Armee: Zwanzig Milliarden Franken für die Chaostruppe

Nr. 39 –

Das Parlament hat beschlossen, den Budgetrahmen für die Armee zu erhöhen. Doch man muss keine Armeegegnerin sein, um zu bilanzieren: Die Landesverteidigung hat keinen Plan.

Die nun endende Herbstsession war geprägt von Sparrunden: In den nächsten vier Jahren gibt es etwa massiv weniger Geld für die internationale Zusammenarbeit sowie für Bildung und Forschung. Die Armee hingegen blieb vom bürgerlichen Sparwahn verschont. Sie soll in den kommenden vier Jahren 20 Milliarden Franken erhalten, beschloss in dieser Session nach dem Ständerat auch der Nationalrat. Der Bundesrat hatte 18,8 Milliarden Franken vorgeschlagen.

Es fiel dem bürgerlich dominierten Parlament leicht, die hohen Armeeausgaben zu legitimieren: Die Terrorangst, die Situation in Syrien oder in der Ukraine, die wirtschaftlichen Nöte in mehreren europäischen Ländern – die Weltlage weckt bei vielen SchweizerInnen die Sehnsucht nach einer starken Landesverteidigung. Doch das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Schweizer Armee vor allem mit Pannen auf sich aufmerksam macht. Und darüber hinaus völlig konzeptlos ist.

Die Beschaffungsdebakel

Bodluv heisst das neuste Versagen. Bundesrat Parmelin trat während dieser Session vor die Medien, um die Sistierung des Projekts zur Beschaffung des Raketenabwehrsystems zu rechtfertigen. Vorausgegangen waren interne Kommunikationspannen und Indiskretionen: Parmelin will zu spät darüber informiert worden sein, dass die Projektverantwortlichen nicht nur ein Abwehrsystem, sondern gleich zwei beschaffen wollten, was weit teurer zu stehen kommen würde als die veranschlagten 500 Millionen Franken. Ein äusserst umstrittener Entscheid vor allem deshalb, weil beide Raketensysteme für sich als ungenügend eingestuft worden waren. Als das Politmagazin «Rundschau» die Beschaffungspläne öffentlich machte, bekam es der neue Verteidigungsminister Parmelin offenbar mit der Angst zu tun: Das schwierige politische Umfeld habe zu seinem Entscheid geführt, sagte er an der Medienkonferenz. Die Hinterlassenschaft seines Amtsvorgängers Ueli Maurer ist denn auch eine, die man lieber ausschlagen würde: Maurer scheiterte mit seinen Beschaffungsplänen zu den Gripen-Kampfflugzeugen. Dazu kam die äusserst umstrittene Sanierung der Duro-Lastwagen, die 558 Millionen Franken kostete und von KritikerInnen als Geschenk für die Rüstungsfirma Mowag eingestuft wurde: Die Firma hatte schliesslich die Studie über die Machbarkeit der Sanierung selbst erstellt.

Der schwelende Konflikt

Nun beschert das aufgerüstete Rüstungsbudget der Armee ein gröberes Problem: Es gibt kaum beschaffungsreife Projekte. Der grösste Posten im Rüstungsprogramm 2016 sind Lastwagen und Anhänger. Selbst SVP-Armeebefürworter wie Ulrich Giezendanner oder Adrian Amstutz hätten Bundesrat Parmelin in der Sicherheitspolitischen Kommission ermahnt, nächstes Mal ein etwas besseres Rüstungsprogramm zu präsentieren, sagt ein Kommissionsmitglied, sonst könne man die hohen Beschaffungskosten irgendwann nicht mehr rechtfertigen.

Es ist offensichtlich, dass die Beschaffungspolitik der Armee krankt. Die Gründe dafür liegen in einem Streit zwischen Traditionalisten und Modernisten. Während Erstere dem sentimentalen Traum einer in der Gesellschaft verankerten Milizarmee mit starken Bodentruppen nachhängen, wollen Letztere eine hochgerüstete Armee mit kleineren Truppenbeständen. Die Offiziersgruppe Giardino ist der wichtigste Zusammenschluss der Traditionalisten. Gelangen Beschaffungspläne an die Medien, sind sie meist involviert. «Wir sind sehr dankbar, dass die Bodluv-Pläne öffentlich wurden», sagt Giardino-Präsident Willi Vollenweider unzweideutig. Doch der Zwist zwischen Traditionalisten und Modernisten hat nicht nur die Torpedierung von Projekten zur Folge. Er führt auch zur massiven Verteuerung der Armee. Die bürgerliche Mehrheit im Parlament hat sich auf einen Kompromiss verständigt: Weder wird die Armee mit der beschlossenen Weiterentwicklung (WEA) so weit verkleinert, dass die Dienstpflicht infrage gestellt würde, noch werden Beschaffungsbudgets infrage gestellt.

Der Historiker und ehemalige grüne Nationalrat Jo Lang erklärt das so: Seit Auslandseinsätze der Armee politisch wieder vom Tisch seien, habe sich der grösste Graben bei den ArmeebefürworterInnen geschlossen. «Als es noch um die Frage ging, ob die Schweiz etwa Einsätze gegen Piraten in Somalia leisten solle, bestand die Opposition dagegen neben den Grünen und einer Minderheit der SP aus den Traditionalisten der SVP. Seit sich diese Frage erledigt hat, sind die Bürgerlichen wieder einigermassen geschlossen. Und dank der rechten Mehrheit im Parlament können sie ziemlich frei schalten und walten.» Unterhalb der Oberfläche aber schwele der Konflikt weiter, sagt Lang. Das führe dazu, dass es zwar unterschiedliche Konzepte für die Armee gebe, im Zweifelsfall aber die Armeebefürworter füreinander einstünden. Der ehemalige Verteidigungsminister Ueli Maurer ist das beste Beispiel dafür: Er gilt als klarer Sympathisant der Traditionalisten, den Gripen-Kauf wollte er ursprünglich aufschieben und erst einmal die Bodentruppen stärken. «Als das Parlament ihm dann den Gripen-Kauf aufzwang, setzte er sich vehement für die Flieger ein. Die Gripen-Frage wurde zur Glaubensfrage.»

In der Konsequenz heisst das: Die bürgerliche Mehrheit im Parlament weiss nicht, was für eine Armee sie will, und spricht für diese Konzeptlosigkeit einen Haufen Geld.

«Die Armee rüstet sich gegen den klassischen militärischen Konflikt und tut so, als wäre man die Ukraine mit der Grenze zu Russland», sagt Balthasar Glättli, der für die Grünen in der Sicherheitspolitischen Kommission sitzt. Die realen Gefahren seien heute jedoch andere: «Angriffe auf die zentrale Infrastruktur, die Atombomben im eigenen Land in Form von Atomkraftwerken, terroristische Attacken, Cyberangriffe.» Dafür brauche es keine mit Flugzeugen und Raketen hochgerüstete Armee mit 100 000 Soldaten – «sondern die Frage, wie man sich intelligent gegen die Bedrohungen wappnen kann». Jo Lang formuliert es so: «Die Militärbefürworter profitieren von der verunsichernden Weltlage – doch sie setzen den Zuspruch für die Landesverteidigung nicht in brauchbare Pläne um.»

Schlechter und teurer

Man muss keine Armeegegnerin sein, um die Unbrauchbarkeit der Armee zu erkennen: Reiner Eichenberger, in vielen Fragen SVP-naher Ökonom der Universität Fribourg, sagt: «Das Konzept, das wir jetzt haben, ergibt volkswirtschaftlich überhaupt keinen Sinn.» Der faule Kompromiss, die Armee auf 100 000 Soldaten zu verkleinern, die Wehrpflicht aber beizubehalten, sorge sowohl für eine Verschlechterung als auch für eine Verteuerung der Armee: «Solange die Wehrpflicht gilt, müssen zur Verkleinerung der Armee die Soldaten immer jünger ausgemustert werden. So wird die Armee zu einem Haufen von durchschnittlich 23- bis 24-Jährigen mit wenig Erfahrung – mit deren Ausbildung wir sehr viel Geld verschwenden.»

Eichenberger hat ausgerechnet: Berücksichtige man auch die Immobilienkosten und die Verdienstausfälle der Dienstleistenden – beide Posten fehlen im heutigen Militärbudget –, «haben wir weltweit eine der teuersten Armeen pro Kopf». Ökonomisch ergebe nur eine freiwillige Milizarmee Sinn, sagt Armeebefürworter Eichenberger, «mit 40 000 bis 100 000 Soldaten». Freiwillige blieben der Armee länger erhalten und liessen sich besser spezialisieren.

Die GSoA-Initiative für eine Abschaffung der Dienstpflicht hätte das verlangt. «Die Bürgerlichen lehnten sie ab, weil sie aus der falschen Richtung kam», sagt Eichenberger. «Sie werden die Armee wohl an die Wand fahren, bevor endlich echte Reformen möglich sind.»