Saudi-Arabiens neuer Kronprinz: «Game of Thrones», zweite Staffel

Nr. 26 –

Nun steht dem draufgängerischen Sohn des jetzigen Königs nichts mehr im Weg, bald zum Alleinherrscher Saudi-Arabiens zu werden. Mit weitreichenden Folgen für den ganzen Nahen Osten.

Es ist unerhört. In einer echten Erbmonarchie sollte es kaum Unsicherheiten darüber geben, wer gerade auf dem Königsthron sitzt oder wer diesen als Nächster besteigen könnte. Doch ausgerechnet in Saudi-Arabien, einer der weltweit letzten gänzlich demokratiefreien Monarchien, geht seit über zwei Jahren alles drunter und drüber – als befände man sich mitten in der US-Fernsehserie «Game of Thrones», die in einem fantastischen Mittelalter spielt.

Ende der Konkordanzmonarchie

Nun scheint die erste Staffel der saudischen Version von «Game of Thrones» ein Ende gefunden zu haben. Diese begann, als Salman bin Abdelasis Anfang 2015 König wurde. Der kränkelnde 81-Jährige traute sich wohl selbst keine lange Amtszeit zu und begann sogleich, seine Nachfolge neu zu regeln: Er enterbte seinen jüngeren Halbbruder Mukrin, der soeben für ihn auf den Kronprinzenposten nachgerückt war, und bestimmte seinen heute 58-jährigen Neffen Muhammad bin Naif zum Nachfolger.

Das war zuerst einmal ein kleiner Traditionsbruch, der sowieso bald unausweichlich geworden wäre: Bis dahin waren alle Könige Saudi-Arabiens Söhne des Staatsgründers und ersten Königs Abdelasis Ibn Saud, der 1953 starb. Anfangs war die Thronfolge unter seinen über fünfzig Nachkommen (die von mindestens siebzehn Müttern abstammen) zwar noch heiss umkämpft (Faisal zum Beispiel, der dritte König, der seinen Vorgänger 1964 vom Thron gestürzt hatte, wurde elf Jahre später von einem Neffen gemeuchelt). Doch danach hat sich Saudi-Arabien zu einer Art Konkordanzmonarchie entwickelt, in der die verschiedenen Zweige der Königsfamilie in die Machtausübung eingebunden wurden.

Dieses Konsensprinzip war durch die Ernennung Muhammad bin Naifs zum Kronprinzen noch gewahrt. Doch gleichzeitig machte König Salman seinen damals noch kaum dreissigjährigen Sohn Muhammad bin Salman zum Vizekronprinzen – ein gröberer Traditionsbruch, der viele auf Seniorität und innerfamiliären Ausgleich schwörende Mitglieder der Königsdynastie vor den Kopf stiess. Und der König brachte «MbS», wie der bis dahin unbekannte Jungspund bald weitherum genannt wurde, durch die Ernennung zum Hof- und Verteidigungsminister gleich ins Zentrum der Macht (siehe WOZ Nr. 19/2016 ). MbS fackelte nicht lange und profilierte sich drei Monate später als Kriegsherr: Mit einer sunnitischen Militärallianz griff er das Nachbarland Jemen an; nach US-Vorbild zog er die Militärintervention gegen die schiitische Huthimiliz als grandiose PR-Kampagne auf (Titel: «Sturm der Entschlossenheit»). Bei Treffen mit ausländischen PolitikerInnen führte er sich wie ein Staatschef auf; den US-Präsidenten Donald Trump nahm er sogleich für sich ein und brachte ihn voll auf saudischen Kurs.

Gegen den Widerstand seines Cousins leitete MbS zuletzt auch die Isolierung des benachbarten Zwergstaats Katar in die Wege. Entschlossenheit signalisiert MbS nicht nur aussenpolitisch, sondern auch im Landesinnern. Womit er dem noch vor ihm stehenden Kronprinzen und amtierenden Innenminister das Heft aus der Hand riss. MbS lässt jegliche politische Dissidenz noch stärker als bisher verfolgen – was zu einer Verdopplung der vollstreckten Todesurteile innerhalb eines Jahres und auch zur Exekution des einflussreichen schiitischen Klerikers Nimr al-Nimr führte.

So stellte sich bald nicht mehr die Frage, ob MbS einmal den Thron besteigen würde, sondern nur noch: wie und wann. Überraschend ist nun höchstens, dass die Antwort auf diese Frage so rasch und klar gekommen ist: Vergangene Woche ernannte König Salman MbS zum Kronprinzen und schanzte ihm auch das von dessen Vorgänger gehaltene wichtige Amt des Vizepremierministers zu. Damit kann der alte Salman jederzeit abdanken und seinen Sohn inthronisieren.

Nahöstlicher Machtausbau …

Was könnte MbS jetzt noch daran hindern, Saudi-Arabien und so auch einen bedeutenden Teil des Nahen Ostens über das kommende halbe Jahrhundert hinweg zu beherrschen? Wohl nichts ausser einem Attentat, einem schlimmen Unfall, einer schlechten Gesundheit – oder einem innerdynastischen Komplott. Danach sieht es zwar gerade nicht aus: Der talentierte Prinz gilt als überaus sportiv, und er hat längst einen schützenden Machtzirkel um sich herum aufgebaut. Doch wer weiss schon, welche Abgründe hinter seiner erstaunlich eleganten Machtübernahme lauern?

Die zweite Staffel von «Game of Thrones in Riad» ist damit lanciert. Was, in der realen Ausführung, an Zynismus leider kaum zu überbieten ist. Absehbar ist, dass MbS die konfessionelle Spaltung der Region und den Konflikt mit dem Iran weiter vorantreibt. Schon im Jemenkrieg soll mit der Niederschlagung der Huthi vor allem der iranische Einfluss in der Region zurückgedrängt werden. Dass dabei bis heute über 10 000 Menschen umgekommen sind und mehr als drei Millionen fliehen mussten, dass die verbliebenen BewohnerInnen mit einer fast komplett zerstörten Infrastruktur, einer Hungersnot und einer Choleraepidemie klarkommen müssen, scheint den jungen Kriegsminister wenig zu stören.

Rechtzeitig mit der Konsolidierung von MbS’ Macht beginnt auch das Endspiel um die Zukunft Syriens. Mit dem Niedergang des Quasistaats der Dschihadorganisation IS läuft die Zeit der lokalen Milizen, die bisher als Stellvertreter ausländischer Mächte gekämpft hatten, aus. Nun werden sich diese Mächte verstärkt direkt um Sicherung oder Eroberung ihrer Einflusszonen kümmern. Der kriegserprobte MbS wird da dem bereits jetzt direkt involvierten Iran kaum das Feld überlassen. Wenn er dabei Donald Trump hinter sich weiss, umso besser.

… oder saudisches Desaster?

Doch möglicherweise überschätzt MbS seine eigenen Fähigkeiten und die seines Landes. Der Krieg im Jemen ist für Saudi-Arabien, das trotz krasser Übermacht in über zwei Jahren keine Entscheidung herbeiführen konnte, eigentlich eine Schmach. Und solange das saudische Militär dort festsitzt, wird es weder in Syrien noch bei einem allfälligen direkten Zusammenstoss mit dem Iran viel ausrichten können.

Auch mit der Aggression gegenüber Katar dürfte MbS dem eigenen Land schaden – insbesondere wirtschaftlich, weil er damit die einzige Zollunion im arabischen Raum beschädigt. Doch an ökonomischen Erfolgen wird der spätere König landesintern gemessen werden. Vor über einem Jahr lancierte er eine ambitiöse Strategie, um die saudische Volkswirtschaft komplett umzubauen: Das Land soll, statt wie heute zu neunzig Prozent von Öleinnahmen abhängig zu sein, in eine breit diversifizierte Industrienation verwandelt werden. Doch seit der aufsehenerregenden Präsentation hat sich wenig getan.

So ist in der absoluten Monarchie Saudi-Arabien auch in den nächsten Jahrzehnten nicht absolut sicher, ob der, der gerade auf dem Thron sitzt, dies auch am folgenden Tag noch tun wird.