werden sie in Wohnstuben, Dorfhallen, Buchhandlungen zu Lesungen gebeten, von der Schweiz über Wien bis hoch zur Nordsee. Er spielt und singt dann die Lieder, die er für Till gesungen und gespielt hat. Sie liest aus ihrem Buch und erzählt. Der Gesprächsbedarf des Publikums ist gross. Einmal, so Trümpy, seien sie von einem älteren Schweizer Bauernpaar eingeladen worden, das den Enkel verloren hat. «So bescheidene, geerdete Menschen, eine wunderbare Familie, die in ihrer Trauer zusammenhält. Die beiden überliessen uns für die Nacht sogar ihr Bett. Jemanden so nah an sich heranzulassen, ist für die Schweiz nicht gerade typisch.»

Wenn die Kraft fehlt

Familien zu erreichen, während sie um das Leben eines Kindes ringen, ist sehr schwer; das merkt Brigitte Trümpy bei ihrer Vernetzungsarbeit immer wieder. Zwar gibt es einige Stellen, die Sturmfamilien Hilfe bieten – den psychosozialen Dienst der Spitäler, die Kinderkrebshilfe Schweiz, das Sozialamt. Viele Eltern hätten jedoch schlicht keine Kraft für all die vielen Bittgesuche, Formulare und Telefonate. Selbst die Angebote der Sternentaler-Website werden nur zögerlich angenommen.

So hat zum Beispiel noch niemand das Candle-Light-Dinner eingelöst, das angeboten wird. Schade, sagt Brigitte Trümpy, «denn viele Ehen zerbrechen, weil man keine Zeit mehr füreinander hat». Und wenn sie die Päckchen weitergibt, die SpenderInnen für das kranke Kind, die Geschwister, die Eltern zusammenstellt haben, hört sie oft: «Es gibt doch sicher Leute, denen es noch schlechter geht als uns.» In der Schweiz wolle niemand so recht zugeben, dass man Hilfe brauche oder kein Geld habe, sagt sie. Ausserdem würden viele von Verwandten oder FreundInnen im Stich gelassen. «Da ist es schwierig, jemand Fremden ins Leben zu lassen.» Dabei ist deren Hilfsbereitschaft überwältigend.

Und so lässt Brigitte Trümpy nicht locker. Sie webt weiter an ihrem Netz und wirbt bei den Sturmfamilien um Vertrauen: «Egal wie oft ihr verletzt wurdet, gebt der Welt noch mal eine Chance. Es lohnt sich!»

www.sternentaler.ch