Auf allen Kanälen: Zählt, KollegInnen!

Nr. 4 –

Unter dem Hashtag «Vorschauenzählen» untersuchten Twitter- NutzerInnen, wie gut Frauen in den aktuellen Verlagsprogrammen vertreten sind. Die Ergebnisse sind ernüchternd.

«Das simple binäre Zählen, hier sind die Männer und hier die Frauen, das bringt uns nicht weiter», meint Mara Delius, Literaturkritikerin der deutschen Zeitung «Die Welt», die auch deren Beilage, die «Literarische Welt», verantwortet. Wenn sie ein Literaturblatt mache, dann achte sie natürlich darauf, dass dieses auch einigermassen zeitgemäss sei: «Das heisst aber nicht, dass ich zähle: Habe ich nun vier Rezensionen von Frauen oder drei von Männern?» Das sagte sie vergangene Woche in einer Radiosendung im Deutschlandfunk im Gespräch mit der Autorin und Literaturwissenschaftlerin Berit Glanz. Denn diese macht genau das, was Delius nicht mag: zählen.

Sechzig zu vierzig

Unter dem Hashtag «Vorschauenzählen» hatte Berit Glanz gemeinsam mit der Herausgeberin und Übersetzerin Nicole Seifert vergangenen Herbst auf Twitter dazu aufgerufen, die Verlagsvorschauen für das Frühjahrsprogramm auf die Geschlechter hin auszuwerten – was fleissig getan wurde. Was dabei herauskam, ist, einmal mehr, ernüchternd, frustrierend und vor allem ärgerlich. Im Durchschnitt ist das Verhältnis von Autoren zu Autorinnen in deutschen Verlagsprogrammen ungefähr sechzig zu vierzig Prozent. Doch, wie Glanz und Seifert in einem Artikel auf spiegel.de festhalten: «Je ernsthafter es zugeht, desto männlicher; je unterhaltsamer es wird, desto weiblicher.» Und: «Je höher das literarische Prestige eines Verlags, desto mehr scheint er auf Männer im Programm zu setzen.» So präsentiert der S. Fischer Verlag 4 Autorinnen und 11 Autoren, Diogenes 5 Autorinnen und 15 Autoren, Hanser 4 Autorinnen und 14 Autoren und Suhrkamp 15 Autorinnen und 27 Autoren. Rowohlt sticht mit seinem Literaturkatalog positiv hervor, präsentiert er doch 6 Autorinnen und 7 Autoren. Dies allerdings, nachdem der Verlag im Herbstkatalog im Bereich Belletristik 12 Autoren und gerade mal eine Autorin präsentierte, die im 19. Jahrhundert gelebt hatte. Will heissen: Rowohlt hatte im letzten Herbstliteraturprogramm keine einzige zeitgenössische Autorin.

Die Verärgerung über Rowohlt sowie die 2018 publizierte Rostocker Studie «Frauenzählen» veranlassten Glanz und Seifert Ende vergangenes Jahr zu ihrem Aufruf #vorschauenzählen. Für die Pilotstudie «Zur Sichtbarkeit von Frauen in Medien und im Literaturbetrieb» wertete eine Gruppe um Medienwissenschaftlerin Elizabeth Prommer während eines Monats 2036 Rezensionen von 69 deutschen Medien statistisch und sozialwissenschaftlich aus. Die Ergebnisse sind, auch hier, ernüchternd, frustrierend und ärgerlich: Zwei Drittel der besprochenen Bücher sind von Männern verfasst, die Kritiken werden überwiegend von Männern geschrieben (vier zu drei) – Männer besprechen also vor allem Bücher von Männern. Die von Männern verfassten Kritiken sind länger als jene von Frauen, und die Kritiker räumen Werken von Autoren mehr Raum ein. Dies erhöht die Sichtbarkeit der Autoren zusätzlich.

Rowohlt entschuldigt sich

«Frauen zählen ist wichtig, aber wir sollten dabei nicht vergessen, dass es sich um Literatur handelt», warnt Mara Delius. Und beinahe scheint es so, als freue sie sich über die abgebildete Ungleichheit, weil das nämlich beweise, «dass Verlagsprogramme keine Gleichstellungspapiere sind»: Delius fürchtet, dass KritikerInnen langsam, aber sicher zu AktivistInnen verkommen würden. Bereits in einem im Herbst erschienenen Artikel beklagte sie sich über die Kritik am Rowohlt-Verlag (der sich selber auf Twitter für sein männerdominiertes Programm entschuldigt hatte) und beschwerte sich, dass die Frage der literarischen Qualität von der Frage des Geschlechts überlagert werde.

«Es ist nicht so, dass Männer per se einfach besser schreiben können», betont dagegen Glanz im Radiogespräch. «Die Verlagsprogramme bilden nicht unsere gesellschaftliche Realität ab!» Sie würde vom Feuilleton ein Bewusstsein für strukturelle Diskriminierung erwarten, und diese zeige sich in den Zahlen.

Da gibt es nur Folgendes hinzuzufügen: Man wünscht sich dieses Bewusstsein nicht nur vom Feuilleton, sondern allgemein auch innerhalb der Redaktionen. Denn die strukturelle Diskriminierung findet auch in der Berichterstattung der Politik-, Wirtschaft- oder Sportressorts statt. Deswegen zählt, werte KollegInnen, zählt! Die Zahlen bringen uns durchaus weiter.