Klaus Merz: Die kleinen Barrikaden der Schrift

Nr. 6 –

Ein lyrischer Gang durch fünf Jahrzehnte: In seinem neuen Buch «firma» verwebt der Aargauer Autor Klaus Merz Ereignisse aus dem Weltgeschehen mit Szenen aus einem Firmenalltag.

«Eine Sprache finden, / Worte, die nicht / über das Erzählte / hinweg flutschen, / sondern Reibung / erzeugen, Wärme, / Licht.» Dieser mit «Rauriser Notiz» überschriebene Siebenzeiler erfasst famos das poetische Programm des Schweizer Dichters Klaus Merz in seinem neuen Buch «firma. Prosa. Gedichte». Er schliesst damit nahtlos an seinen letzten Gedichtband «Helios Transport» an, wo es hiess: «Ins Freie: Gedichte sind Denk- / fortsätze. Über das / Bedachte hinaus.»

Der 73-jährige Aargauer Autor verbindet in seiner dreissigsten Einzelpublikation in 52  Jahren erstmals seit «Garn» (2000) und «Kurze Durchsage» (1995) wieder kompakte Prosatexte mit Lyrik – 52 aufs Äusserste verknappte Gedichte. Das Ganze signiert der Autor persönlich, wie der in Kleinbuchstaben geschriebene Titel «firma» – auf Italienisch «Die Unterschrift» oder «unterschreibe» – nahelegt. So lauten die letzten Zeilen des Bandes mit dem Titel «Geständnis»: «Nichts geht / ohne den Beistand / der Wörter. gez.km» (gezeichnet: Klaus Merz).

Hintergründige Miniaturen

Den lyrischen Verdichtungen sind fünfzig Einträge aus einer fiktiven «Firmengeschichte 1968–2018» vorangestellt. In diesen Kurztexten verschmilzt Merz Ereignisse und Bilder aus dem Weltgeschehen mit Szenen aus dem Firmenalltag sowie mit angedeuteten autobiografischen Verweisen. Ein nicht näher charakterisiertes «Wir» gründet im Juli 1968 in einer Badeanstalt eine «Firma», wobei bis zum Schluss im Dunkeln bleibt, was diese Firma produziert und weshalb sie nach fünfzig Jahren schliesst. Der verschmitzte Chronist entschuldigt sich vorab, «nur sporadisch Buch» zu führen und sich nur auf die «Denkwürdigkeiten» zu fokussieren.

Erzählt werden dann historische Momente: vom Ende des Prager Frühlings über die Anschläge vom 11.  September 2001 bis zum Fussball-WM-Final 2014. Parallel dazu registriert die ungewöhnliche Firmenschrift vielerlei Nachrichten aus dem Betriebsalltag: Mit feinem Humor berichtet der sprachmächtige Chronist von eigensinnigen Angestellten – einem aquarellierenden Speditionsangestellten etwa, einem Adorno lesenden Lehrling oder einem Revisor, der seinen Vorgesetzten erst eine Passage aus Per Olov Enquists «Ein anderes Leben» vorliest, ehe er seines Amtes waltet.

Vordergründig Banales verwandelt Merz in funkelnde Kleinode – das Durchleuchten der Belegschaft durch die Lungenliga, eine kühne Liebe am Arbeitsplatz, eine stimmige Jubiläumsfahrt auf dem See bis hin zum Porträt der makellosen Putzequipe: «4.  Juli 2005 Das Putzinstitut besetzt den Bürotrakt. Gegen das durchorganisierte Zupacken dieser eingespielten Mannschaft wirkt jede eigene Tätigkeit nichtig. Wir schweigen und schreiben unsicher vor uns hin, fragen uns insgeheim höchstens, wie man sich selber in den Sattel hilft, wenn weit und breit kein Reitpferd zu erspähen ist …»

Es sind solch hintergründige Miniaturen, die Merz’ Meisterschaft unverwechselbar illustrieren, während die zeitgeschichtlich verankerten Texte zuweilen etwas zufällig wirken.

Ein «Nachbild vom Menschen»

Den poetischen Kern des Buchs bildet freilich der zweite Teil mit den in ihrer Lakonie und Wortgenauigkeit kaum zu übertreffenden Gedichten, die unverwandt den Horizont aufreissen, den Blick vom Bodenständigen zum Transzendentalen öffnen. Zwischen Schalk und tiefem Ernst wird das eigene Tun stets mitbedacht: «Horchposten: Der Abend naht: / Ich suche nach dem Satz, / der die Welt zusammenhält. / Über Nacht.»

Was auffällt an diesem lyrischen Journal: Das schreibende Ich misstraut der sogenannten Realität und seiner eigenen Wahrnehmung zunehmend – «Augen zu: Die Nacht flunkert, / der Tag blendet / mit seinem Werk: Am klarsten / erkennen wir uns / in den Träumen. / Vielleicht.» Indes hadert der Autor nicht, er stellt sich bloss nüchtern dem Gegebenen: «Zum Schulabschluss: Vor Euch das Leben / als weit verzweigtes / Abstellgleis. // Ein anderes Schienen- / netz steht uns nicht / zur Verfügung. // Und der Prellbock / als letzte Instanz. / Verzeiht.»

Neben Träumen, Erinnerungen, Naturerfahrungen sind es immer wieder Kunstwerke alter und neuer Meister, die dem Schreiber Zuspruch stiften; berührend etwa ist die Hommage an den Burgdorfer Künstler Heinz Egger, der diesen neuen Merz-Band mit seinen Pinselzeichnungen bereichert: «Er streift seine Pinsel / ab am Revers, tritt / drei Schritte zurück, / sagt: Wo die Kunst / wirklich Fuss fasst, / entsteht hinter dem Bild / stets ein Nachbild / vom Menschen.»

Klaus Merz’ Kunst ist der sorgsame Umgang mit den Wörtern sowie das Sprengen von Gewohnheiten – er befindet sich in einem Modus der Widerständigkeit. Prägnant umreisst dies der Vorspann zum Lyrikteil: «Zwischen den Leer- / zeilen diese kleinen / Barrikaden der Schrift / Dem Nichts entgegen- / gestellt als Gedicht.»

Klaus Merz liest am Mittwoch, 13. Februar 2019, um 19.15 Uhr im Aargauer Literaturhaus in Lenzburg.

Klaus Merz: firma. Prosa. Gedichte. Mit acht Pinselzeichnungen von Heinz Egger. Haymon Verlag. Innsbruck/Wien 2019. 136 Seiten. 23 Franken