Kost und Logis: Trickreiche Künste

Nr. 16 –

Karin Hoffsten würdigt heute weniger angesehene Fertigkeiten

Sein regelmässiges Auskommen zu verdienen, fällt nicht in allen Ländern und sozialen Situationen gleichermassen leicht. Um auch ein bisschen Teil am Wohlstand zu haben, greifen manche zu kreativen Mitteln, die einem durchaus Bewunderung abverlangen, wenn man sich erst mal vom Eingriff erholt hat. Und damit meine ich nicht das banale Klauen von Geld, Kameras oder elektronischen Geräten im Gedränge.

Ich beginne mit einer aufgrund meiner und meines Gefährten Unbedarftheit äusserst erfolgreichen Leistung. Am ersten Ferientag in einer spanischen Stadt boten uns vor Jahren zwei Frauen, vermutlich Romnija, auf einem Platz, auf dem gerade eine Bühne und Lautsprecher aufgebaut wurden, Nelken an. Die Sonne schien, offenbar wurde ein Konzert vorbereitet. «Komm, wir kaufen zwei», rief ich beglückt, «hier ist sicher ein Volksfest!» Mein Begleiter zögerte zwar, öffnete dann aber doch sein Portemonnaie. Eine der Frauen griff nach dem richtigen Münz – wenn man aus der Schweiz kommt, weiss man ja nie genau, wie im Ausland das Geld aussieht –, und zack! war alles weg. Wirklich alles – auch die 300 Euro, die wir nach dem Frühstück am Bankomaten gezogen hatten. Dabei hatte die Frau doch gar nicht ins Fach für Scheine gegriffen.

Unsere Bewunderung fürs handwerkliche Geschick hielt sich in diesem Fall in Grenzen. Den restlichen Tag verbrachten wir damit, abwechselnd unsere Blödheit zu verfluchen und beruhigende Floskeln zu rezitieren: Ach, es sind Ferien, wir verdienen ja genug, das ist die Armut hier und vieles mehr.

Eine weitere Begegnung hatte ich letztes Jahr auf einer breiten, leeren Strasse, wo sich zwei Meter vor mir ein junger Mann plötzlich zum Boden bückte, einen Ring aufhob und mir entgegenstreckte: «Den haben Sie verloren», sagte er freundlich in verständlichem Deutsch mit Akzent. «Hab ich nicht, den können Sie ins Fundbüro bringen», meinte ich, und beglückt über seinen Fund, ging er weiter. Dann rief er mich noch mal. Er habe keine Freundin, und der Ring sei sehr schön – den solle ich doch nehmen. Er besuche in Zürich seinen Cousin und sei auf Jobsuche. Ich lobte seine Deutschkenntnisse. Er drückte mir den Ring in die Hand, wandte sich zum Gehen und drehte sich dann noch mal um. Ob ich ihm nicht eventuell ein bisschen Geld geben könne, schliesslich würde ich den wertvollen Ring ja zum Fundbüro bringen können. Ich mache es kurz: Am Ende hatte ich ihm insgesamt vierzig Franken gegeben und fühlte mich nicht mehr so gut. Zu Hause im Internet wurde ich bereits bei der ersten Eingabe von «Ringtrick» fündig.

Und ein Bekannter von mir wurde kürzlich im belebten Kreis 4 auf dem nächtlichen Heimweg von einer kleinen Frau so originell betanzt, dass er staunend stehen blieb. Als sie wegtanzte, war sein Portemonnaie noch da, aber das Geld nicht mehr drin.

Andere machen so was auf der Bühne. Auf der Strasse hat es auch mal Applaus verdient.

Karin Hoffsten findet es weit krimineller, wenn im Parlament mit Intensivlobbying Millionen umverteilt werden.