Zoltan Danyi: Boden hart wie Beton

Nr. 51 –

Zoltan Danyi wollte eigentlich eine Liebesgeschichte schreiben. Trotzdem ist der Jugoslawienkrieg in seinem Romandebüt «Der Kadaverräumer» omnipräsent.

Rosenzüchten als Ausgleich: Schriftsteller Zoltan Danyi.

Und dann ist da noch die Frage nach den Rosen. Wir sind zurück in der Einfahrt des prächtigen Literarischen Colloquiums in der Villenkolonie am Berliner Wannsee, und tatsächlich, Zoltan Danyi, 1972 in der serbischen Stadt Senta geboren, hager, Resthaare kurz, schmale, fast zarte Figur, lächelt. Vielleicht ist es sein erstes ausgiebiges Lächeln, wir sind über eine Stunde gelaufen. Danyi macht langsame, kurze Schritte, dreht die Fussspitzen ein wenig nach aussen, tritt eher auf die Ferse: Es geht nicht um die Strecke, sondern um das Gehen als Grundlage fürs Nachdenken, Erzählen.

Zoltan Danyi ist Lyriker und eben Rosenzüchter, ernstes Gesicht, versinkt fast in seinem schwarzen Armeeparka, denkt nach über Fragen, wendet sie, kommt noch einmal auf etwas zurück, das er vorhin gesagt hat. Diesen Herbst ist sein Romandebüt «Der Kadaverräumer» erschienen, und Danyi erzählt vom Experimentieren, Improvisieren, davon, dass ihm in den fast sechs Jahren die Lyrik abhandenkam, er kaum Literatur lesen konnte, nicht einmal Peter Nadas, den er tief verehrt. An deren Stelle hatte sich ein rauschhafter Sog gesetzt, ein Spiel mit Rhythmen, Tönen, Erzählperspektiven. Wir gehen langsam, Danyi beschreibt diese Jahre als hellwache, aufgeregte, entrückte Phase. Kurze Schritte, dann sagt er, dass er sein Leben in dieser Zeit geliebt habe.

Moral, Gewalt, Macht

Wenn man jetzt anfügen würde, dass «Der Kadaverräumer» ein drastischer, auch bitterer, mit Gewalt und Sexualität aufgeladener Roman über «jene alles verwüstenden, alles ausbeinenden Jahre» des Jugoslawienkriegs ist, hätte man eine gute Pointe. Allerdings träfe das nicht den Kern des Buchs – Danyi wiederholt, er habe keinen Roman über den Krieg schreiben wollen, sondern eine Liebesgeschichte. Und das ist dann tatsächlich eine noch bessere Pointe, eine Liebesgeschichte zwischen einer Kroatin und einem Serben – nüchtern, minimalistisch. Nur ist davon nicht viel übrig geblieben: «Ich war wohl verurteilt dazu, über den Krieg zu schreiben.»

Das mag mit der Region zu tun haben. Senta liegt in der Vojvodina, Schlachtfeld im grossen Türkenkrieg, nach dem Ersten Weltkrieg im Königreich Jugoslawien. Deutsche und ungarische Truppen errichteten nach 1941 ein brutales Regime, massakrierten vor allem JüdInnen und SerbInnen, bis die Rote Armee und Titos PartisanInnen die Oberhand gewannen; zudem gab es Übergriffe auf Deutschsprachige und UngarInnen. Eine Geschichte, in der unter hin und her wogenden Standarten gemordet, geplündert, vergewaltigt wurde, und wenn Zoltan Danyi sagt, dass der Boden in der Region hart sei wie Beton, dann hat das vielleicht auch mit der Geschichte zu tun.

Und so dreht sich der Roman nicht um einen Krieg, sondern um Fragen von Moral, Gewalt, Macht und prekäre zivilisatorische Übereinkünfte. Sie werden durch einen riesenhaften Fleischwolf gepresst, zu Textflächen vermengt, mäandernde Sätze des namenlosen Protagonisten, gedacht, gemurmelt, ins Glas mit Eiswürfeln gesprochen oder gegen das Lenkrad eines Wagens. Beobachtungen, Enttäuschungen, irrsinnige Vorstellungen: eine Zerrissenheit, in der sich die Region selbst und die Unmöglichkeit, Kriege zu beenden, spiegeln. Danyi erzählt davon mit nachdenklicher Stimme, und man muss unbedingt an die Beischlaffixiertheit des namenlosen Protagonisten denken, an den kindischen Streit dreier Figuren über den Cevap: ob der türkisch sei oder serbisch, ob die Bosnier ihn versaut hätten – ein bedrohliches Spiel, unterspült von Aggression und Nationalismus, ein Geplänkel, unter dessen Oberfläche sich schon die Bewaffnung abzeichnet.

Den Roman durchpflügen Traumata, Wunden, existenzielle Leere, sie zerhäckseln jeden Versuch einer These und eines Überblicks, die Splitter beschleunigen sich im Wirbel von Interessen und Machtverschiebungen – reissen uns mit durch atemlose Selbstgespräche des Protagonisten, ein ehemaliger Benzinschmuggler und nun Teil eines Entsorgungskommandos für Tierkadaver, Soldat, Beobachter und Gelegenheitsarbeiter für einen kunstsinnigen Kriegsgewinnler.

Säcke mit entsorgten Leibern

Irgendwann landet der Protagonist an einem morastigen Abgrund, im Bach liegen Säcke mit entsorgten Leibern, Gestank nach Tod, der Schlick der Geschichte versaut die Hose. Vor ihm verwirren sich alle Versuche, Fäden zu entwirren, die sich durch die Region ziehen, immer eigene Wahrheiten gegeneinanderstellend, bis schliesslich auch vorstellbar wäre, «dass die Opfer doch nicht aus Versehen gestorben sind, sondern, so grausam das auch klingen mag, aber man kann die Möglichkeit nicht ausschliessen, dass in ihrem Fall gerade der gewaltsame Tod geschehen musste, damit sich ihr Schicksal erfüllt, während von einer anderen Ebene der Wahrheit betrachtet dieser Tod vollkommen vergeblich und überflüssig erscheinen mag, aber vielleicht nur, weil auf dieser anderen Wirklichkeitsebene nicht die Wahrheit der Opfer, sondern eine andere Wahrheit gilt, dachte er».

Beim Literarischen Colloquium hat Zoltan Danyi schliesslich gesagt, dass das Rosenzüchten im Familienbetrieb seiner Eltern eine Art rationale Lösung für ein Dilemma gewesen sei, in das sein Leben geraten sei. Und ein Kampf mit dem Boden, dem Wetter, den Umständen. Er lächelt noch einmal über das ganze Gesicht. Deshalb sei Rosenzüchten nicht nur ein Verlegenheitsjob, sondern ein ganz guter Ausgleich zum Schreiben.

Zoltan Danyi: Der Kadaverräumer. Roman. Aus dem Ungarischen von Terezia Mora. Suhrkamp. Berlin 2018. 251 Seiten. 37 Franken