Katalonien: Auf dem Terrain des zivilen Ungehorsams

Nr. 7 –

Erneut will die katalanische Regionalregierung die Bevölkerung über die Unabhängigkeit von Spanien abstimmen lassen. Um die Bestrebungen zu stoppen, überzieht die Justiz katalanische PolitikerInnen mit Prozessen. Doch diese stehen auch unter dem Druck der Strasse.

«Wir werden uns nicht einschüchtern lassen. Im Gegenteil – unsere Organisation beginnt jetzt mit ihrer Mobilisierungskampagne für das Referendum. Und im Herbst werden wir unabhängig sein.» Neus Portet, Mitglied im Generalsekretariat der katalanischen Bürgerbewegung Assemblea Nacional Catalana (ANC), sprüht vor Begeisterung. Sie scheint sich darüber zu freuen, dass der Konflikt zwischen der spanischen Region und dem Zentralstaat in die entscheidende Phase tritt.

Nach einem Beschluss von Regionalparlament und Autonomieregierung wird Katalonien bis spätestens September ein Referendum über die Loslösung von Spanien abhalten. Der spanische Staat wird wie 2014 versuchen, das zu verhindern. So muss sich derzeit Artur Mas, der frühere Ministerpräsident Kataloniens, vor Gericht verantworten, weil er 2014 eine Konsultativabstimmung abhalten liess.

Agitation in den Städten

Interessanterweise wird die Unabhängigkeitsbewegung weniger von Parteien als vor allem von zivilgesellschaftlichen Organisationen getragen – so etwa von der ANC und Omnium Cultural (mit jeweils etwa 50 000 Mitgliedern). Die katalanischen Regionalparteien hingegen, vor allem die jahrzehntelang regierende liberal-konservative CIU und die sozialdemokratische ERC, hatten sich lange mit der bestehenden Autonomieregelung zufriedengegeben. Erst die Ablehnung eines neuen Autonomiestatuts durch Madrid 2010 und der Ausbruch der spanischen Wirtschaftskrise veränderten die politischen Koordinaten in der Region. Von lokalen Bürgerinitiativen getragen, entstand eine strömungsübergreifende Unabhängigkeitsbewegung, die seitdem mit Grossdemonstrationen die politischen Parteien vor sich hertreibt.

«Das Gute an unserer Bewegung ist, dass sie von den Bürgern ausgegangen ist und nicht von den Parteien», sagt Portet und lacht. «Und dass wir begriffen haben, dass wir zusammenhalten müssen.» Man merkt Neus Portet an, wie sehr die Arbeit bei der ANC ihr Leben verändert hat. Auf dem Laptop führt sie vor, wie die Bürgerbewegung die anstehende Referendumskampagne angehen will. Da die meisten Menschen im Industriegürtel um Barcelona leben und hier auch der grösste Teil der Unentschlossenen zu finden ist, bereitet die ANC eine Strassenkampagne vor, bei der Freiwillige aus den ländlichen Regionen die ANC-AktivistInnen aus dem Industriegürtel unterstützen.

Die öffentliche Meinung ist polarisiert. Die katalanischsprachigen Gemeinden im Landesinneren haben bei den letzten Wahlen teilweise mit über siebzig Prozent für die Unabhängigkeitsparteien gestimmt. In den von Einwanderung geprägten Ballungszentren hingegen befürworten zwar viele das katalanische Selbstbestimmungsrecht, aber wären für eine föderale Lösung innerhalb Spaniens durchaus offen. Genau diese Menschen will die Kampagne der UnabhängigkeitsbefürworterInnen jetzt erreichen. «Das Problem ist doch, dass der spanische Staat jede föderale Reform blockiert und unterdrückt», erklärt Portet. «Es gibt keine demokratische Lösung ohne Unabhängigkeit.»

Linksrutsch mit Folgen

Das Argument dürfte in den nächsten Monaten zur Schlüsselfrage werden. Denn die Unabhängigkeitsbewegung ist zur Trägerin vieler fortschrittlicher Forderungen geworden, die innerhalb Spaniens kaum Aussicht auf Umsetzung haben. In Katalonien hingegen ist eine Hegemonieverschiebung zu beobachten. Parteien links der gesamtspanischen sozialdemokratischen PSOE kommen bei Meinungsumfragen mittlerweile auf fast 50 Prozent. Es sind dies die ERC, die von der Bürgermeisterin von Barcelona, Ada Colau, gegründeten Comunes und die linksradikale Candidatura d’Unitat Popular (CUP). 2012 hatten die Parteien links der PSOE noch 26 Prozent erreicht. Die langjährige liberal-konservative Regierungspartei CIU ist zerbrochen und hat sich als Demokratische Partei Kataloniens neu gegründet – mit einem deutlich weniger rechtslastigen Programm. Und schliesslich ist da auch das Versprechen, dass eine katalanische Republik mit einem verfassunggebenden Prozess starten würde. Bereits in den letzten Monaten ist auf Bürgerversammlungen im ganzen Land über Inhalte einer Carta Magna debattiert worden, die Partizipationsmöglichkeiten und soziale Rechte besser garantieren soll als die spanische Verfassung heute.

Für die Abgeordnete Mireia Vehí von der CUP, die bei den letzten Wahlen auf acht Prozent kam und die liberale Autonomieregierung von Ministerpräsident Carles Puigdemont toleriert, stehen solche Aspekte denn auch im Mittelpunkt. «Das Problem in Spanien ist, dass der Verfassungspakt von 1978 die Macht der alten franquistischen Eliten zementiert hat. Die Unabhängigkeit Kataloniens stellt eine Chance dar, diesen Pakt zu sprengen.» Bei der CUP, die heute in mehreren 200 000-EinwohnerInnen-Städten im Industriegürtel um Barcelona die BürgermeisterInnen stellt, hegt man nach wie vor grosses Misstrauen gegenüber den regierenden Liberalen. Doch Mireia Vehí zeigt sich überzeugt, dass das Referendum trotz des Madrider Verbots zustande kommt. «Wir betreten das Terrain des zivilen Ungehorsams. Ich glaube, Europa unterschätzt die Entschlossenheit, mit der die katalanische Gesellschaft auf demokratische Veränderungen drängt.»