Johannes Dullin: «Albernheit ist der Schamanismus der kleinen Leute»

Nr. 13 –

Besessen von einem Elementargeist: Johannes Dullin über die profunden Erkenntnisse seiner «Albernheitsstudien» – und warum Donald Trump nicht albern ist.

WOZ: Herr Dullin, was ist Albernheit?
Johannes Dullin: Erst mal ist es für mich die freiste Form des Humors. Albernheit wird unterschätzt, sie ist eine Randnotiz der Komik. Aber sie kann eine unglaubliche Kraft und Tiefe haben. Es gibt eine schöne Erklärung zum Ursprung des Wortes, wonach die Albernheit vom «Älbischen» kommt, das heisst, man ist besessen von einem Elfen. Für mich ist Albernheit vor allem eine spielende Energie. Wenn ich albern bin, macht das etwas mit mir.

Wie verhält sich die Albernheit zur Ironie? Kann man ironisch albern sein?
Das ist was ganz anderes. Kinder sind zum Beispiel nicht ironisch, aber sie können sehr wohl albern. Albernheit hat ja keine Moral, die braucht sie auch nicht. Sie ist erst mal zügellos und darf in alle Richtungen ausschlagen. Ironie ist viel intellektueller, die weiss schon, was richtig und falsch ist. Die Albernheit ist näher beim Körperlichen, Irrationalen, eben bei der Besessenheit. Mich interessiert dieses Ungehaltene, das Zügellose. Bei der Ironie dagegen hat man die Zügel in der Hand.

Albernheit entzieht sich der Vernunft und der Theoriebildung. Gibt es trotzdem Fachbücher, auf die Sie sich bei Ihren Albernheitsstudien stützen konnten?
Es gibt sehr viel Literatur zu Ironie oder zu Komik allgemein. Zu Albernheit gibt es fast nichts, bis auf ein älteres Buch von Jutta Grund, «Über die Albernheit von Kindern». Aber auch da wird Albernheit als etwas Negatives beschrieben: Wie kann man als Lehrer alberne Schüler in den Griff kriegen, wie kann man das ausmerzen? Ich würde jeden Lehrer eher ermuntern, die richtig rumalbern zu lassen. In Schulen sollte man alberne Inseln kreieren. Oder auch in der Kabinettssitzung: Einfach mal fünf Minuten Durchzug, und man albert wirklich rum, das wäre sicher gut. Albernheit hat was Reinigendes, was Kathartisches.

Wo würden Sie die Grenze ziehen zwischen albern und einfach nur doof, zum Beispiel?
Albern muss nicht doof sein. Und «doof» beinhaltet ja auch eine Wertung. Albernheit ist für mich nicht wertend. Man kann eigentlich über alles albern. Man braucht dafür keine Form, man braucht nicht mal irgendwelche Inhalte, über die man redet. Albernheit ist eine Art von Form- und Inhaltslosigkeit.

Was wäre das Albernste, was Sie jetzt in diesem Moment tun könnten?
Wenn ich an Ihrem Stift rieche, kann das albern sein oder auch nicht. Und es gibt Albernheiten, die grössere Konsequenzen haben als andere. Ich kann jetzt hier die Pflanze aus dem Topf reissen und sie durch den Raum schwenken. Dann muss ich danach aber aufräumen.

Kann man wirklich über alles albern?
Ja, auf jeden Fall. Wenn ich höre, was in Krebskliniken alles herumgealbert wird! Oder in Kriegen, wenn Soldaten in Panzern herumalbern. Auch auf Beerdigungen, beim Leichenschmaus, wird ja viel herumgealbert, das sind oft die lustigsten Feste. Das Albern ist ein psychohygienisches Ventil, ein ganz natürlicher Reflex, um die gedanklichen Strukturen, die wir als gegeben wahrnehmen, mal kurz aufzuschütteln und zu lockern. Man kann über Quantenphysik albern, über Jesus oder über Kompost. Man kann über ein Messer albern, das ins Auge geht …

… ausser es ist das eigene Auge.
Ja, klar. Aber mir wurde auch mal ein Zahn rausgeschlagen, und danach hab ich mir als Erstes eine Zigarette in die Zahnlücke gesteckt. Gut, ich war auch betrunken, aber ich hab halt erst mal das lustige Potenzial gesehen. Ich glaube, die Albernheit ist der Schamanismus der kleinen Leute. Man wird wie benebelt und treibt gewisse Gewissheiten für einen Moment aus. Das ist ein total wichtiger Mechanismus – der aber natürlich von aussen wahnsinnig nervig sein kann. Wie bei Kindern, wenn sie albern: Wenn man nicht mit drinsteckt, hat man da echt keinen Zugang.

Ist Donald Trump albern?
In einem negativen Sinne ja. Viele Tweets von ihm sind natürlich wahnsinnig albern, und wie er sich verhält, wirkt aus unserer Perspektive total albern. Aber wenn ich es mir recht überlege, glaube ich nicht, dass Trump albern ist, weil ich nicht glaube, dass bei ihm diese psychohygienische Kraft am Werk ist. Sein grösstes Genie ist ja, dass er es schafft, dass die Leute pausenlos von ihm reden. Die sind alle echt besessen von ihm. Also ist es eher so, dass die Menschen selbst albern sind – besessen von diesem bösen Elfen.

Man hört jetzt oft, dass die politische Korrektheit die Freiheit des Humors bedrohe. Sehen Sie das auch so?
Jein. Klar, Kunst und Humor müssen alles dürfen. Da müssen wir töten, schlachten, metzeln dürfen, um spielerisch den Ernstfall zu entdecken. Aber hinter jedem Witz steht eine Person, die ihn erzählt. Der gleiche Witz kann aus einem Mund total homophob sein und aus einem anderen völlig okay. Und man muss sich doch jedes Mal fragen, warum jemand gerade diesen Witz erzählt. Da würde ich mir auch von Komikern manchmal etwas mehr Sensibilität wünschen.