Hip-Hop: Mittelfristig: Deutschland abschaffen

Nr. 6 –

Die Bundesrepublik unter dem Brennglas: Mit ihrem neuen Album «Anarchie und Alltag» liefert die Antilopen Gang einen scharfsinnigen Kommentar zur politischen Gemengelage.

«Atombomben auf Deutschland, dann ist Ruhe im Karton»: Die Antilopen Gang (Panik Panzer, Danger Dan und Koljah). Foto: Robert Eikelpoth

Irgendwann im vorletzten Jahr war die Antilopen Gang bei der «Tagesschau» zu Gast. Eben war es noch um ihr Album und ihre politische Haltung gegangen; die drei Musiker beantworteten brav die Fragen des geschniegelten Moderators, Höflichkeiten wurden ausgetauscht. Und dann sagte Danger Dan: «Mittelfristig würden wir gerne versuchen, die Bundesrepublik Deutschland aufzulösen.»

Heute ist die Antwort der Band zur Lösung aller politischen Probleme noch radikaler: «Atombomben auf Deutschland, dann ist Ruhe im Karton», singen Danger Dan, Koljah und Panik Panzer auf ihrem neuen Album «Anarchie und Alltag». Aus dem rechtsextremen Versuchslabor Deutschland soll ein Naherholungsgebiet werden. «Wäre es nicht praktischer, wenn da, wo vorher Deutschland war, in ein paar Jahren ein Baggersee entsteht? / Alle könnten schwimmen da, Enten füttern, Tretboot fahren».

Alles raffiniertes Kalkül?

Offenbar trifft das Album einen Nerv. Bereits eine Woche nach Veröffentlichung stand es auf Platz eins der deutschen Albumcharts. Die drei Musiker aus Düsseldorf, alle um die dreissig, tun selbstbewusst so, als stecke dahinter ein raffiniertes Kalkül, ein grosser Plan. Gleich im ersten Track des Albums rappt die Antilopen Gang von einem trojanischen Pferd, mit dem sie das System überlisten und von innen zerstören will. Wie genau das funktionieren soll, führte Koljah kürzlich in einem Interview mit der «taz» näher aus: «Wir haben keine Einladung ausgeschlagen, die wir bekommen haben, von sämtlichen Medien, wir sind im Vertrieb von Warner Music und nutzen das, um einen gewaltigen Umbruch vorzubereiten und durchzuführen.»

Eine breite Öffentlichkeit zu erreichen, gelingt der Band wohl auch, weil sie ihre Botschaft geschickt verpackt: Die radikalen Losungen sind mit gut gelaunter Partymusik unterlegt. Die Beats sind mittelmässig, der computerverzerrte Autotune-Gesang an einigen Stellen beinahe peinlich. Und auch wenn die Reime zuweilen wie aus einem Satzbaukasten für linksextreme Parolen klingen, schwingt stets ein subversiver Humor mit.

Die Lebenswelt, die da besungen wird, klingt ein bisschen, als würde ein Zusammenschnitt der neusten Ausgabe der «Tagesschau» auf Karl Marx treffen. Pegida-Gründer Lutz Bachmann bildet zusammen mit Deso Dogg, dem Rapper, der von Berlin-Kreuzberg aus in den Dschihad nach Syrien zog und dort vermutlich ums Leben kam, das perfekte Paar auf der Dating-App Tinder. Der knuffige Plüschausserirdische Alf, der seinen Heimatplaneten nach einer Explosion verlassen musste und mit seinem Raumschiff auf der Erde strandete, wird zum Symbol für die Entfremdung eines Flüchtlings. Und die RAF-RentnerInnen zur Parabel auf alternde RevolutionärInnen, die auf dem Komposthaufen der Geschichte landen.

In Zeiten von brennenden Asylunterkünften, patriotischen AbendlandverteidigerInnen und rassistischen Bürgerwehren lässt sich «Anarchie und Alltag» nicht nur als scharfsinniger Kommentar zur kollektiven Gemütslage des Landes lesen, sondern auch als dringlicher Appell zum Widerstand und zur Selbstermächtigung. So ruft die Antilopen Gang etwa zum «Zusammenschluss im Patientenkollektiv» auf, in Anlehnung an das Sozialistische Patientenkollektiv (SPK), das in den siebziger Jahren «aus der Krankheit eine Waffe machen» und eine klassenlose Gesellschaft schaffen wollte. Mal wird in vollem Ernst Ulrike Meinhof zitiert («Und natürlich kann geschossen werden»), mal wieder etwas albern das revolutionäre Potenzial von Pizza beschworen.

Stilistisch liegen die Bezugspunkte weniger beim Rap als beim deutschen Punk der achtziger Jahre, der sich später zum Diskursrock der Hamburger Schule entwickelte. Dass Deutschland sterben muss, konstatierten schliesslich schon die Punklegenden von Slime. Auch der Albumtitel ist ein expliziter Verweis auf die damalige Zeit: «Monarchie und Alltag» hiess das erste Album der Fehlfarben. Und schliesslich ist die Band beim Label JPK der Toten Hosen unter Vertrag.

Als Hommage gibt es auch ein Bonusalbum, voll mit Punkversionen älterer Antilopen-Songs, eingesungen von Leuten wie Monchi, dem Sänger der Antifa-Band Feine Sahne Fischfilet. Ausgerechnet der Punkavantgardist Schorsch Kamerun von den Goldenen Zitronen wollte da nicht mittun, weil er selbst seit seiner Jugend keinen Punk mehr höre. Dafür hat er einen Gastauftritt auf dem regulären Album, wo er die verlorenen Gestalten besingt, die unsere optimierungssüchtige Gesellschaft übrig lässt: «Und irgendwo da unten verlorenes Potenzial, die Parallelgesellschaft der Loser an der Bar», singt Kamerun herrlich quengelnd.

Unterkomplexe Kritik

Wie schon auf die letzten beiden Platten hat das deutsche Popfeuilleton auch auf «Anarchie und Alltag» mit breiter Verzückung reagiert – vielleicht gerade deshalb, weil man mit gutem Gewissen den Songs der Band lauschen könne, ohne selbst Haltung zeigen zu müssen, so mäkelte die Popzeitschrift «Spex»: Die Antilopen Gang sei die Lieblingsband des Jugendsendermoderators.

Die Kritik an der Überexplizitheit der Band ist allerdings selbst etwas unterkomplex. Denn die Antilopen Gang zielt nicht nur gegen rechts, sondern hinterfragt auch bequeme Positionen im linken Lager. So sorgte sie für Unmut, als sie das Anliegen von Stuttgart 21 als «antifortschrittliche Kacke» bezeichnete und Blockupy verkürzte Kapitalismuskritik vorwarf, weil deren Slogan «Wir sind die 99 Prozent» «schon fast im Antisemitismus» lande. In einem der Songs hatten die drei zuvor angekündigt, die beiden Bewegungen Seite an Seite mit der Polizei zu bekämpfen.

Party und Politik

Besonders kundig ist die Band in den Grauzonen der Verschwörungstheorien. Schon früh machte sie auf die Widersprüche der Aluhutfraktion aufmerksam, die keine Mühe hat, die Welt in Gut und Böse zu sortieren: «Zu Verschwörungstheorien gehören Vernichtungsfantasien / Sie können sagen, was sie wollen, sie sind schlicht Antisemiten». So hiess es in «Beate Zschäpe hört U2», dem Hit von 2014, in dem es neben dem schlechten Musikgeschmack der Rechten und der deutschen Gründlichkeit beim Anzünden von Flüchtlingsheimen auch um Ken Jebsen ging, den Betreiber des Onlineportals «KenFM», der seinen Job beim Rundfunk Berlin-Brandenburg einst wegen Antisemitismus verloren hatte: «All die Pseudo-Gesellschaftskritiker / Die Elsässer, KenFM-Weltverbesserer / Nichts als Hetzer in deutscher Tradition, die den Holocaust nicht leugnen, sie deuten ihn um». Jebsen klagte gegen die Band und verlor.

Bleibt natürlich die alte Frage, ob die Partymusik der Antilopen Gang allein durch ihre klaren Botschaften gleich politisch widerständig wird. Und klar kann man zu ihren Songs abends in der Küche oder an Konzerten im Chor mitsingen. Doch die witzigen Wendungen brechen jede falsche Einmütigkeit sofort wieder auf. Den Comedyformaten nicht unähnlich, liefert die Antilopen Gang den Soundtrack zu den Fragen der Zeit. Was, wenn ihr Plan aufgeht?

Konzert in Zürich, Dynamo, Freitag, 24. Februar 2017, 21 Uhr.

Antilopen Gang: Anarchie und Alltag. JPK/Warner