Terrorbekämpfung in Spanien: Señor X und seine Mordgehilfen

Nr. 27 –

Die Todesschwadronen, die in den achtziger Jahren über Spaniens Landesgrenzen hinweg mordeten, taten dies im Auftrag von ganz oben. Das bezeugen neu zugängliche CIA-Dokumente. Aber das Land tut sich weiterhin mit der Aufarbeitung seiner Geschichte schwer.

Ein Sozialdemokrat als Hintermann rechtsextremer Terroristen: Felipe González bei seiner Vereidigung als Ministerpräsident im Dezember 1982. Foto: Keystone

Nun darf es als amtlich gelten: Hinter den rechtsextremen Grupos Antiterroristas de Liberación (GAL) – Todesschwadronen der spanischen Polizei, die zwischen 1983 und 1987 überwiegend in Frankreich dreissig Personen ermordeten – steckte der damalige sozialdemokratische Ministerpräsident Felipe González höchstpersönlich. In einem CIA-Dokument, das nach Ablauf der üblichen Fristen jüngst freigegeben wurde, heisst es, González habe die «Bildung einer Söldnertruppe unter Führung der Armee zur extralegalen Bekämpfung der Terroristen» der ETA autorisiert.

Im spanischen Baskenland galt González schon lange als eigentlicher Kopf des rechten Terrors der achtziger Jahre. Bei einem Strafverfahren in den Neunzigern gegen seinen Innenminister José Barrionuevo – ebenfalls vom sozialdemokratischen PSOE – war immer wieder die Rede von einem «Señor X» gewesen, der noch über dem Innenminister gestanden habe. Trotzdem wurden gegen Felipe González, der Spaniens Übergang zur Demokratie prägte wie sonst kaum jemand, nie Ermittlungen eingeleitet. Und auch diesmal wird er fast sicher ungeschoren davonkommen: Der regierende PSOE lehnte vergangene Woche im Parlament einen Antrag ab, die Rolle von González durch eine Untersuchungskommission beleuchten zu lassen. Gegen die Stimmen der drei linken Koalitionspartner und gemeinsam mit den rechten Oppositionsparteien PP, Vox und Ciudadanos.

Im Kampf gegen die baskische Linke hatte der spanische Staat schon seit den frühen siebziger Jahren auf Todesschwadronen zurückgegriffen, wie man sie sonst aus Lateinamerika kennt. Hintergrund war die Tatsache, dass die Eta ausserhalb Spaniens als antifranquistische Widerstandsorganisation betrachtet wurde und ihre Mitglieder in Frankreich und Belgien deshalb politisches Asyl erhielten. So setzte die spanische Polizei auch nach Francos Tod 1975 auf ihre Verbindungen zur internationalen Naziszene, um Anschläge in Frankreich zu verüben. 1978 zum Beispiel töteten italienische, argentinische und französische Rechtsextreme unter Leitung des spanischen Inlandsgeheimdiensts den im Exil lebenden Eta-Führer José Miguel Beñaran Ordeñana im südfranzösischen Anglet mit einer Autobombe.

Immer ungenauere Attentate

Als die Sozialdemokratie 1982 an die Regierung kam, war die Hoffnung gross, dass die Linke mit solchen Praktiken brechen und Spaniens Demokratisierung vollenden würde. Im Kampf gegen die baskische Linke blieb jedoch alles beim Alten: Die Zahl der Folterungen in Polizeigewahrsam nahm unter Felipe González wieder zu, und mit den GAL baute die Regierung eine neue Todesschwadron auf, die sich in erster Linie aus unpolitischen Auftragsmördern zusammensetzte.

Die GAL sollten mit ihren Aktionen nicht nur die Eta schwächen, die die französische Grenzregion als Hinterland nutzte, sondern darüber hinaus die Regierung in Paris zu einer Kehrtwende in der Asylpolitik bewegen. Die Attentate der GAL wurden aber immer ungenauer. 1984 entführten sie einen völlig unbeteiligten französischen Unternehmer, um die Freilassung von in Frankreich verhafteten spanischen Polizisten zu erpressen. Und der letzte Anschlag beruhte auf einer Verwechslung: 1987 töteten die GAL den Wehrdienstverweigerer Juan Carlos García Goena, den sie mit einem mutmasslichen Eta-Mitglied verwechselt hatten.

Ihre Funktion erfüllten die Todesschwadronen aber dennoch. Angesichts der in der Grenzregion immer unübersichtlicher werdenden Lage beschloss die französische Regierung 1987, geflüchtete BaskInnen fortan ohne weitere Abklärung an Spanien auszuliefern. Im Gegenzug löste das Innenministerium die Todesschwadronen auf.

Mitte der neunziger Jahre, als sich die konservative Oppositionspartei PP im Wahlkampf gegen den PSOE befand, wurde der GAL-Skandal teilweise vor Gericht gebracht. Innenminister José Barrionuevo – ein Sozialdemokrat, der seine ersten politischen Erfahrungen aber in einer franquistischen Jugendorganisation gesammelt hatte – und sein Staatssekretär Rafael Vera wurden zu jeweils zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Nach dem Wahlsieg des PP 1995 wurden die Ermittlungen jedoch nach und nach eingestellt. Ein hochrangiger Kommandant der Guardia Civil, José María Sáenz, hatte in einem Zeitungsinterview erklärt, dass die Eta-Bekämpfung von Sozialdemokratie und Konservativen gemeinsam getragen worden sei. «Im Kampf gegen den Terror», so Sáenz damals, «gibt es Dinge, die man nicht tun darf. Und wenn man sie tut, darf man es nicht zugeben.»

Vernetzt bis nach Panama

José Barrionuevo und Rafael Vera wurden bereits nach wenigen Monaten Gefängnis begnadigt. Regierungschef Felipe González blieb unbehelligt. Bestens vernetzt mit den Mächtigen in Lateinamerika, spielte González insbesondere in Spaniens Aussenbeziehungen weiterhin eine wichtige Rolle. In den Panama Papers tauchen seine Ehefrau Mar García sowie enge Vertraute der Familie aufgrund ihrer Konten in verschiedenen Steuerparadiesen auf.

Dass die neuen Enthüllungen aus Washington zwar von Regionalmedien in Katalonien und dem Baskenland aufgegriffen wurden, von den Madrider Tageszeitungen aber weitgehend unbeachtet blieben, ist bezeichnend. Denn der Fall González zeigt deutlich, worin das Problem der spanischen Demokratisierung nach Francos Tod bestand: Viel zu viel blieb strukturell unverändert.